"Se, jie": Die Schlange im Herzen

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Ang Lees großes, dunkles Eros-Epos „Gefahr und Begierde“: Heute Premiere bei der Viennale, ab 1. November österreichweit im Kino.

„Wie eine Schlange kriecht er zu meinem Herzen empor“, schildert die schöne Agentin (Tang Wei) ihre sexuellen Begegnungen mit dem hochrangigen Kollaborateur (Tony Leung). Ihr Verbindunsgoffizier herrscht sie nur an, zu schweigen. Es gibt keine Hilfe, kein Entkommen aus der Verstrickung, die vor Jahren fast spielerisch begann, im Taumel über die erfolgreiche Aufführung eines patriotischen Stücks in Hongkong, 1938. Die talentierte Hauptdarstellerin wurde bald für eine andere Rolle gewählt: Den wichtigen, vorsichtigen Beamten im Sold der verhassten japanischen Besatzer für ein Attentat in die Falle zu locken. Ein Spiel auf Leben und Tod.

Zweieinhalb Stunden lässt sich Ang Lee Zeit, um mit klassischer Eleganz und Selbstbewusstsein die Details der abgründigen Affäre und der historischen Schauplätze auszukosten: Gefahr und Begierde(im Original:Se, jie) ist ein monumentales Herzensprojekt, das dem US-taiwanesischen Ausnahmeregisseur wohl nur der Oscar-Erfolg von Brokeback Mountain ermöglichte. Erst in der zweiten Hälfte kommen die vorab, auch wegen Chinas Zensur hochgespielten Sexszenen. Bemerkenswert an ihnen ist die Mischung aus Gewalt und Leidenschaft: Auch sie drücken vor allem den Zwiespalt aus, der die Protagonisten in einen Abgrund zieht, wie er zuletzt, als alles zu spät ist, aufklafft.

Kongenial zweigeteilt ergo die Erzählung: Die Beziehungsanbahnung in Hongkong bricht mittendrin brutal ab, provoziert aber einen mühevollen Mord, ganz wie der lange, schmutzige Kampf zum Tod in Hitchcocks Agententhriller Der zerrissene Vorhang. Erst die zweite Chance in Shanghai 1941 löst das höllische Lodern der Leidenschaft aus. Ein Teufelskreis: Wie Lee raffiniert thematische und visuelle Motive wieder aufgreift, variiert, verleiht dem so sorgfältigen, bedächtigen Film tragische Wucht. Schon im Eröffnungsbild (ein Wächter, sein Schäferhund) fast alles zum folgenden Fall: das Animalische im Menschen; Lust, Vorsicht im Blick.

Der Täuschungskunst Kino widmet Lee mit Gefahr und Begierdeeine zwiespältige Liebeserklärung, ganz virtuoser Vermittler zwischen Ost und West: Bei Filmklassikern der jeweiligen Kulturen, Shanghai-Melodramen wie Hitchcock-Krimis, kann die Heldin im Dunkel kurz vergessen, dass sie spielt, spielen muss, erlaubt sich Tränen. Aber die Gefühle sind gefährlich und besiegeln ihr Schicksal: mit einem jähen Hechtsprung, der angesichts des getragenen Tempos dieser Tragödie umso schockierender ist.

Premiere: Heute um 20.30 Uhr, Gartenbau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2007)

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