10 Fragen

Worüber man bei den Salzburger Festspielen heuer sprechen wird

Da capo: Im Coronajahr 2021 hatte „Don Giovanni“ Premiere, inszeniert von Romeo Castellucci, dirigiert von Teodor Currentzis. Diese Produktion wird heuer wieder aufgenommen - ohne von der Decke stürzendes Auto, aber mit allen weiten Bildern, für die Castellucci berühmt ist. Premiere ist am 28. Juli.
Da capo: Im Coronajahr 2021 hatte „Don Giovanni“ Premiere, inszeniert von Romeo Castellucci, dirigiert von Teodor Currentzis. Diese Produktion wird heuer wieder aufgenommen - ohne von der Decke stürzendes Auto, aber mit allen weiten Bildern, für die Castellucci berühmt ist. Premiere ist am 28. Juli.SF/Ruth Walz
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Ein neuer „Jedermann“, Currentzis, eine mögliche neue Star-Sopranistin und ein litauischer „Zauberberg“: Die Salzburger Festspiele bieten viel – und auch viel Stoff für Debatten. 10 Fragen, die uns diesen Sommer besonders beschäftigen werden.

„Bewegungen zwischen Himmel und Hölle“ verheißt der Prolog zum Salzburger Sommer 2024. Es sind die neunten Festspiele von Intendant Markus Hinterhäuser, sechs sollen noch folgen, sein Vertrag wurde im April bis 2031 verlängert. Das ist eine veritable Ära, und das schien vor einem halben Jahr noch nicht so klar: Sein Festhalten an Dirigent Teodor Currentzis wurde kritisiert, dazu kam die Aufregung um den „Jedermann“. Durchgesetzt hat sich wohl Hinterhäusers Bekenntnis zur Qualität und, ja, zur Hochkultur: Für oberflächliche Anbiederung an Populärkultur – à la „Westbam Meets Wagner“ bei den Osterfestspielen – ist der 66-jährige Klassikpianist und Leonard-Cohen-Fan nicht zu haben. Eher für die „elementare Schönheit des Maßlosen“, von der auch das Programmheft schwärmt.

Wie wird der neue „Jedermann“?

Die Erwartungen an den neuen „Jedermann“ – der am 20. Juli, traditionellerweise fast eine Woche vor der offiziellen Festspieleröffnung (26. Juli) Premiere hat – sind ausgesprochen hoch. Kein Wunder, wurde doch das Team von Regisseur Michael Sturminger im Dezember 2023 überraschend ausgetauscht, was für einige Empörung sorgte. Anstelle des grüblerisch wirkenden Michael Maertens spielt der energetische Publikumsliebling Philipp Hochmair die Hauptrolle; und nach den vor- und vorvorjährigen Regie-Tändeleien mit non-binären Figuren bzw. Klimakrise soll der kanadische Opernregisseur Robert Carsen, ein ausgewiesener Hugo-von-Hofmannsthal-Kenner, das Spiel vom Sterben (des reichen Mannes) betont ernst nehmen. Keine postmoderne Folklore auf dem Domplatz also. Aber viele Werke.

Neue Buhlschaft, neuer Jedermann: Deleila Piasko, Philipp Hochmair.
Neue Buhlschaft, neuer Jedermann: Deleila Piasko, Philipp Hochmair.Neumayr

Was sagt die Urenkelin Nikita Chruschtschows?

Putin habe sich zwar getäuscht, der Westen die Lage aber kaum vernünftiger eingeschätzt: Wenn Nina Chruschtschowa, 61-jährige Urenkelin Nikita Chruschtschows, über den Ukraine-Krieg spricht, bezeichnet sie nicht nur die russische Politik als „verabscheuungswürdig“, sie geht auch mit dem Westen hart ins Gericht. Moralische Heimeligkeit darf man sich daher von der Eröffnungsrede nicht erwarten, die sie am 26. Juli halten wird. Die in Moskau geborene und seit dem Studium in den USA lebende Politikwissenschaftlerin lehrt Internationale Politik an der New School in New York und ist äußerst vertraut mit den politischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte in Russland. Diese Vertrautheit vermisst sie bei vielen westlichen Entscheidungsträgern; Russland sei lang einerseits als diabolisch und andererseits als ganz schwach karikiert worden – in Chruschtschowas Augen ein Fehlurteil mit fatalen Folgen.

„Der Zauberberg“ auf Litauisch, geht das?

