Landwirtschaft

Pestizide: Scharfe Kritik des Rechnungshofs

Pestizide auf dem Acker, unter dem Acker, über dem Acker: Der RH kritisiert scharf.
Pestizide auf dem Acker, unter dem Acker, über dem Acker: Der RH kritisiert scharf.Fotokostic
  • Drucken

Im Grundwasser, in der Erde und in der Luft: Pestizide sind überall. Das gefällt dem Rechnungshof nicht. Er übt breit angesetzte Kritik.

Mehr als 120 Seiten, die es in sich haben und mit nicht weniger als 36 „Empfehlungen“ abschließen: Der Rechnungshof hat diesmal den Einsatz von Agrochemikalien in der Landwirtschaft unter die Lupe genommen. Den Prüfer verschonen keinen Bereich und keinen Player, die bei diesem Thema mitreden. Bei der Zulassung, insbesondere bei den sogenannten Notfallzulassungen liege es ebenso im Argen, als auch bei den verwirrenden Kompetenzabgrenzungen zwischen den neun Bundesländern und dem Bund. Die Kontrollen ließen zu wünschen übrig, es gebe niemanden, der einen Überblick über die Pestizid-Belastung in Grundwasser, Fließgewässern, im Boden und in der Luft habe.

Die gesamte EU hatte sich ursprünglich den Vorsatz genommen, bis 2030 den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zu halbieren. Nachdem Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen eine entsprechende Verordnung im Februar in einer Nacht- und Nebel-Aktion abgesagt hatte, bleiben immer noch die diesbezüglichen (unverbindlichen) Vorsätze. Vor diesem Hintergrund warf der Österreichische Rechnungshof einen kritischen Blick auf die Situation in Österreich. Sie muss als bedenklich bezeichnet werden.

„Weder Ziele, noch Zeitpläne“

Es gibt zwar für diesen Zeitraum einen „Nationalen Aktionsplan“ (NAP, um den Pestizid-Einsatz zu verringern, doch sei der bloß „der kleinste gemeinsame Nenner“ zwischen den Ländern – weder gibt es Ziele noch Zeitpläne. Eine Evaluierung des NAP, die aufgrund der „Nachhaltigkeits-Richtlinie Pestizide“ der EU verpflichtend ist, „fand nicht statt“, so der RH-Bericht.

Die Kritik beginnt schon mit grundsätzlichen Feststellungen: „Weder das Landwirtschaftsministerium noch die Länder verfügten daher über zuverlässige Daten zu den in der Landwirtschaft verwendeten Pestiziden (insbesondere betreffend Ort, Art und Umfang).“ es gebe keinerlei Formvorgaben für Aufzeichnungspflichten, weshalb diese Daten auch nicht zum Monitoring des Pestizid-Einsatzes herangezogen worden sind.

An mehreren Stellen des Berichts wird das Landwirtschaftsministerium mit Stellungnahmen zitiert, in denen auf die geltende Rechtslage verwiesen wird. Hinweise und Empfehlungen des RH werden häufig mit der Bereitschaft kommentiert, Themen „aufgreifen und zur Diskussion stellen“ zu wollen. Keine der Einwände des Ministeriums haben den RH dazu gebracht, Empfehlungen zurückzuziehen oder auch nur abzuschwächen. Mit einem klaren Nein hat das Landwirtschaftsministerium die RH-Anregung beantwortet, Ergebnisse der Kontrollen im alljährlich erscheinenden „Grünen Bericht“ zu veröffentlichen. Der RH hat generell die mangelnde Transparenz angeprangert.

Der RH betont die Bedeutung einer transparenten, zeitnah verfügbaren Daten­lage über die Einsatzmengen von Pestiziden – vor allem auch, weil eine Mengenangabe allein keine hohe Aussagekraft über das Risiko für Mensch und Umwelt habe. Der RH wies schließlich darauf hin, dass in Österreich Wirkstoffe zum Einsatz kamen, bei denen Gesundheitsbedenken bestätigt waren; zudem verzeichneten Wirkstoffe mit dem Gefahrenhinweis „Kann vermutlich Krebs erzeugen“ im überprüften Zeitraum steigende Einsatzmengen.

