Artenvielfalt

Ameisenforscher: In Haus und Garten sollten wir auf Gift verzichten

Ameisen sind ein gutes Anzeichen für ein intaktes Ökosystem.
Ameisen sind ein gutes Anzeichen für ein intaktes Ökosystem.Dreamframer/getty Images
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Erstmals gibt es eine Rote Liste für Ameisen, die in ganz Österreich gilt. Forschende setzen sich dafür ein, dass die Bevölkerung mehr Leidenschaft für die Biodiversität entdeckt.

Die Presse: Herr Glaser, Sie haben mit dem Umweltbundesamt die erste Rote Liste der Ameisen für ganz Österreich fertiggestellt. Wozu gibt es Rote Listen?

Florian Glaser: Rote Listen stufen das Gefährdungspotenzial von Arten ein: von Tieren, Pflanzen und Pilzen. Sie dokumentieren die aktuelle Situation der Gefährdung und haben einen praktischen Wert: Rote Listen sind für naturschutzfachliche Bewertungen relevant, wenn es um Eingriffe in Ökosysteme geht oder um die Priorisierung von Maßnahmen.

Zur Person

Florian Glaser ist ein Ameisenexperte in Österreich. Der freiberufliche Biologe hat mit einem großen Team im Juni die Rote Liste der Ameisen für ganz Österreich finalisiert. Von den 146 hier vorkommenden Ameisenarten sind 63 gefährdet.

Hat die Liste eine gesetzliche Bindung?

Glaser: Nicht direkt. Rote Listen sollten in die Naturschutz-Gesetzgebung einfließen. Aber in Österreich hat jedes Bundesland seine eigenen Naturschutzverordnungen. Nicht in allen Bundesländern hat der Rote-Listen-Status Konsequenzen für den Artenschutz.

Birgit Schlick-Steiner: Insekten sind in der Gesetzgebung insgesamt eher schlecht behandelt. Auch in den EU-Richtlinien sind nur wenige Insekten im Vergleich zu den vielen Wirbeltieren (Tiere mit Knochen, Anm.). Mit Roten Listen kann man diese Lücke ein bisschen kompensieren.

Woher kommt es, dass wirbellose Tiere weniger Aufmerksamkeit bekommen?

Glaser: Tiere mit Fell und Federn haben in der menschlichen Gesellschaft einen höheren Stellenwert als Krabbeltiere. Auch unscheinbarere wie Fische, Reptilien und Amphibien sind teilweise unterrepräsentiert. Doch in der Artenvielfalt stellen die wirbellosen Tiere die Wirbeltiere bei Weitem in den Schatten.

Wie spielen Klimawandel und Artenschutz zusammen?

Glaser: Obwohl der Klimawandel Arten und Artengemeinschaften beeinflusst, ist er nicht der Hauptgrund für die aktuelle Gefährdungssituation von Ameisen und anderen Insekten.

Schlick-Steiner: Die meisten Ameisenarten sind thermophil (wärmeliebend, Anm.). Das größere Problem für sie sind die Naturzerstörung, die Fragmentierung von Lebensräumen und Umweltgifte.

Was kann jeder von uns tun für den Artenschutz?

Florian Steiner: Die Umweltgifte sind ein gutes Stichwort. Wir haben als Konsumierende einen großen Einfluss auf deren Einsatz. Was wir kaufen, macht einen Unterschied. Gifte sind unsichtbar und überall, viele Schadstoffe gehen nicht mehr weg und bleiben permanent. Das ist eine große Belastung für die Umwelt und die Organismen.

Sind die Gifte eine Belastung für uns Menschen?

Schlick-Steiner: Wir wissen, dass viele Krankheiten zunehmen. Der Anteil, der durch Umweltgifte verursacht wird, ist beträchtlich.

Zu den Personen

Birgit Schlick-Steiner (r.) und ihr Mann, Florian Steiner, gründeten 2008 die Forschungsgruppe Molekulare Ökologie an der Uni Innsbruck. Mit ihren Töchtern, die beide in Innsbruck Ökologie studieren, haben sie 2021 das Tierökologie-Zertifikat geschaffen. Durch diesem Bestimmungskurs lernen Laien und Fachleute, 250 Tierarten aus Österreich zu erkennen, um das Bewusstsein für Artenvielfalt zu erhöhen.

Beginnt Umweltschutz im eigenen Garten?

Glaser: Jeder kann in Haus und Garten auf Biozide verzichten.

Schlick-Steiner: Wir sind für Mut zur Unordentlichkeit, was den privaten Garten betrifft. Einen „geschleckten“ Garten finde ich nicht mehr zeitgemäß.

Glaser: Auch die Land- und Forstwirtschaft müssen und können Artenvielfalt fördern und wertvolle Strukturen erhalten. Das Renaturierungsgesetz ist eine große Chance für Ameisen und viele andere Arten.

Was ist an der neuen Liste für Ameisen so besonders?

Glaser: Es ist die erste nationale Rote Liste für Ameisen in Österreich. Vorher gab es einige bundesland-spezifische Listen. Wir sind sehr froh, dass wir alle Fachleute, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit Ameisen gearbeitet haben, als Co-Autoren gewinnen konnten und alle ihre Daten zur Verfügung gestellt haben.

Auch für Wanzen und Hummeln wurden jetzt erstmals österreichische Rote Listen verfasst. Was ist die Schwierigkeit bei Ameisen?

Glaser: Ein Problem ist die schwierige Bestimmbarkeit im Freiland. Nur wenige Arten kann man direkt erkennen (ohne Lupe, Mikroskop oder DNA-Test, Anm.). Es braucht ausgebildete Leute, die die Funde analysieren. Wir sind stolz, dass es jetzt 60.000 Datensätze für diese Rote Liste waren – für Vogelkundler wären das aber lächerliche Mengen (lacht). Unser Vorteil ist, dass die Ameisenforscherinnen und -forscher in Österreich sich sehr gut verstehen und gern zusammenarbeiten.

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