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„Feiglinge gehören nicht an die Front“

Schießtraining von ukrainischen Soldaten an der Front im Donbass.
Schießtraining von ukrainischen Soldaten an der Front im Donbass. Friedrich Bungert/Picturedesk
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Unser Autor Artur Weigandt traf sich mit einem Soldaten zum Schnapstrinken: „Wenn man im Krieg Vögel sieht“, sagt er, „dann renn weg, weil sie spüren die Raketen“.

In Kyiv scheint die Sonne. Männer und Frauen flanieren über den Kreschatik, die große Hauptstraße, die zum Maidan führt. Die Straßen sind mit ukrainischen Flaggen und Plakaten zur Rekrutierung gesäumt. Bis auf den gelegentlichen Luftalarm ist nichts vom Krieg zu spüren. Zumindest möchte ich das glauben.

Krücke hat sich extra aus dem Krankenhaus in der Nordukraine entlassen, um mich zu treffen. Seine Bewegungen sind schwerfällig. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem „Under Armour“ steht. Trotz seiner offensichtlichen Schmerzen geht er beinahe stürmisch auf mich zu. „Wie lange habe ich dich schon nicht gesehen! Machst du immer noch den Übersetzerjob?“, fragt er und drückt meine Hand so stark, als wolle er sie zerquetschen.

Krücke ist sein Rufname. Ich habe ihn bei der Ausbildung ukrainischer Soldaten am Leopard Panzer I in Deutschland kennengelernt. Durch seine Verletzungen im Krieg braucht er eine Krücke. Trotzdem will er weiterkämpfen. Fast ein halbes Jahr habe ich Männer wie ihn als Dolmetscher begleitet.

„Gut, dass du da bist.“ Er schaut sich um, als würde er die Umgebung in sich aufnehmen. „Es ist seltsam, hier zu sein. Alles sieht so normal aus, während an der Front das Chaos herrscht. Lass uns zu McDonald‘s gehen, einen Burger essen und Selbstgebrannten trinken!“, ruft er über den Platz.

Auf der Rasenfläche um den Maidan sind viele kleine Flaggen zu sehen. Jede Flagge steht für einen verstorbenen Soldaten. Seit meinem letzten Besuch haben sie sich stark vermehrt. „Doppelt so viele Tote“, sage ich. Krücke blickt mich an. „Viermal so viele Invasoren“.

Wir sprachen über die kasachische Steppe

„Was hast du so die letzte Zeit getrieben?“, fragt er. „Ich war in Kasachstan auf Lesereise. Auch an dem Ort, an dem ich geboren wurde.“ Schon während der Ausbildung sprachen wir ­in ruhigen Momenten oft über unser gemeinsames Geburtsland. Über die kasachische Steppe, über die weiten Felder ohne Horizont und Sandstraßen, die nie aufhören. Nach dem Krieg will er seinen Kindern und seiner Frau ihre andere Heimat zeigen. Mit dem Auto mit ihnen durch Kasachstan fahren.

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