Neuerscheinungen: Der Interviewer als Kollaborateur des Künstlers

Künstler-Interviews – es gibt wenig Verlockenderes zum Lesen als diese Einblicke in geheimnisvolle Gegenwelten. Zwei neue Sammelbände aus London und Wien.

„Warum haben Sie zugestimmt, dieses Interview zu geben?“ „Wir geben jedem ein Interview.“ Frustrierte das britische Künstler-Duo Gilbert & George 1990 den Interviewer des englischen Kunstmagazins „Art Monthly“. Ein im Dezember erschienener, 600-seitiger Taschenbuch-Ziegel versammelt jetzt die besten Künstler-Interviews, die seit der Gründung des Magazins, 1976, hier erschienen sind.

Die rund 150 ausgewählten Gespräche beginnen mit dem kurz darauf verstorbenen russischen Konstruktivisten Naum Gabo und enden beim aktuellen niederländischen Biennale-Venedig-Vertreter Niederländer Aernout Mik. Dazwischen wird u.a. Joseph Beuys, Richard Serra, Gustav Metzger, Sophie Calle und Hanne Darboven auf den Zahn gefühlt. In den 60er und 70er Jahren, als in der Kunst noch formale und politische Grabenkämpfe auszufechten waren, tat man das eindeutig aggressiver als heute. Besonders eindringlich wird dieser Spannungsverlust deutlich, folgt man Peter Fullers extrem kompetenten, angriffigen, mitunter auch penetrant Insiderischen Interviews mit Jasper Johns, Anthony Caro, Carl Andre, David Hockney in den späten 70er Jahren. Möchten sie etwa wirklich wissen, wie die angeblich enge Freundschaft zwischen Johns und Marcel Duchamp wirklich aussah, schlagen sie es hier nach.

Besser Interview statt Kunstkritik?

In solchen Augenblicken spürt man, dass das Interview im 20.Jahrhundert zur wichtigsten Form der Geschichtsschreibung wurde, wie Iwona Blazwick in ihrem einleitenden Essay „An Anatomy of the Interview“ behauptet. Heute, da Kunst keinen allgemein gültigen Qualitätskriterien, keinen formalen oder inhaltlichen Beschränkungen mehr unterliegt, müsste man sich vor allem fragen, ob das Künstlerinterview nicht überhaupt die Kunstkritik ersetzen sollte, wie es in den 60er Jahren bereits die feministische italienische Kritikerin Carlo Lonzi vorschlug.

Der Wiener Kunsthallen-Direktor Gerald Matt hat seinen eigenen Hunger nach „authentischer Nachricht“, nach „gleichwertiger Auseinandersetzung zwischen Urheber und Distributor“, heuer bereits zum zweiten Mal veröffentlicht, mit der Fortsetzung seiner erst Anfang des Jahres erschienen „Interviews“. Eine bedeutend frischere, jüngere, wenn auch deutlich knappere und weniger tief gehende Ergänzung zum spröden, völlig abbildungslosen britischen Wälzer.

Von Cattalan bis Wurm

Rund 40 Künstler haben sich vom Kunsthallen-Direktor und meist auch Kurator der eigenen Ausstellung wohl nicht lange bitten lassen, darunter Matthew Barney, Maurizio Cattelan, Erwin Wurm, Nathalie Djurberg.Ein derartiges Highlight, wie es im ersten Band das unkonventionelle Interview mit Elke Krystufek war, die sich etwa als Antwort auf eine Frage von Matt lieber selbst eine Frage stellte, nämlich wann sie in Pension gehe, fehlt diesmal allerdings. Disputeund Kritik werden hier nicht verhandelt, eher geht es um Erklärungen, um die Vermittlung der künstlerischen Konzepte – der Interviewer zeigt sich als Kollaborateur des Künstlers, seine heute zeitgemäße Rolle, wie auch „Art Monthly“-Herausgeberin Patricia Bickers in der Einleitung zu „Talking Art“ feststellt.

„Talking Art. Interviews with artists since 1976“, 19,95 Pfund; www.karstenschubert.com/publications

„Interviews“, Gerald Matt, Verlag Walther König, 2007, 24,80 €.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2007)

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