„Parlez Allemand, s’il vous plaît“, sagt in Thomas Manns „Zauberberg“ die Russin Clawdia Chauchat zum (Anti-)Helden, Hans Castorp, der sich ihr lieber auf Französisch nähern will. Die neue Salzburger Schauspiel-Chefin Marina Davydova, ebenfalls Russin, folgt ihr da nicht: Sie hat den polnischen Regisseur Krystian Lupa eingeladen, den „Zauberberg“ auf Litauisch nach Salzburg zu bringen. Das wird wohl schon vor der Premiere (20. August) für Debatten sorgen. Kann dieser höchst epische Roman, den Mann selbst ein „sehr deutsches Buch“ nannte, erstens sinnvoll dramatisiert werden (im Burgtheater ist das unlängst nicht geglückt), und kann er zweitens in einer anderen Sprache wirken? Man traut Lupa, der als Theaterzauberer gilt, zumindest ein interessantes Experiment zu.

Gilt als Theaterzauberer: der polnische Regisseur Krystian Lupa.
Gilt als Theaterzauberer: der polnische Regisseur Krystian Lupa.Laura Vansevičienė

Wie postdramatisch wird das Theater?

In Krems bauten sie einen Parcours durch die Welt des Waffen- und Drogenhandels, im Wiener Volkstheater gründeten sie für zwei Stunden eine taiwanesische Botschaft: nur zwei Beispiele für die intelligenten Spiele der deutschen Künstlergruppe Rimini Protokoll. Dokumentarisches Theater nennt man das. Nach Salzburg bringt die Gruppe das Stück „Spiegelneuronen“, das sie selbst als Experiment bezeichnet. Es geht um die Nervenzellen im menschlichen Hirn, in denen manche Forscher den Sitz der Empathie vermuten. Also der Reflexion der Gefühle von Mitmenschen. Entsprechend wird wohl das Publikum (ab 14. August in der Szene Salzburg) einbezogen. Klingt spannend, provoziert aber auch eine Frage: Wie postdramatisch kann und soll das Theater bei den Festspielen werden?

Konzertanter Strauss: Spottet man zu Recht?

Ein wenig Häme schwingt mit, wenn das Gespräch auf die erste Opernproduktion des diesjährigen Sommers kommt: Christian Thielemann dirigiert Richard Strauss’ Schwanengesang „Capriccio“ – konzertant; mit Elsa Dreisig in der zentralen Partie der Gräfin. Konzertant? Man erinnert sich der kongenialen Salzburger Realisierung des heiklen „Konversationsstücks“, in dem 140 Minuten lang pausenlos darüber disputiert wird, ob in der Oper Wort oder Ton Vorrang genießen sollten, anno 1985 durch Johannes Schaaf. Vier Spielzeiten stand die umjubelte Aufführung auf dem Spielplan, in der das scheinbar so verblasene Stück in einer Art Zeitmaschine im Rokoko begann und in der Entstehungszeit, mitten im Zweiten Weltkrieg, endete – eine Regie, dezent und mit Geschmack. Hand aufs Herz: Welchem Regisseur wäre sie heute zuzutrauen?

Teodor Currentzis: Regt er auch mit Bach auf?

Teodor Currentzis polarisiert nach wie vor. Früher wurde der griechisch-russische Dirigent rein musikalisch vergöttert oder verteufelt: Den einen galt er als neuer Klassik-Messias mit auch jugendlicher Jüngerschar, den anderen als Scharlatan und Selbstdarsteller, übrigens mit Argumenten, die seinerzeit auch gegen Nikolaus Harnoncourt vorgebracht wurden. Mittlerweile verläuft die Bruchlinie auf politisch-moralischer Ebene: Ist Currentzis’ Schweigen zum Ukraine-Krieg eine Zustimmung, dient er sich zum eigenen Vorteil Putin an? Markus Hinterhäuser vertraut ihm: Currentzis dirigiert Bachs Matthäuspassion und erneut Romeo Castelluccis Inszenierung des „Don Giovanni“.

Teodor Currentzis polarisiert nach wie vor.
Teodor Currentzis polarisiert nach wie vor.Alexandra Muraveva

Braucht es wirklich gleich zwei Dostojewski-Opern?

