Verhandlungen gestoppt

Israel wollte Hamas-Militärchef gezielt töten: „Es besteht noch keine absolute Gewissheit“

Bei Chan Yunis im Süden des Gazastreifens sind nach Hamas-Angaben mindestens 90 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. 
Bei Chan Yunis im Süden des Gazastreifens sind nach Hamas-Angaben mindestens 90 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Imago / Saber Arar
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Laut einem israelischen Regierungsvertreter galt der Angriff in Khan Yunis dem Anführer des militärischen Arms der Hamas, Mohammed Deif.  Dieser sei bei dem Luftangriff aber nicht ums Leben gekommen, ließ die Hamas wissen - und stoppt die Gespräche über eine Waffenruhe vorerst. Hamas-Brigadechef Rafa Salama soll getötet worden sein.

Bei einem israelischen Luftangriff im Süden des Gazastreifens mit Dutzenden Toten will Israels Armee den Hamas-Brigadechefs Rafa Salama getötet haben. „Unter Nutzung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse hat die israelische Luftwaffe den Kommandanten der Khan-Younis-Brigade (der Hamas), Rafa Salama, in der Nähe von Khan Younis angegriffen und eliminiert“, teilte die Armee mit.

Die Mitteilung machte keine Angaben darüber, ob auch der mächtige Militärchef der Hamas im Gazastreifen, Mohammed Deif, getötet wurde, dem der Angriff gegolten habe. Deif soll sich nach Angaben des Militärs an der Seite Salamas befunden haben, als die Luftwaffe am Samstag einen Hamas-Komplex bei Khan Younis bombardierte.

Den getöteten Salama beschrieb die israelische Armee als einen der engsten Mitarbeiter Deifs. Seit 2016 habe er die Khan-Younis-Brigade befehligt, benannt nach der gleichnamigen Stadt im südlichen Gazastreifen. In dieser Eigenschaft sei er verantwortlich gewesen für die Raketenangriffe, die die Hamas in all den Jahren von Khan Younis aus auf Israel durchführte .Seine Ausschaltung würde die militärischen Fähigkeiten der Hamas ernsthaft beeinträchtigen, so die Armee. Sowohl Deif als auch Salama gelten als Drahtzieher und Planer des Massakers vom 7. Oktober.

Hamas stoppt Verhandlungen über Feuerpause

Nach dem Angriff will die militante Palästinenser-Organisation Hamas die Verhandlungen über eine Feuerpause im Gazastreifen vorerst abbrechen. Ein ranghoher Hamas-Vertreter erklärte am Sonntag, der Chef des Politbüros, Ismail Haniyeh, habe internationale Vermittler über die Entscheidung informiert, dass die Verhandlungen „aufgrund der mangelnden Ernsthaftigkeit“ Israels abgebrochen würden.

Ihr militärischer Anführer im Gazastreifen, Mohammed Deif, sei bei dem israelischen Angriff nicht getötet worden, erklärte die Hamas. „Mohammed Deif geht es gut, und er befiehlt weiterhin den Widerstand gegen den israelischen Feind“, sagte der Hamas-Funktionär Ali Barakeh in Beirut. Israels Armee zielte mit dem Angriff westlich der Stadt Khan Yunis nach eigenen Angaben auf den Anführer des militärischen Hamas-Arms. Keine der Angaben ließ sich zunächst unabhängig verifizieren. „Ich sage (Israels Regierungschef Benjamin) Netanjahu, dass Muhammad Al-Deif dich jetzt hört und deine Lügen verhöhnt“, wurde al-Hayya zitiert.

Man prüfe noch, ob Deif, der Kommandant der Khan-Younis-Brigade der Hamas, bei dem Luftschlag ums Leben gekommen sind, hatte Israels Armee zuvor erklärt. „Es besteht noch keine absolute Gewissheit“, sagte Netanjahu vor der Presse in Tel Aviv. Die Hamas-Männer sollen „Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober“ in Israel gewesen sein. Das Massaker vor mehr als neun Monaten war der Auslöser des Gazakrieges. Palästinensischen Angaben zufolge wurden bei Israels jüngstem Luftangriff mindestens 90 Menschen getötet.

Israel: „Nur Hamas-Terroristen getötet“

Mindestens 300 weitere Menschen seien zudem in der humanitären Zone Al-Mawasi verletzt worden, teilte die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde mit. „Der Angriff wurde in einem eingezäunten Gebiet durchgeführt, das von der Hamas kontrolliert wird und in dem sich nach unseren Informationen nur Hamas-Terroristen und keine Zivilisten aufhielten“, hieß es von Israels Armee. „Es war ein präziser Angriff.“ Es werde vermutet, dass die meisten Opfer ebenfalls Terroristen gewesen seien. Keine der Angaben ließ sich unabhängig prüfen.

