Wort der Woche

In der Umwelt allgegenwärtig

Forschende haben Sorge, dass sich die Bestandteile von Flüssigkristall-Bildschirmen als eine neue Klasse von Schadstoffen für Umwelt und Gesundheit erweisen könnten.

Im Jahr 1888 machte der österreichische Chemiker Friedrich Reinitzer in Prag (später an der TU Graz) eine erstaunliche Entdeckung: Bestimmte Moleküle, in seinem Fall eine Cholesterin-Verbindung, nehmen in einem gewissen Temperaturbereich einen Zustand ein, der einerseits Flüssigkeiten ähnelt, andererseits aber auch kristallinen Feststoffen. Fachkollegen, die er mit dem Phänomen konfrontierte, wussten auch nicht weiter, und so wurde eine eigene Kategorie „fliessende Krystalle“ geschaffen.

Lange Zeit blieb das Interesse daran rein akademisch. So entdeckte man etwa, dass Flüssigkristalle die Durchlässigkeit für polarisiertes Licht verändern können. Solches Wissen wurde 80 Jahre später für unser Alltagsleben relevant: Zwischen zwei Glasplatten und versehen mit Polarisationsfiltern und elektrischen Kontakten wurden mit Flüssigkristallen Anzeigen z. B. für Armbanduhren oder Taschenrechner konstruiert. Das war die Geburtsstunde von LCD (liquid crystal displays), die in Flachbildschirmen, Tablets, Smartphones etc. einen Siegeszug antraten. Schätzungen zufolge werden jährlich rund 200 Mio. Quadratmeter LCD mit einem Marktwert von 60 Mrd. Dollar produziert.

Da Geräte mit LCD typischerweise keine lange Nutzungsdauer haben – stets folgt schon bald eine nächste Generation von Laptops, Handys etc. – fällt entsprechend viel Elektromüll an. Und weil dieser nur zu 17 Prozent fachgerecht aufgearbeitet wird, gelangen große Mengen an LC-Monomeren (aus denen die Flüssigkristalle bestehen) früher oder später in die Umwelt. Über die Folgen weiß man nur sehr wenig, stellen niederländische Forschende um Bianca Stadelmann (Uni Amsterdam) nun in einem Überblicksartikel fest (Science of the Total Environment 947, 17443).

Man sollte sich aber viel mehr damit beschäftigen, denn es gibt Grund zur Sorge. Etwa dass LC-Monomere bereits allgegenwärtig sind – in Hausstaub und Klärschlamm genauso wie auf unserer Haut und im Blutserum. Genauere Untersuchungen sind allerdings schwierig: Geschätzt wird, dass bisher rund 10.000 verschiedene Arten von LC-Monomeren synthetisiert und eingesetzt wurden. Ein typisches LC-Display enthält eine Mischung aus 20 bis 25 Substanzen, Details sind Betriebsgeheimnis. Toxikologische Studien gibt es nur für wenige Moleküle – diese erwiesen sich immerhin als nicht akut toxisch. Über längerfristige Folgen weiß man hingegen nichts. Von ihrer chemischen Struktur her sei es jedenfalls wahrscheinlich, dass die Substanzen in der Umwelt langlebig sind und sich in Nahrungsketten anreichern, so Stadelmann & Co.

Zusammenfassend orten die Forschenden „alarmierende Wissenslücken“ und eine wachsende Besorgnis der wissenschaftlichen Community über mögliche schädliche Auswirkungen. Um detailliertere Einblicke zu bekommen, schlagen sie vor, zehn prioritäre LC-Monomere, die auf Basis von Nachweishäufigkeit, Toxizität und menschlicher Exposition ausgewählt wurden, systematisch zu untersuchen.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist nun Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com
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