„Interessenskonflikte und Unvereinbarkeiten“

Heftige Kritik wird auch an den „Notfallzulassungen“ geübt. Deren Zahl sei über den Prüfungszeitraum gestiegen. Diese Zulassungen werden aufgrund präventiver Einschätzungen erteilt, „ohne dass der Eintritt des Notfalls gewiss war und ohne die Anwendung an den tatsächlichen Eintritt eines Notfalls zu knüpfen.“ Und weiter: „Die Länder bzw. die Amtlichen Pflanzenschutzdienste bei den Landwirtschaftskammern bezogen sich bei ihren Bestätigungen häufig auf Notfallsituationen und Ertragseinbußen im laufenden oder vergangenen Jahr.“ Die RH-Prüfer bemerken auch, dass „Landwirtschaftskammern maßgeblich“ in der Antragstellung involviert seien. Deshalb sieht der RH hier „Interessenskonflikte und Unvereinbarkeiten“. Außerdem sei die Trennlinie zwischen Risikomanagement und Risikobewertung zu wenig scharf gezogen – auch hier seien Interessenskonflikte möglich.

Es gebe „keine Anstrengungen“ zur Wahrung der Unabhängigkeit von Risikobewertung, „etwa durch die Beiziehung externer Expertinnen und Experten. Durch die bestehenden Strukturen war weder die Unabhängigkeit der Bewertungs­stellen gewährleistet noch konnten gegenseitige Einflussnahmen zwischen der Risi­kobewertung und dem Risikomanagement im Zuge der Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden.“

Zudem gibt es auch schwere inhaltliche Kritik: „Die EU–Pflanzenschutzmittelverordnung verpflichtete die Mitgliedstaaten zur Berücksichtigung des neuesten Standes der Wissenschaft und Technik bei der Bewertung der Zulassungsanträge. Indem sie Interpretationsspielräume der EU– Pflanzenschutzmittelverordnung bei Referenzzulassungsverfahren (von Generika) und bei Notfallzulassungen nützte, stützte sich die AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) in diesen Fällen – entgegen der Intention der Verordnung – nicht auf den neuesten Stand der Wissenschaft und Technik. Bei diesen Zulassungen bestand daher ein erhöhtes Risiko für die Umwelt.“ Hingewiesen wird auch auf die besonderen Gefahren, die von Pestiziden für die Biodiversität ausgehen.

Trotz des Verbots der Anwendung im Freiland von drei besonders für Bienen schädlichen Neonicotinoid–Wirk­stoffen wurden in den Jahren 2019 und 2022 Notfallzulassungen für Pflanzenschutzmittel mit den Wirkstoffen Clothianidin bzw. Thiamethoxam erteilt. Der Europäische Gerichtshof erklärte dies im Jänner 2023 für unzulässig.

Stein des Anstoßes sind auch die Kontrollen, die als lückenhaft dargestellt werden. „Kontrollen im Internethandel waren auf Händler im Inland begrenzt und ergaben eine hohe Anzahl festgestellter Mängel und Verstöße. Es war davon auszugehen, dass Verwender Pestizide – auch solche, die im Inland nicht zugelassen sind – im Wege des Internethandels aus dem Ausland bezie­hen und diese letztlich in Österreich zur Anwendung kommen“

Außerdem hapere es an grundsätzlichen Fakten: „In Österreich gab es kein umfassendes Pestizidscreening von landwirtschaftlich genutzten Böden, bei dem diese auf alle möglichen Pestizide und Metaboliten unter­sucht wurden.“ Als Gegenbeispiel werden die Schweiz, aber auch Deutschland genannt.