„Es besteht noch keine absolute Gewissheit“: Israel hat noch keine Klarheit darüber, ob Mohammed Deif, Militärchef der islamistischen Hamas im Gazastreifen, bei einem Luftangriff tatsächlich getötet wurde.
„Es besteht noch keine absolute Gewissheit“: Israel hat noch keine Klarheit darüber, ob Mohammed Deif, Militärchef der islamistischen Hamas im Gazastreifen, bei einem Luftangriff tatsächlich getötet wurde.APA / AFP / Nir Elias

Ein Vertreter des Militärs räumte in einem Online-Briefing ein, dass das getroffene Objekt in der von Israel so deklarierten humanitären Zone westlich der Stadt Khan Younis im Süden Gazas gelegen habe. „Es war aber eine abgezäunte, bewachte Hamas-Basis, besetzt mit Terroristen“, fügte der Armeevertreter hinzu. Das Militär sei sich auch sehr sicher, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs keine israelischen Geiseln dort befunden hätten. Israel werde die gesamte Hamas-Führung ausschalten, sagte Netanjahu auf einer Pressekonferenz.

„Netanjahu nicht das geben, was er will“

Damit bezog sich Israels Regierungschef auch auf Jihija al-Sinwar, den Führer der Hamas in Gaza. Deif gilt als seine Nummer Zwei. Der Auslandschef der Hamas, Ismail Haniyya, warf Netanjahu vor, mit „abscheulichen Massakern“ einen Waffenstillstand in dem Krieg zu blockieren. Er forderte die Vermittlerstaaten bei den indirekten Verhandlungen - Ägypten, Katar und die USA - auf, Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen zu stoppen.

Alle Optionen seien offen, aber die Hamas werde „Netanjahu weder das geben, was er will, noch ihm die Möglichkeit geben, sie für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu machen“, wurde al-Hayya von Al Jazeera weiter zitiert.

Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Daniel Barnea, wolle in den nächsten Tagen zu einer weiteren Gesprächsrunde in die katarische Hauptstadt Doha reisen, meldete der israelische Rundfunksender Kan. Die Planungen für die indirekten Verhandlungen scheinen durch den jüngsten Versuch Israels, den Hamas-Militärchef zu töten, vorerst nicht gekippt worden zu sein, schreibt die israelische Zeitung „Haaretz“.

Tausende demonstrieren in Israel

In Israel demonstrierten unterdessen erneut Tausende Menschen für ein Abkommen, um die noch rund 120 Geiseln in der Gewalt der Hamas nach Hause zu bringen. Die Teilnehmer der Kundgebungen in Tel Aviv und Jerusalem warfen Regierungschef Netanjahu vor, die indirekten Verhandlungen zur Erzielung einer solchen Vereinbarung zu sabotieren. „Wir fordern, dass Sie aufhören, das Abkommen zu sabotieren, wir fordern, dass Sie das Abkommen unterzeichnen“, wurde die Mutter einer Geisel von israelischen Medien zitiert.

Tausende Menschen haben in Israel erneut für ein Abkommen zur Freilassung der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln demonstriert. 
Tausende Menschen haben in Israel erneut für ein Abkommen zur Freilassung der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln demonstriert. Reuters / Eloisa Lopez

„Netanjahu macht die Geiseln fertig“, stand auf einem riesigen Transparent, das Demonstranten in Tel Aviv vor sich hertrugen. Ein ehemaliger Entführter sagte: „Ich mag nach außen okay wirken, aber der Schmerz belastet mich mehr, als irgendjemand sich vorstellen kann.“ Er sei noch einer der Glücklichen gewesen, der in einem Haus und nicht in einem Tunnel gefangen gehalten worden war. „Wenn also ich an brutalen Bedingungen und Misshandlungen gelitten habe, was ist dann mit den anderen 120 Geiseln?“, sagte der Mann.

Die israelische Luftwaffe attackierte unterdessen nach Beschuss durch die proiranische Hisbollah Stellungen der Miliz in Südlibanon. Wie die israelische Armee am Abend mitteilte, sei die Anlage bombardiert worden, von der aus zuvor Geschosse auf den Norden Israels abgefeuert worden seien. Zudem seien eine Reihe weiterer „terroristischer Infrastrukturen“ der Hisbollah angegriffen worden, hieß es in einer kurzen Mitteilung. Nähere Details wurden darin nicht genannt. Die Angaben konnten unabhängig zunächst nicht überprüft werden.

Israel und die libanesische Schiitenmiliz liefern sich seit dem Beginn des Gazakriegs nahezu täglich Gefechte. Zuletzt nahm deren Intensität deutlich zu. Auf beiden Seiten gab es Tote. Die Hisbollah-Miliz handelt nach eigenen Aussagen aus Solidarität mit der islamistischen Hamas in Gaza. Seit langem wird befürchtet, dass sich der Konflikt ausweiten könnte. (APA/dpa)

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