Morgenglosse

Van der Bellens Warnung vor dem „Schubladisieren“ wiegt im Wahljahr doppelt so schwer

Van der Bellen.
Van der Bellen.APA/APA/Dietmar Stiplovsek
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„Entweder Wutbürger oder Gutmensch. Entweder Schwurbler oder Schlafschaf“: Die Aufteilung in Gegensatzpaare nützt am Ende nur jenen, die keine guten Antworten auf komplexe Herausforderungen haben.

Der Bundespräsident äußert sich nur selten – manche finden, zu selten – zur aktuellen politischen Gemengelage im Land. Wenn er es dann doch tut, wie traditionell zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele, hat das umso mehr Gewicht.

Während sich Kanzlerpartei und Koalitionspartner also stritten – über zu bauende oder eben nicht zu bauende Straßen oder die zu boykottierende oder eben nicht zu boykottierende EU-Ratspräsidentschaft Ungarns –, kritisierte das Staatsoberhaupt die Art, wie über aktuelle Themen gesprochen werde: In den Gesprächen würden stetig nur Gegensätze hervorgebracht. „Entweder Klimaterrorist oder Luftverpester. Entweder Wutbürger oder Gutmensch. Entweder Schwurbler oder Schlafschaf. Entweder Freund oder Feind. Schublade auf – hinein damit –, Schublade zu“, sagt Van der Bellen.

Wie aber sei denn nun eine Person „zu schubladisieren“, die „eigene Biogurken erntet und ein Schweinsschnitzel dazu isst“? Oder ein Mensch, „der Mustafa heißt und im harten Tiroler Dialekt redet?“, fragte er.

Ernsthaft darüber zu reflektieren wäre in diesem Wahljahr besonders wichtig. Auch oder gerade, weil der anhaltende Erfolg der FPÖ dazu führt, dass die ehemaligen Großparteien dazu neigen, das freiheitliche Schwarz-Weiß-Bild der Welt zu übernehmen und sich ihrer Diktion immer mehr anzupassen.

Dabei nützt die Aufteilung in Gegensatzpaare am Ende wieder nur den populistischen Kräften aller politischen Richtungen. Warum? Weil sie durch die Verkürzung des Diskurses davon ablenken, dass sie mit ihren vollkommen unterkomplexen Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragestellungen nicht mithalten können. 

Eine, die verstanden hat, wie wenig fruchtbringend und unnötig die Einteilung in politische Gegensatzpaare in den allermeisten Fällen ist, war übrigens die verstorbene Bundeskanzlerin a. D., Brigitte Bierlein. „Ich weiß nicht, ob konservativ und liberal unbedingt ein Gegensatz sein müssen“, sagte sie einmal zu ihrer eigenen politischen Verortung. „Aus meiner Sicht wären andere Gegensatzpaare aktueller: etwa Egoismus und Altruismus oder verantwortungsvolles Handeln anstelle einer Dominanz von Eigennutz.“

Eine gute Leitlinie. In diesem Wahljahr – und eigentlich immer.

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