"Medizin vom Fließband": Medizinische Versorgung wie am Fließband

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Ein neues Buch analysiert die Industrialisierung der Gesundheitsversorgung.

Das Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen. Der medizinische Fortschritt wächst, die Nachfrage nach medizinischen Leistungen steigt. Die Bevölkerung wird zwar immer älter, sie wird aber nicht gesünder.

Auf der anderen Seite sind die Kassen der Krankenversicherungen leer. Die Kommunen ziehen sich immer mehr aus ihrer Verantwortung zurück, private Anbieter sind im Vormarsch. Eine Industrialisierung des Gesundheitswesens könnte die Branche in den kommenden Jahren massiv verändern. Welche Probleme aber auch Chancen diese „Revolution“ mit sich bringt und wie Alternativen aussehen könnten, beschreiben die Autoren Gerhard Flenreiss, Managing Director von MediCare Österreich und der Gesundheits- und Wirtschaftsjournalist Martin Rümmele in ihrem Buch „Medizin vom Fließband“.

Die laufende Debatte über die Zukunft des Gesundheitswesens umfasst primär Fragen der Finanzierung, der Strukturierung, der Versorgungssicherheit und natürlich auch der politischen Einflussbereiche. Die Autoren kritisieren, dass man hingegen die Auswirkungen einer beginnenden Industrialisierung auf die Mitarbeiter und auf die Patienten sträflich vernachlässigt. „Die kommenden Jahre werden geprägt sein von standespolitischen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen“, so die Autoren.

Längst weiß man, dass Mitarbeiter in Gesundheitsberufen oft am Limit arbeiten. Rund 70 Prozent der Ärzte fühlen sich ausgebrannt und auf dem besten Weg zu einem Burn-out-Syndrom. Jeder zweite soll sogar dann arbeiten, wenn er selbst krank ist. Eine Entwicklung, die sich noch verschärfen könnte, wenn sich das Szenario der Autoren bewahrheitet: Ärzte mutieren zu Fließbandarbeitern, Patienten zu Fällen.

Fälle, die im Minutentakt durch die neuesten medizinischen Geräte geschleust werden um die hohen Anschaffungskosten zu kompensieren. Die Autoren stellen die Frage: Geht der soziale Aspekt der Gesundheitsberufe ganz verloren? Gehört das Gespräch, der persönliche Kontakt, der wesentlich zu einer Heilung beiträgt, bald völlig der Vergangenheit an? Die Tendenz dazu ist längst erkennbar. Der Druck zu mehr Effizienz im Gesundheitswesen steigt seit Jahren. Personal wird abgebaut, Kliniken werden privatisiert, moderne Managementmethoden nehmen zu.

In ihrem Buch zeigen die Autoren die Trends im Gesundheitsbereich, Altenbetreuung, Arzneimittelbranche und Medizintechnikindustrie auf. Das Buch liefert einen guten Einblick in das komplexe Gesundheitswesen und lässt erahnen, wie vielschichtig die Interessen sind. t.h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2008)

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