Übung

Einsatztraining mit der Polizei: Von Journalisten sollte sich niemand retten lassen

„Die Presse“ und „Der Standard“ nehmen Täter Gerry fest.
„Die Presse“ und „Der Standard“ nehmen Täter Gerry fest.Jakob Langwieser/APA
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Die Polizei hat zum Einsatztraining geladen. Die Erkenntnis: Oft entscheiden sich Handlungen im Bruchteil einer Sekunde. Und jemanden festzunehmen ist schwieriger, als es aussieht.

Der Täter verschanzt sich hinter der Tür einer Wohnung, er hat schon ein oder mehrere Opfer mit einem Messer verletzt. Das ist alles, was wir im Moment wissen. Mit unseren gezogenen roten (Trainings-)Waffen positionieren wir uns vor der Tür, mehr im Stil der Chaos-Cops als wie Mitglieder von Swat.

Vorsichtig stoßen wir die Türe auf. Zum Glück ist niemand zu sehen. Vorsichtig wagen wir uns in den nächsten Gang. Wieder drei Türen. Alle geschlossen. Die Nerven sind angespannt, vor allem, weil der Raum so unübersichtlich ist. Wumms. Plötzlich geht die mittlere Tür auf, und der Täter zeigt sich. „Schießen“, schrei ich, ohne selbst zu schießen, dabei stehe ich ganz vorn.

Der Täter kommt schreiend auf uns zu

Er macht die Türe wieder zu, und wir drei müssen nach. Wohl wissend, dass der Angreifer jetzt auf uns lauert. Langsam stoße ich die Türe auf, aber reingehen trau ich mich nicht: Man sieht von hier aus fast nichts. Und ich habe keine Lust, er­sto­chen zu werden oder diese Übung zu verlieren. Die Kollegin vom „Standard“ geht voran. Da kommt Täter Gerry schreiend um die Ecke, das Messer in der Hand. Wir erschießen ihn. Was anderes ist uns jetzt auch nicht eingefallen.

Natürlich wissen wir nicht, ob wir getroffen haben, auch nicht, ob Gerry nicht doch die Kollegin zuerst erstochen hat. Auch dass wir vergessen haben „Polizei“ zu rufen, war nicht wahnsinnig schlau. Man stellt sich ja vor. Aber eines ist spätestens jetzt klar. Von Journalisten sollte sich niemand retten lassen. Nicht einmal im Spaß.

Richtige Entscheidungen

Dafür ist die Polizei da, und die hat genau aus diesem Grund zum Einsatztraining geladen. In drei Stunden sollen wir in den Bereichen Schießen, Taktik und Technik trainiert werden. Natürlich nicht völlig selbstlos. Es geht darum, Verständnis zu schaffen. Zu zeigen, wie schwierig es auch für die Polizei sein kann, Situationen richtig einzuschätzen. Wie nervlich angespannt man ist, wenn hinter der Türe ein vermeintlicher Gewalttäter lauert. Und wie wenig Zeit man hat, die richtigen Entscheidungen zu treffen – jahrelanges Training hin oder her.

Auch dass es manchmal deutlich besser ist, wenn viele Polizisten auf einen Täter losgehen als einer allein, lernen wir. Beim Techniktraining wird uns deshalb der Armstreckhebelgriff beigebracht. Die Kollegin vom „Falter“ damit allein auf den Boden bringen? Kein Problem. Gemeinsam den Kollegen von der APA niederzustrecken ist schon wieder schwieriger, vor allem weil der partout nicht mitmachen will.

Wie bringen wir ihn zu Boden?

Im Endeffekt müssen wir uns überlegen, wie wir ihn auf den Boden bringen. Gegen das Schienbein treten? In den Rücken treten? Alles keine gute Idee. „Tasern“, sagt die Kollegin im Scherz. Oder doch schießen? Wir wissen beide, es bringt nichts. Wir haben eh keine Zeit.

„Los-Stopp“, schreit Einsatztrainer Gerry, der vorher den Täter gemimt hat und uns nun die Feinheiten des Festnehmens beibringt. Wieder schreit er: „Los-Stopp“, so viel Zeit haben wir in der Realität, um jemanden auf den Boden zu bringen, bevor derjenige sich zu wehren beginnt und vermutlich flüchtet. Wir scheitern grandios.

Viele Arme, wenig Gewalt

Dabei ist es ein Tritt, der uns vielleicht gerettet hätte. Ein Tritt, damit der Täter das Gleichgewicht verliert und fällt. Doch dieser Tritt wird Konsequenzen haben. Der Täter, die Hände links und rechts von uns gesichert, fällt damit vielleicht Gesicht voran auf den Boden – in Wien wahrscheinlich auf den Asphalt. Das kann zu schweren Verletzungen führen. Wenn man „harmloser“ zutritt, dann ist nur das Knie kaputt. Aber wieder ist jemand verletzt.

„Die schonendste Art, jemanden festzunehmen, ist daher, wenn es viele sind“, erklärt Polizeisprecher Markus Dittrich von der Seite. Dann könne einer den Kopf abstützen vor dem Fall, und jeder sichere eine Gliedmaße. Sieht natürlich unfair aus, auch brutaler und wird offenbar auch von der Bevölkerung immer wieder kritisiert. Einer gegen viele. Das mag man in Österreich nicht.

Vieles kann man trainieren, die Realität nicht

Es kommt ohnehin seltener vor, als den Polizisten lieb ist. Oft sind sie nur zu zweit unterwegs, dann müs­sen richtige Technik – und viel Training – dazu beitragen, den passenden Griff anzuwenden.

Zehn Zentimeter dick ist das Buch, das die Polizisten dafür auswendig lernen müssen. Und trotzdem ist auch klar: Was vor Ort passiert und wie jemand festgenommen wird, liegt in der Verantwortung der Polizisten, die in Sekundenschnelle entscheiden müssen.

„Vielleicht läuft es nicht immer optimal“, sagt Sprecher Dittrich. Szenarien kann man trainieren, die Realität nicht. Jeder Polizist müsse seine Arbeit aber dokumentieren und verantworten und auch werden Einsätze, wenn jemand bei einer Festnahme schwer verletzt wurde, evaluiert. Auch gibt es einen Austausch mit ausländischen Kräften, was dort gut funktioniert – und was nicht.

Verantwortung vor dem Gesetz

Dass Polizisten ihre Maßnahmen so verorten müssen, dass sie keinen Rechtsbruch durchführen, betont auch Walter Huber, Landeskoordinator für das Einsatztraining, später. Nach dem werden sie bewertet – auch von der Bevölkerung. Und: „Das Auftreten ist das, was einen Polizisten ausmacht. Nicht die Uniform.“

Und dann fällt wieder der eine Satz, dass man viele Situationen im Bruchteil einer Sekunde entscheiden muss. Er sagt viel über die Polizeiarbeit aus. „Ganz so eine Stresssituation wie draußen konnten wir hier leider nicht erzeugen“, sagt Dittrich zum Abschluss. Danke. Die drei Stun­den waren schon Stress genug.

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