Bildverlust mit Handke, Flaute in den Netzen: In Frankfurt muß man sich heuer nicht anstellen

Die Buchmesse in Frankfurt wirkt heuer etwas ratlos: wenig Andrang, ruinöser Poker um Rechte für fremdsprachige Werke und viele Ankündigungen - etwa des neuen Handke-Romans.

Es herrscht Flughafenstimmung auf der Frankfurter Buchmesse. Es gehen weniger Menschen auf den Rollbändern, überall steht Wachpersonal, und die Stimmung ist seit den durch die Taschenkontrollen ausgelösten langen Schlangen bei der Eröffnung gedämpft. In der Stadt Frankfurt sind die Taxifahrer ganz verwundert über die wenigen Staus; und wer bei früheren Messen aufgrund der akuten Bettennot in Darmstadt, Wiesbaden oder sonstigen umliegenden Orten untergebracht werden mußte, findet heute Zimmer in Messenähe.

Kein Ereignis der letzten Jahre hatte eine derartige Wirkung auf der Welt größte Buchmesse wie der Anschlag in New York vom 11. September. Dabei hat man im Vorfeld einiges unternommen, um den Besuch angenehmer zu gestalten. Zwei neue Gebäude, das "Forum" und die Halle 3, um die Agora gruppiert, sollen die langen Wege verkürzen, man hat sich um mehr Serviceeinrichtungen bemüht, man hat die Aussteller neu gruppiert, und für nächstes Jahr wurde ein neues Design angekündigt.

Doch heuer will es nicht gelingen, sich auf die Hausaufgaben der Branche zu konzentrieren, obwohl einige anstehen. Ein überdurchschnittliches Wachstum ist im Bereich Reise- und Versandbuchhandel zu verzeichnen gewesen, während der Umsatz mit Titeln aus den Bereichen Wissenschaft, Schulbuch und Belletristik stagniert. "Harry Potter" hat dem Jugendbuch im vergangenen Jahr zu einem Boom verholfen. Zugenommen haben die Einkünfte aus Nebenrechten und Anzeigen.

Aber genau hierin liegt einer der Problembereiche der Branche. Der Poker um die Rechte für fremdsprachige Werke hat ruinöse Ausmaße angenommen. So ist es schwer vorstellbar, daß Econ-List-Geschäftsführer Christian Strasser die zwei Millionen Dollar, die er dem Vernehmen nach für die deutschsprachige Ausgabe der Memoiren Bill Clintons gezahlt haben soll, je wird einspielen können. Auf der anderen Seite trennte er sich von seinem deutschsprachigen Erfolgsautor Adolf Holl, der sein neues Buch im nächsten Jahr im Wiener Zsolnay-Verlag herausbringen wird.

So wird auf dieser Messe fast mehr über Ankündigungen als über bereits erschienene Bücher gesprochen. Der Suhrkamp-Verlag kündigte für den 21. Jänner 2002 das Erscheinen des neuen Opus magnum von Peter Handke an und lud aus diesem Anlaß zu einer Lesung.

"Innerweltliches"

Aus dem Manuskript mit dem Titel "Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos" las dann allerdings nicht - wie allgemein erwartet - der Autor, sondern Ulla Berkiewicz, die Frau des Verlagsleiters Siegfried Unseld. Das Buch um eine Bankkauffrau (man denke an den letzten Roman Martin Walsers) aus einer Flußhafenstadt wollte an die Tradition der Romane Handkes aus den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts anknüpfen und "innerweltliche Abenteuer" schildern.

Vielleicht hat die Ankündigungswut etwas mit der Ratlosigkeit in der Branche zu tun, die nicht recht weiß, wie es weitergeht. Am deutlichsten spürbar auf dem Elektronik-Sektor. Das E-Book schläft weiter seinen Dornröschenschlaf und wartet noch immer darauf, von Prinz Kunde wachgeküßt zu werden. Man kann in dem Buch auf Silizium-Basis zwar in jedem beliebigen Text nach jedem beliebigen Wort suchen, aber es ist schwer vorstellbar, sich damit gemütlich in ein Sofa zu verkriechen. Wirklich Neues hat die Branche nicht anzubieten, dementsprechend dürftig ist auch der Besuch in der Halle eins, der Electronic-Media-Halle.

Am spannendsten ist noch die Präsentation eines Buches (sic!) zur "Literatur im Netz" der Vorarlbergerin Christine Böhler, das im Wiener Triton- Verlag erscheint und sich mit den vielfältigen Möglichkeiten des neuen Mediums für die Literatur beschäftigt. Denn das Netz wird auch die Kategorien der Bewertung von Literarizität ändern.

Ruhig ist es auch in der ehemals belebtesten Halle, der Halle sechs. Denn dort sind nicht mehr die deutschsprachigen Belletristik-Verlage angesiedelt, sondern die internationalen Verlage, darunter etliche aus arabischen Ländern: Ägypten, Iran, Jordanien, Kuwait, Libanon, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Gesucht wird nicht nach Titeln aus dieser Weltregion, sondern nach bereits übersetzten Büchern über die islamische Welt.

Deshalb findet ein Buch mit dem Titel "Die Sonne im Gesicht", das im Wiener Jungbrunnen Verlag schon vor dem 11. September vorhanden war, höchstes Interesse: In diesem Jugendbuch erzählt die Kanadierin Deborah Ellis vom Elend der Menschen in Afghanistan, vom Leben in einem von Krieg, Gewalt und Terror ausgebluteten Land.

Bericht aus Pakistan

Die Autorin ist Psychotherapeutin und hat mit afghanischen Frauen und Mädchen in pakistanischen Flüchtlingslagern Monate verbracht. Diese wissen nun nicht, ob sie sich mehr vor den Taliban oder den Amerikanern fürchten sollen. In Halle acht hingegen weiß man das genau: Dort sind die Aussteller von Israel und den Vereinigten Staaten angesiedelt. Deshalb sind dort die Sicherheitsvorkehrungen auch am größten.

Gar nicht überwacht wirkt die erstaunlich vielfältige Ausstellung des diesjährigen Gastlands Griechenland im neu errichteten "Forum". Hellas war bei der Vorbereitung offensichtlich sehr darauf bedacht, von Griechenland als der Wiege der abendländischen Kultur einerseits zu profitieren, sich andererseits jedoch als modernes, hochtechnisiertes europäisches Land zu zeigen.

So verweist die interessante Ausstellung zwar auf die Antike, aber mit Mitteln der modernen Multi-Media-Technik. Und es sind in der auch gestalterisch ansprechenden Ausstellung nicht nur literarische Produkte kennenzulernen, sondern auch welche aus der bildenden Kunst, der Musik und der Photographie. Indirekt gesteht man damit ein, daß die griechische Gegenwartsliteratur nicht nur im restlichen Europa so gut wie unbekannt ist, sondern zu allererst im eigenen Land.

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