Gastkommentar

Religiöse Bildung in der Schule ist unverzichtbar

Peter Kufner
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Aufgabe schulischer Bildung ist es, eine sachkundige Orientierung in der Vielfalt von Weltanschauungen, religiösen Ausrichtungen und kulturell bedingten Werthaltungen zu ermöglichen.

Das Thema Religion spielt in den öffentlichen Diskursen aktuell eine ambivalente Rolle. Artikuliert werden dabei vorrangig negative Aspekte, die den Eindruck erwecken, dass Religion mit Demokratie nicht vereinbar wäre. Unbestreitbar gibt es religiöse Entwicklungen bzw. religiöse Begründungen für Verhaltensweisen, die einem demokratischen Verständnis entgegenstehen. So sind – in allen Religionen – auch problematische Tendenzen zu erkennen, wie etwa abwertende Perspektiven auf Menschen anderer Religionszugehörigkeit oder diskriminierende Praktiken, die religiös legitimiert werden. Dazu lässt sich eine Entwicklung religiös fundamentalistischer Radikalisierung junger Menschen über die sozialen Medien wie TikTok, Instagram etc. beobachten.

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Folgt man der neueren Extremismusforschung (vgl. das Interview mit Julia Ebner, „Der Standard“ vom 22./23. Juni 2024), so sind insbesondere Menschen in einer Identitätskrise ansprechbar. Obwohl dies zunächst unabhängig von Alter, sozialer Zugehörigkeit oder Bildungshintergrund zu sehen ist, sind junge Menschen in der Pubertät, wenn sie auf der Suche nach Sinn und Zugehörigkeit sind, eine stark adressierte Zielgruppe von fundamentalistischen Gruppierungen, die in den sozialen Medien besonders aktiv sind. Aber lässt sich aus diesen Entwicklungen folgern, dass Religion mit Demokratie nicht vereinbar sei, oder müsste der Diskurs nicht dahingehend geführt werden, herauszustreichen, welchen Beitrag Religionen für ein demokratisches Zusammenleben leisten können und auch zu leisten haben und davon ausgehend weiterzufragen, welchen Beitrag religiöse Bildung leistet und leisten soll?

Spezifische Sichtweisen

Religiöse Bildung findet im Kontext Schule unter bestimmten Bedingungen statt. Hier geben demokratische Werte zugleich den Rahmen und den Zielhorizont von Bildung ab: Dies bedeutet, dass junge Menschen durch die Schule in ihrer Entwicklung zu selbstverantwortlichen und kritischen Bürgern begleitet werden sollen. Religiöse Bildung hat die unersetzliche Aufgabe, Schüler auf der Suche nach einer sinnvollen Ausrichtung ihres Lebens zu begleiten und zugleich in eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung einzubetten. Dabei kommen die jeweiligen religiösen Traditionen in ihrem Angebotscharakter ins Spiel. Sie liefern spezifische Sichtweisen von Welt und Mensch, die sich im Laufe ihrer Geschichte und auch heute als tragfähig erweisen (müssen).

Wenn nun soziale Zugehörigkeit und Sozialisierungsprozesse eine größere Rolle spielen als ideologische Indoktrinierung (vgl. Ebner in ihrem Interview), dann kommt dem Religionsunterricht eine wichtige Aufgabe zu. Gelingt es, die Botschaft von der Anerkennung des Menschen unabhängig davon, was jemand ist und tut, zu vermitteln und ein Zugehörigkeitsgefühl zu ermöglichen, das durch die konfessionelle Anbindung oder durch den sozialen Zusammenhalt in der Klasse/Religionsgruppe geschehen kann, dann ist der Boden dafür bereitet, dass religiöse Bildung die Kritikfähigkeit von jungen Menschen gegenüber fundamentalistischen, radikalen und damit wenig lebensförderlichen und ausgrenzenden Formen von Religion stärken kann. Somit lässt sich ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der demokratischen Gesellschaft auf der Basis der Menschenrechte leisten.

Die Erfahrung von Identität in einer religiösen Gruppe, die sich an Menschenfreundlichkeit, Solidarität und Zusammenhalt ausrichtet, kann junge Menschen davor bewahren, dass sie aufgrund von Diskriminierungen und Ausgrenzungserfahrungen den Anschluss an fundamentalistische Gruppen suchen. Darüber hinaus ist es als Ziel religiöser Bildung anzusehen, Verständnis für religiöse Menschen und die Anerkennung von religiösen Ausdrucksformen zu wecken – auch dann, wenn man sich selbst nicht als religiös versteht –, um so einen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben leisten zu können.

