Gastkommentar

Moderne Ernährung muss alltagstauglich sein

Caecilia Lahner
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Die Debatte rund um sogenannte hochverarbeitete Lebensmittel erfordert eine differenzierte Betrachtung.

Vorverarbeitete Lebensmittel erleichtern vielen Menschen den Alltag – vor allem, wenn sie berufstätig sind und zeitlich eng strukturiert leben oder einfach keine Lust aufs Kochen haben. Dementsprechend beträgt der Anteil solcher Produkte in vielen Ländern rund um den Globus 30 bis 60 Prozent, in der EU im Durchschnitt 27 Prozent. Den Großteil davon machen länderübergreifend Feinbackwaren, Würste, Fertiggerichte wie etwa Tiefkühllasagne, -pizza oder -knödel, Margarine und Saucen, Softdrinks, Obst- und Gemüsesäfte sowie Milchprodukte aus.

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„Hochverarbeitete“ Lebensmittel stehen zunehmend im Zentrum wissenschaftlicher Diskussionen und medial am Pranger. Denn sie können – ebenso wie weniger verarbeitete Produkte – hohe Gehalte an Kalorien, Fett, Zucker oder Salz aufweisen und werden mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck etc. in Verbindung gebracht. Die methodische Qualität einschlägiger Studien wird als niedrig eingestuft. Das belegt eine Auswertung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Zum einen handelt es sich – wie meist in Ernährungsfragen – um Beobachtungsstudien, die Zusammenhänge aufweisen, aber keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen belegen. Zum anderen verflachen die Korrelationen, wenn andere Lebensstilfaktoren berücksichtigt werden – etwa Rauchen oder körperliche Aktivität. Zivilisationskrankheiten sind schließlich multifaktoriell bedingt; psychologische Faktoren, der sozioökonomische Status, genetische Veranlagung und das Bewegungsverhalten spielen daher ebenso eine Rolle.

Fragwürdige Einteilung

Hinzu kommt, dass es weder eine wissenschaftliche Einigung über die Definition noch eine rechtliche Zuordnung „hochverarbeiteter“ Lebensmittel gibt. Die Grundlage der meisten Studien bildet die sogenannte NOVA-Klassifikation, die ihrerseits in der Kritik steht: Sie unterscheidet zwischen vermeintlich „gesunden“ (Gruppe 1, unverarbeitet oder minimal verarbeitet) und „ungesunden“ Lebensmitteln (Gruppe 4, hochverarbeitet). Das wird jedoch von nationalen Ernährungsgesellschaften und Berufsverbänden, etwa in Deutschland, Österreich und der Schweiz, abgelehnt. Entscheidend ist vielmehr, wie viel wir wovon essen.

Weiters sind die Kriterien für die Einteilung in die vier Klassen teilweise problematisch: In der NOVA-Gruppe 4 finden sich z. B. Süßigkeiten und Limonaden ebenso wie Wurstwaren, Chili-Tofu oder verpacktes Vollkornbrot. Letzteres gilt als „hoch­verarbeitet“, wenn neben In­haltsstoffen wie Emulgatoren oder Farbstoffen beispielsweise Attribute wie „in Scheiben geschnitten“ oder „aus Massenproduktion“ zutreffen. Mit einer Ad-hoc-Zuordnung haben ­darüber hinaus selbst Fachleute Probleme. In welche Kategorie fällt etwa Butter? „1 oder 3, jedenfalls nicht 2 oder 4“, war zuletzt bei einer Tagung zu hören. ­Korrekterweise wäre es nämlich NOVA 2.

Smart und unaufwendig

Will man Menschen für eine gesunde, nachhaltige Ernährung begeistern, muss sie smart, genussvoll und unaufwendig sein. Verarbeitete Lebensmittel können diese Anforderung erfüllen. Denn der Verarbeitungsgrad sagt nicht zwingend etwas über Inhalts- und Nährstoffe sowie den Beitrag zu einer gesunden Ernährung aus. Die Ergebnisse einer 2023 in den USA veröffentlichten Studie belegen, dass sich mit einem sorgfältig ausgewählten Tagesmenü eine hohe Qualitätsbewertung nach dem Healthy Eating Index (HEI) erreichen lässt, auch wenn die Speisen überwiegend auf hochverarbeiteten Lebensmitteln basiert. In dem erstellten Menü stammten 91 Prozent der Kalorien aus hochverarbeiteten Lebensmitteln und der HEI betrug 86 von 100 möglichen Punkten. Damit lag er über dem Durchschnittswert der US-Bevölkerung, der bei 59 Punkten liegt. Auch ein Vergleich von Allesessern, vegan und vegetarisch lebenden Menschen zeigt: je weniger vom Tier, desto mehr verarbeitete Produkte, desto höher aber auch die Ernährungsqualität und desto eher Normalgewicht. Vielfach liegt es demnach am gesamten Essmuster und nicht an einer auf der Verarbeitungsintensität basierenden Einteilung.

Ganzheitliche Betrachtung

Neben anerkannten Definitionen und einer validen Datenlage ist daher vor allem eines nötig: Eine nuanciertere Diskussion, die Mäßigung, Ausgewogenheit und einen insgesamt gesunden und nachhaltigen Lebensstil thematisiert. Wichtig ist das auch deshalb, weil polarisierende Diskurse viele Menschen verunsichern und es ohnehin in der komplexen Welt der Ernährung nie ein Entweder-oder, sondern immer ein Sowohl-als-auch geben wird.

Daher sind Anstrengungen zu unternehmen, Konsumentinnen in ihren Kompetenzen zu stärken, damit sie selbstbestimmt eine ausgewogene Lebensmittelauswahl treffen können. Teil dessen sollte eine umfassende Ernährungs- und Verbraucherbildung in der Schule sein, die Wissen und lebensmittelbezogene Fertigkeiten und Fähigkeiten vermittelt.

Als Grundlage für eine gesunde und nachhaltige Ernährung gelten ohnehin längst bekannte Eckpfeiler. Nationale Ernährungsempfehlungen und die Planetary Health Diet stimmen überein: abwechslungsreich essen, deutlich mehr von der Pflanze und weniger vom Tier, auf Portionsgrößen achten, sich Zeit lassen und genießen. Darüber hinaus: ausreichend bewegen.

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Die Autorin

Marlies Gruber ist Geschäftsführerin des forum. ernährung heute (f.eh), Autorin von Fach- und Sachbüchern und unterrichtet als Gastdozentin an FH.

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