Buch der Woche

Anthony Passeron erzählt wie über Aids beharrlich geschwiegen wurde

Landete mit „Die Schlafenden“ einen internationalen Erfolg: Anthony Passeron, geboren 1983 in Nizza.
Landete mit „Die Schlafenden“ einen internationalen Erfolg: Anthony Passeron, geboren 1983 in Nizza.Jessica Jager
  • Drucken

Anthony Passeron verbindet in seinem sozialkritischen Roman die Tragödie seiner Familie und die Jagd nach dem HI-Virus. Er erzählt von den verdrängten Problemen in der französischen Provinz der 1980er-Jahre.

Etwas, was die französische Literatur vielleicht in besonderem Maße auszeichnet, ist eine starke Verbindung zwischen persönlich-individueller Geschichte und politisch-sozialkritischem Anliegen. Wo Hollywood und die amerikanische Literatur gern einzig auf die Macht des Einzelschicksals setzen, verortet die französische Literatur die Geschichte des Einzelnen oft ganz selbstverständlich im gesellschaftlichen Kontext Frankreichs – man denke etwa an „Das Ereignis“ der Nobelpreisträgerin Annie Ernaux. Auch Anthony Passerons Debütroman „Die Schlafenden“, im Original „Les enfants endormis“, das gleich in 16 Sprachen übersetzt wird und in der französischen Heimat für Aufsehen sorgte, ist ein Musterbeispiel dafür.

Passeron, Jahrgang 1983 und bisher Gymnasiallehrer für Französisch und „Geisteswissenschaften“ in Nizza, erzählt darin autofiktional vom Schicksal seiner eigenen Herkunftsfamilie. Schwer beschädigt haben diese Familie ein Virus und eine Droge: Passerons Onkel Désiré, der Stolz der Familie, der als Erster der Familie eine höhere Schule besuchen durfte und nicht den banalen Metzgereibetrieb der Eltern übernehmen sollte, verfiel als junger Erwachsener – wie so viele anderer seiner Generation in Frankreich, vor allem an der schillernden Cote d’Azûr und ihrem öden, auch geistig engen Hinterland, aus dem Passerons Familie stammt –, dem Heroin.

Kampf gegen Drogenabhängigkeit

Da dies in den frühen 1980ern geschah, war die Chance, sich als Heroinsüchtiger mit dem HI-Virus zu infizieren, besonders groß, weil man damals nicht wusste, dass HIV durch Blutkontakt übertragen wird, und Spritzenbesteck noch bedenkenlos teilte. Désiré infiziert sich mit HIV, ohne es zunächst zu wissen. Auch den Drogenkonsum leugnet er beharrlich, und seine Familie leugnet ihn mit ihm. Erst als Désiré mit einer Nadel auf offener Straße gefunden wird, muss die Familie das Augenscheinliche, das das gesamte Dorf längst ahnt, zur Kenntnis nehmen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.