Ratspräsidentschaft

Österreichs Regierung geteilter Meinung zu Ungarn-Boykott

Die Minister Rauch (re.), Brunner und Kanzle Nehammer (Mitte)
Die Minister Rauch (re.), Brunner und Kanzle Nehammer (Mitte)APA / BKA / Florian SchrÖtter
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Der FPÖ will, dass die Regierung den Boykott der ungarischen Ratspräsidentschaft durch die Kommissionspräsidentin verurteilt. Doch die hat noch keine einheitliche Position gefunden.

Zum Boykott der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft durch die EU-Kommission hat die Bundesregierung noch keine gemeinsame Linie. Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) wird sich dem Boykott anschließen, erklärte der Ressortchef am Rande eines Termins in Wien am Dienstag. Zurückhaltender äußerten sich die ÖVP-Minister Magnus Brunner und Martin Kocher. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ist weiter gegen einen Boykott Ungarns.

Zunächst müsse man festhalten, was (Ungarns Regierungschef, Anm.) Viktor Orban getan hat, sagte Rauch: Es sei „inakzeptabel“, dass Orban (dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat) nach Moskau reiste. „Ich habe für mich entschieden, zu diesen Räten (Ministerräten unter ungarischer Präsidentschaft, Anm.) nicht zu fahren“, stellte Rauch klar. Dies sei seine „persönliche politische Entscheidung“, sagte er auf die Frage, ob dieses Vorgehen innerhalb der Regierung abgestimmt ist. „Man muss klare Kante zeigen“, denn es sei durch Orban „eine Grenze überschritten worden“.

Zur Frage, ob man Ungarn das Stimmrecht im Rat der EU entziehen sollte, wie es 63 EU-Abgeordnete in einem Brief an die EU-Institutionsspitzen gefordert hatten, sagte Rauch, dies müsse in Europa entschieden werden. Es gehe um eine „konsequente Haltung Ungarn gegenüber“ - eine solche sei nötig, ließ er aber Sympathien für diese Idee durchklingen.

Finanzminister Magnus Brunner, der als möglicher Kandidat für den Posten des nächsten EU-Kommissars gilt, sagte am Dienstag in Brüssel, er habe „natürlich Verständnis für die Europäische Kommission, hier ein Zeichen zu setzen“. Bei den Vorgängen der letzten Tage und Wochen handle es sich um bilaterale Besuche, so Brunner in Hinblick auf Orbáns umstrittene Reisen.

„Auf der anderen Seite geht es um die Zukunft Europas. Und ich gehe davon aus, dass auch Ungarn die europäische Idee ganz vorne dran stellen wird“, so Brunner. Es gehe darum, die drängenden Probleme der Europäischen Union wie etwa die Wettbewerbsfähigkeit voranzubringen und auch mit dem ungarischen Vorsitz weiter zusammenzuarbeiten. Ob er selbst zu dem informellen Treffen der Finanzminister fahren wird, ließ sich Brunner offen. Die Bundesregierung werde eine gemeinsame Linie diskutieren. Brunner plädierte für eine rasche Nominierung des österreichischen Kommissars, „damit auch ein entsprechendes Portfolio für Österreich am Ende des Tages übrig bleibt“. Den von den Grünen vorgeschlagenen Ex-Vizepräsidenten des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), schätze er sehr, so Brunner.

Zurückhaltender als Rauch äußerte sich auch Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP): Dass Orban einen bilateralen Besuch durchführt, sei in Ordnung - es sei klar, „dass das bilateral war, nicht im Auftrag der EU“. Zur Frage, ob er an Räten teilnehmen werde, übte sich Kocher in Zurückhaltung: Dies hänge immer vom Terminplan ab. Zur Frage des Stimmrechtsentzugs verwies der Minister auf die Möglichkeiten, die auf EU-Ebene diesbezüglich bestünden.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hält an seiner bisherigen Position fest, wonach er sich gegen einen Boykott des ungarischen EU-Ratsvorsitzes aus Protest gegen die Soloaktionen von Ministerpräsident Viktor Orbán ausspricht, wie eine Sprecherin gegenüber der APA sagte. Schallenberg hatte vergangenen Mittwoch im Ö1-Morgenjournal die als „Friedensmissionen“ betitelten Reisen Orbáns kritisiert, darunter zu dem mit EU-Sanktionen belegten Kreml-Chef Wladimir Putin. „Er hat nicht im Namen der Europäischen Union gesprochen. Er hat kein Mandat, keinen Auftrag“, unterstrich Schallenberg.

Orbán habe eine Reise „auf eigene Kosten“ unternommen, „die nur Ungarn betrifft und sonst niemanden“, so Schallenberg. Orbán werde sich für seine ohne EU-Mandat erfolgten Reisen „erklären“ müssen, betonte der Außenminister. „Wir sollten klare Linien ziehen, aber auch die Kirche im Dorf lassen.“

Kickl fordert ÖVP auf, gegen von der Leyen zu stimmen

FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte die ÖVP auf, gegen die Wiederwahl von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu stimmen. An Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) appellierte Kickl, den Boykott zu verurteilen. „Von der Leyen ist Sinnbild und negative Symbolfigur der undemokratischen Abgehobenheit der EU-Bürokratie, eines zutiefst undemokratischen Selbstverständnisses und einer Abkoppelung der selbsternannten Eliten von den Völkern Europas“, wetterte Kickl. Die EU-Kommission sei „nichts anderes als die Angestellte der EU-Mitgliedsstaaten, aber sicher nicht ihr Chef“.

Kickl hat erst kürzlich gemeinsam mit Orbán und dem tschechischen ANO-Chef Andrej Babiš die Rechtsaußen-Fraktion „Patrioten für Europa“ ins Leben gerufen. Die Wiederwahl von der Leyens steht am Donnerstag in Straßburg auf der Tagesordnung. Die deutsche CDU-Politikerin braucht dafür eine absolute Mehrheit von mindestens 361 der 720 Abgeordneten.

Von der Leyen reagierte am Montag mit einer Boykott-Entscheidung auf die Alleingänge von Orbán in der Ukraine-Politik. Die deutsche Spitzenpolitikerin ließ ankündigen, dass an künftigen informellen Ministertreffen unter der Leitung der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft in Ungarn keine Kommissarinnen oder Kommissare, sondern nur ranghohe Beamte teilnehmen werden. Außerdem verzichtet die EU-Kommission auf den traditionellen Antrittsbesuch bei der ungarischen Präsidentschaft, wie ein Sprecher mitteilte. (red./APA)

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