Dostojewski, die Kriegswaffe. Putin beruft sich auf ihn, was wieder jene bestätigt, die den russischen Dichter als Wegbereiter des russischen Imperialismus sehen. Dostojewski ist in manchen Kulturkreisen, nicht nur der Ukraine, zum Outcast geworden. In Salzburg aber kommt sein Werk mit gleich zwei Opern nach Dostojewski-Romanen (Miec­zysław Weinbergs „Der Idiot“ und Sergei Prokofjews „Der Spieler“) ins Spiel. Wie passt der große Russe zur großen Oper? Die Frage erübrigt sich fast bei diesem Spannungsmeister und „Grenzüberschreiter“ (so nannte ihn Stefan Zweig) auch in der Emotion. Und bei seinem Gespür für die menschliche Psyche, das einem seine Figuren so nahe bringt, jenseits aller Ideologie. Wer übrigens nach Salzburg noch nicht genug von Dostojewski-Opern hat, kann im September nach Luzern zur nächsten, einer ganz neuen, reisen: Basierend auf einem Libretto der Bachmannpreisträgerin 2013, Katja Petrowskaja, hat Lucia Ronchetti den Roman „Der Doppelgänger“ vertont.

Neue und nicht so neue Sopranistinnen: Gelingt Kathryn Lewek der große Sprung?

Von Riccardo Muti bis Anne-Sophie Mutter, von Grigory Sokolov bis Juan Diego Flórez: An großen Namen mangelt es nicht. Bei der Extrakategorie der Sopranistinnen gilt in Salzburg freilich die Regel: Unsere Stars machen wir selbst. Asmik Grigorian zum Beispiel, sie ist heuer in der relativ unglamourösen Partie der Polina in Prokofjews „Spieler“ zu erleben. In Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ gibt Kathryn Lewek alle vier großen Frauenfiguren – gelingt ihr damit der Sprung in die vorderste Riege? Nicht zu vergessen Mezzosopranistin Cecilia Bartoli, vokal und als Pfingst-Prinzipalin ohnehin eine Klasse für sich: Sie wiederholt ihren Gendergrenzen überwindenden Sesto in Mozarts „Clemenza di Tito“.

Kathryn Lewek könnte die Star-Sopranistin der Saison werden.
Kathryn Lewek könnte die Star-Sopranistin der Saison werden.© Simon Pauly

Ist der „spirituelle“ Teil der Festspiele sogar der schönste?

Wer die Ouverture spirituelle auslässt, dem entgehen einige der bewegendsten Musikerlebnisse jedes Festspielsommers. Abseits allen „Seitenblicke“-Trubels ist im entrückten Raum der Kollegienkirche ein neugieriges Publikum ganz bei der Sache, wenn Stile, Genres, Epochen und manchmal auch Kunstdisziplinen aufeinandertreffen, um große Fragen des Menschseins zu beleuchten. Renaissance und Gegenwart, Moderne und Barock vereint heuer das Motto „Et exspecto – Und ich erwarte“. Rund um Hoffnung und Glaubensgewissheit, Zweifel und Verzweiflung kreisen nicht zuletzt Opern von Luigi Dallapiccola, Beat Furrer und Georg Friedrich Haas.

Was spielt Markus Hinterhäuser selbst?

Dass der Intendant Künstler (geblieben) ist, merkt man am ganzen Programm. Mit seiner Gesamtaufführung von Galina Ustwolskajas Sonaten etwa hat der Pianist 2018 einen Meilenstein in der Festspielhistorie gesetzt. Heuer pflegt er seine lebenslange Beziehung zum Lied weiter. Mit Matthias Goerne erkundet er zwei verschlüsselte Zyklen: Schostakowitschs „Michelangelo-Suite“, die hinter die Fassade des Kommunismus blickt, und Mahlers „Wunderhorn“-Lieder, in denen im scheinbar Volkstümlichen Abgründe klaffen. Und mit Georg Nigl taucht er in die Welt von Schönbergs „Buch der hängenden Gärten“ ein: pure Expression jenseits von Dur und Moll.

Intendant Markus Hinterhäuser.
Intendant Markus Hinterhäuser.Kolarik

Orchesterkonzerte in Salzburg

Die Wiener Philharmoniker spielen unter Blomstedt (Brahms, Mendelssohn), Andris Nelson (Mahlers Neunte), Riccardo Muti (Bruckners Achte), Dudamel (Strauss) und Yannick Nézet-Séguin (Beethoven, Berlioz).

Zu Gast: Utopia (unter Currentzis) mit der Matthäus-Passion, English Baroque Soloists mit Händels „Israel in Egypt“, RSO mit Nono und Dallapiccola, Le Concert des Nations mit Beethoven-Symphonien, Collegium 1704 mit Mozarts c-Moll-Messe, West-Eastern Divan Orchestra, Oslo Philharmonic, Pittsburg Symphony, Gustav Mahler Jugend­orchester, Berliner Philharmoniker (unter Petrenko) mit Bruckner und Smetana, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Mahlers Sechster.

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