Kirill Petrenko: Das Herz brennt

(c) Schaufenster (Julia Stix)
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Er macht jetzt nur mehr, was ihm wirklich am Herzen liegt: Der Dirigent Kirill Petrenko. Dazu gehört auch Janaceks „Katja Kabanova“. Ein Gespräch darüber, wie man Politur von Musik entfernt.


Dirigent des Jahres“ war Kirill Petrenko für die deutschen Musik-Journalisten 2007, als er sich von seinem Posten als Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin zurückzog. International gilt er längst als vielleicht größte Zukunftshoffnung im Opern- und Konzert-Leben. Im Gespräch gibt sich der Mann aus Omsk, der seit seinem 18. Lebensjahr in Vorarlberg zu Hause ist und in Wien sein Handwerk erlernt hat, bedachtsam und jedenfalls alles andere als vorschnell nach Karrierechancen schielend. Dass ihm die wichtigsten Orchester der Welt Avancen machen, erwähnt er nicht. Im Gegenteil: Petrenko will sich auf wenige, ausgewählte Aufgaben konzentrieren, Musik interpretieren, die ihm am Herzen liegt und jeder anderen, vielleicht glamourösen Versuchung widerstehen: „Das Leben ist zu kurz“, sagt er, Anfang dreißig, mit Blick auf seine Berliner Tätigkeit, die hinter ihm liegt und, so fährt er kommentierend fort, „vielleicht mehr Kraft gekostet hat, als ich zunächst gemerkt habe.“ Dutzende Aufführungen, Saison für Saison: „Als Generalmusikdirektor müssen Sie auch Werke dirigieren, die Ihnen vielleicht weniger zusagen. Ich muss mir jetzt aber nichts mehr beweisen. Ich will Musik dirigieren, bei der mir das Herz brennt.“ Dazu gehört die russische Romantik, dazu gehört, wie er sagt, „Musik der Epoche des Wiener Jugendstils, Zemlinsky, Franz Schmidt und natürlich Gustav Mahler“.

Für Mahler nimmt sich Petrenko jetzt Zeit. In Feldkirch, wo man ihn in Ruhe arbeiten lässt und Proben-Möglichkeiten gewährt wie nirgendwo sonst, gestaltet er mit dem Symphonieorchester Vorarlberg einen Zyklus mit sämtlichen Symphonien – „über die nächsten neun Jahre“, erzählt er, „machen wir jede Spielzeit eine Symphonie, chronologisch, und mit vollem Risiko: Ich möchte nämlich die Partituren so realisieren, wie Mahler das wollte, die Dinge so spielen, wie sie wirklich in der Partitur stehen. Das ist sehr oft schockierend, modern, wenn man so will, aber es hat sich, seit Mahler so viel gespielt wird, unendlich viel nivelliert, es hat sich eine Politur über die Stücke gelegt, die ich entfernen möchte. Wenn das Publikum nach der Aufführung der Fünften Symphonie nach Hause geht und sagt: ,Es war schön‘, dann ist etwas falsch gelaufen!“

Verantwortung gegenüber der Kunst. Ein Traumprojekt realisiert Petrenko in der kommenden Spielzeit auch in Frankfurt: „Ich dirigiere Pfitzners Palestrina, ein Werk, das mich tief bewegt, weil es die Lebensfrage jedes Künstlers thematisiert: die Verantwortung gegenüber der Kunst“. Auch für die Wiener Staatsoper gibt es Pläne, die noch nicht ganz ausgegoren sind, aber gute Chancen auf Realisierung haben, wie Petrenko avisiert. Sicher ist, dass die Zusammenarbeit mit dem Theater an der Wien fortgesetzt wird: Auch „Intermezzo“ von Richard Strauss gehört zu den Wunschkandidaten des Dirigenten und kommt im nächsten Jahr heraus.

Leos Janacek, dessen „Katja Kabanova“ er dieser Tage im Theater an der Wien dirigiert, gehört ohnehin zu den Lieblings-Komponisten des Dirigenten. „Seine ,Jenufa‘ war die erste Oper, die ich an der Berliner Deutschen Oper dirigiert habe, noch mit Karan Armstrong, einer faszinierenden Bühnenpersönlichkeit.“

Zum tschechischen – „eigentlich“, korrigiert Petrenko, „müsste man ja sagen, zum mährischen“ – Idiom hat er als Russe recht guten Zugang: „Natürlich ist es eine ganz andere Sprache, weil in Mitteleuropa doch viel mehr mit Konsonanten gearbeitet wird als bei uns in Russland. Aber ich kann, wenn ich den Text lese, gut verstehen, worum es geht. Das ist wichtig, denn wie Mussorgsky im Russischen kommt auch Janacek in seinem Wunsch nach musikalischer Wahrhaftigkeit ganz aus der Sprache. Und oft ist es beinahe unmöglich, den Rhythmus der Orchesterstimmen mit dem ganz der Sprachmelodie abgelauschten Rhythmus der Singstimmen zu synchronisieren. Die Synchronisierung, die hier nötig ist, stellt für den Dirigenten bei Janacek wohl die heikelste Aufgabe dar.“

Wider den Schock-Effekt. Als Orientierung im – gerade bei diesem Komponisten – schwer durchdringlichen Wald von Notenausgaben und Lesarten dient die Vorarbeit, die Dirigent Charles Mackerras für seine Wiener Janacek-Aufnahmen geleistet hat: „Was er hier für uns Dirigenten getan hat, ist unschätzbar. Mackerras hat die Dinge so aufgearbeitet, dass es möglich ist, sich zwischen glaubwürdigen Varianten zu entscheiden.“

Auch um festzustellen, was Janacek wirklich wollte, und was seine Arrangeure verändert haben, um die Schockwirkung der genial-zukunftsweisenden Harmonie- und Instrumentationseffekte abzuschwächen. „Natürlich“, gibt Petrenko zu, „muss man tatsächlich Unspielbares für die Musiker spielbar machen. Aber im Großen und Ganzen tut sich bei Janacek eine faszinierende Welt auf“, die mangels korrekter Erschließung bis dato kaum je wirklich für Hörer zur Erkundung
freigegeben war ...

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