„Kein Überblick über gesundheitliche Auswirkungen“

Die Prüfer orten in der Erfassung der Belastung durch Pestizide im Boden sowie in Grund- und Fließgewässern Mängel; zu Pestiziden in der Luft heißt es: „Weder das Landwirtschaftsministerium noch das Gesundheitsministerium hatte einen Überblick über die durch Pestizide verursachten gesundheitlichen Auswirkun­gen. Informationen über die durch Pestizide verursachten Erkrankungen bei Land­wirtinnen und Landwirten lagen nicht vor. Es gab auch keine Stelle, an die sich Personen wenden konnten, die von Abdrift betroffen waren.“ In Österreich gebe es „somit keine Stelle, die sämtliche pestizidbedingten Vergiftun­gen, deren Schweregrade und Ursachen registrierte und veröffentlichte.“

Vor kurzem erst wurde eine Studie von „Pesticides Action Network“ (PAN), Global 2000 eine Studie veröffentlicht, in der dargelegt wird, dass sowohl Trink- als auch Mineralwasser mit TFA (Trifluoracetat) belastet. Die Säure ist ein Abbauprodukt von “Forever Chemicals“, einer chemischen Stoffgruppe, deren Gefährlichkeit über lange Zeit massiv unterschätzt worden ist. Eine der Quellen für das TFA sind Pestizide, die PFAS enthalten. Agrochemikalien werden in der intensiven Landwirtschaft eingesetzt, die ein wesentlicher Verursacher im Klimawandel ist.

Im Bezirk Schärding sind unterdessen von der Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen des Verdachts der Tierquälerei eingestellt worden. Ermittlungen waren im Juni aufgenommen worden, nachdem ein Bauer bei starkem Wind Pestizide auf Maisfelder gesprüht hatte. Auf der angrenzenden Weide waren in der Folge fünf Schafe verendet. Laut Polizei habe es keine Hinweise auf „bedingten Vorsatz der Tierquälerei“ gegeben.

„Unzulängliche Umsetzung von EU-Vorgaben“

Dieser Rechnungshofbericht zeugt schließlich auch davon, wie dünn die Patina des koalitionären Konsens‘ ist. Es gibt eine Stellungnahme des Umwelt- und Klimaministeriums, das vor vielen Monaten abgegeben worden ist, bevor der RH-Bericht in die Endredaktion gegangen ist. Da wird der Koalitionspartner ÖVP nicht geschont, wenn es heißt: „Laut Stellungnahme des Klimaschutzministeriums stelle der Bericht einen gut recherchierten Statusbericht zur Situation in der EU sowie in Österreich bezüglich Zulassung, Anwendung, Kontrolle und Auswirkungen von Pestiziden in der Landwirt­schaft sowie der betreffenden Zuständigkeiten dar. Der RH weise auf zahlreiche unzulängliche Umsetzungen von EU–Vorgaben hin und halte ausdrücklich fest, dass die vorliegenden Aufzeichnungen einschließlich Datenlage nicht ausreichend seien, um vollständige und umfassende Aussagen treffen zu können.“

»Keine quantitativen Vorgaben, keine Ziele und keine Zeitpläne für eine Pestizidreduktion«

Rechnungshofbericht

Seite 100, Punkt 24.1. (3)

Schwerpunkt Klimawandel

Die Erderhitzung und die grüne Wende verändern Natur, Gesellschaft und Märkte auf der Welt grundlegend. Das Klima-Team der „Presse“ liefert Hintergründe, jüngste Forschungsergebnisse und Debatten rund um eines der drängendsten Probleme unserer Zeit.

Alle Artikel finden Sie unter diepresse.com/klima. Sie wollen keinen wichtigen Beitrag verpassen? Abonnieren Sie Klimawandel als Push-Nachricht in den Einstellungen der „Presse“-App.

Und: Hören Sie doch einmal in den Klimapodcast „Der letzte Aufguss“ hinein!

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.