Gastkommentar

Auch mein letzter Weg wird kein „virtueller“ sein!

(c) Peter Kufner.
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Das Kunstministerium teilt mir mit, Ansuchen können ab sofort nur mehr online gestellt werden. Aber was ist ein „Tool“? Was ein „UPS“? Ich verstehe Sie nicht.

Als ich heute Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, hatte sich die Republik Österreich in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt. Ich hatte unlängst beim Kunstministerium um ein Arbeitsstipendium (1500 Euro) für meinen neuen Roman „Der Zauberer des Jahrhunderts“ angesucht, an dem ich seit Jahren intensiv arbeite, und nun teilte mir das Kunstministerium mit, Anträge in der (analogen) Form, wie ich sie schon mein Schriftstellerleben lang (weit über 30 Jahre) stelle, würden nicht mehr bearbeitet. Die Kunstministeriumsbeamtin teilte mir mit: „Seit Mai werden Ansuchen online gestellt und somit bitte ich Sie um ein neuerliches Ansuchen in diesem Tool.“ Anbei sandte sie mir einen „virtuellen Weg“. Bei „technischen Fragen“ stehe mir „die Kanzlei“ als „Help Desk“ telefonisch per E-Mail zwischen 10–11 und 13–14 Uhr zur Verfügung. Sie empfahl mir, den „Online-Antrag“ auf dem Weg des „Transparenzportals“ zu übermitteln. (Anmeldung über die Anmeldemaske mittels USP oder ID-Austria-Kennung … et cetera. Mit herzlichen Grüßen.)

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Ohne dass ich etwas Böses getan oder geschrieben hätte, war ich mit einem Mal aus der Welt geworfen und vom öffentlichen Leben abgeschnitten. Ich war regelrecht schockiert und stelle mich nun darauf ein, in meiner beruflich unabdingbaren und geradezu wesensspezifischen Weltfremdheit infolge Altersdiskriminierung der Republik Österreich nach guter alter Schriftstellersitte zu verhungern. Bevor ich aber damit beginne, arbeite ich noch an einem Antwortschreiben an die Kunstministeriumsbeamtin (nachrichtlich an den Sektionschef mit Bitte um Weiterleitung an den Minister, wer immer das auch gerade ist):

Sehr geehrte Frau Sch.! Was ist ein „Tool“? Was ist ein „Help Desk“? Was ist ein „Transparenzportal“? Was ist eine „Anmeldemaske“? Was ist ein „UPS“? Was ist eine „ID-Austria-Kennung“? Was habe ich Ihnen getan? Können Sie es denn gar nicht erwarten, dass ich vom Planeten subtrahiert bin? Ich beeile mich ohnehin!

Ich bin mein Schriftstellerleben lang den „Alleingang“ gegangen, nicht den „virtuellen Weg“. Auf dem „virtuellen Weg“ bräche ich mir alle virtuellen Oberschenkelhalsknochen. Auch mein letzter Weg wird kein „virtueller“ sein! „Technische Fragen“ (zwischen 10 und 11 und 13 und 14 Uhr) könnte ich (sofern ich durchkomme) natürlich nur formulieren, wenn ich das technische Rüstzeug dafür hätte, das ich als Nichttechniker, Nichtcomputerspezialist, Nichtvirtuellologe nicht habe, es sei denn, es wäre das griechische „techne“ (Kunst) gemeint. Aber auf solche semantischen Spitzfindigkeiten wiewohl Wahrheiten wird sich „die Kanzlei“ beim Prozess, mich aus der Realität zu mobben, wohl nicht einlassen.

Ich verstehe Sie nicht. Ich kann Sie nicht verstehen! Sie überfordern mich völlig. Bitte korrespondieren Sie als Vertreterin des Österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur mit mir in der Amtssprache Deutsch. Bitte verbreiten Sie in Ihrem Zuständigkeitsbereich mein Anliegen um altersgerechte menschenwürdige Behandlung und Kampf gegen die um sich greifende demütigende amtliche Altersdiskriminierung!
Mit herzlichen, nichtsdestotrotz wütenden Grüßen,

Dr. Egyd Gstättner (60+) & Dr. Franz Kafka

PS: Sehr herzlich lässt Sie auch einer meiner Vorgänger, Johann Nestroy (60+), grüßen und teilt Ihnen mit: Der Fortschritt hat es an sich, dass er viel größer ausschaut, als er ist.

Egyd Gstättner (*1962) ist Autor, Theatermacher und Kolumnist.

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