Dies heißt nicht, ein falsch verstandenes Toleranzverständnis zu verfolgen, das lediglich darauf beruht, dem „anderen seinen Glauben zu lassen“, sondern sich ernsthaft auf den anderen einzulassen. Dies kann in letzter Konsequenz auch heißen, in eine konflikthafte Beziehung zum anderen zu treten – die aber nicht auf reflexhaften Vorurteilen beruht, sondern auf der Grundlage eines ehrlichen und sachlichen Interesses für die je andere Position. Wie sind nun diese Zielformulierungen im konkreten Vorgehen zu erreichen?

Im Bewusstsein, dass es sich hier um programmatische Ansagen handelt, erscheint es dennoch als notwendig, klare Zielvorgaben zu diskutieren. In einem ersten Schritt eröffnet der Religionsunterricht einen Zugang zu einer bestimmten religiösen Tradition – und erschließt andere religiöse Verständnisweisen. Es geht hierbei um Aufklärung, auch im Sinne von Selbstaufklärung: Woran glaube ich? Woran möchte ich glauben? Dies erfordert das Einüben eines kritischen, fragenden Habitus, der ermöglicht, nicht nur sich selbst und seine Sichtweisen zu reflektieren, sondern der dazu befähigt, mögliche negative Wirkungen von Religion erkennen, benennen und sich davon distanzieren zu können. Dazu gehört das Ausbilden einer Diskursfähigkeit, in der eigene Überzeugungen begründet vertreten werden, sowie mit anderen in einen kritischen Diskurs eintreten zu können. So kann es gelingen, dass eigene und fremde, religiös und säkular motivierte Lebensformen zur Sprache gebracht, kritisch befragt und in den Blick genommen werden – eine nicht zu unterschätzende kulturelle Fähigkeit für das Zusammenleben in einer aufgeklärten, pluralen und demokratischen Gesellschaft.

Bildungsprozesse dieser Art anleiten zu können, erfordert von den Religionslehrpersonen hohe Kompetenzen. Eine unabdingbare Voraussetzung ist die Fähigkeit, die eigene religiöse Überzeugung reflektiert zu haben und diese nicht zum alleinigen Ausgangspunkt in der Arbeit mit den Schülern zu machen, gleichzeitig aber in ihren Überzeugungen ansprechbar zu sein. Schülerinnen und Schüler brauchen die Auseinandersetzung mit Menschen, die sowohl ihre religiösen Überzeugungen reflektiert haben und auf Anfrage darüber nicht nur sachkundliche Informationen über Religionen anbieten. Schüler brauchen somit Menschen, die sowohl bereit sind, für ihre Überzeugungen einzustehen und diese begründet darlegen können, als auch den Schülerinnen unabhängig von deren religiöser Verortung das Gefühl von Zugehörigkeit und Anerkennung zu vermitteln.

Kritischer Umgang

Ein Blick in die Realität zeigt, dass diesen Zielvorstellungen jeder Religionsunterricht nicht in jedem Fall entspricht – wie dies auch bei anderen Fächern der Fall ist. Dies dispensiert aber nicht davon, dass über die konfessionellen und weltanschaulichen Grenzen hinweg ein gemeinsames Grundverständnis und Bekenntnis zu diesen Aufgaben religiöser Bildung getätigt wird.

Angesichts steigender Pluralität sind Formen der überkonfessionellen und interreligiösen Zusammenarbeit der verschiedenen Religionsbekenntnisse in der Schule sowie auch eine Kooperation mit dem Ethikunterricht zu forcieren. Daran können Schüler lernen, mit unterschiedlichen religiösen Überzeugungen und Weltanschauungen kritisch umzugehen. Im Gegensatz dazu Religion aus der Schule zu drängen bedeutet, die qualitätssichernde Funktion öffentlicher Bildungsinstitutionen für religiöse Bildung aufzugeben.

Reaktionen an: debatte@diepresse.com

Zu den Autoren

Andrea Lehner-Hartmann, Univ.-Prof. für Katholische Religionspädagogik, Wien
Wolfgang Weire
r, Univ.-Prof. für Katholische Religionspädagogik, Graz
Robert Schelan
der, ao. Univ.-Prof. für Evangelische Religionspädagogik, Wien
Ednan
Aslan, Univ.-Prof. für Islamische Religionspädagogik, Wien
Zekirija
Sejdini, Univ.-Prof für Islamische Religionspädagogik, Innsbruck

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