Putins Faible fürs Bilaterale

Putin
Putin(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Andreas Pranter)
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Putin sucht in Österreich, was er in der EU nicht findet. Österreich wiederum versucht, den Bären gut zu stimmen. Beide kultivieren Mythen.

Wien. Verfolgt man, wie sich Kreml-Chef Wladimir Putin im Lauf der Jahre über die EU geäußert hat, mit der sein Land immerhin die Hälfte seines Außenhandelsvolumens abwickelt, und lässt man dann noch Revue passieren, wie sich die Führung des russischen Gaskonzerns Gazprom über die EU auslässt, in der er den Löwenanteil seiner Milliardeneinnahmen lukriert, dann lässt sich nur konstatieren: Putin und dem russischen Establishment ist die EU nicht nur egal. „Er verachtet sie sogar“, wie das Hans-Georg Heinrich, profunder Russland-Kenner und Chef des Wiener Thinktanks ICEUR, im Gespräch formuliert. Zu langsam in seinen Entscheidungen, zu pingelig und zu prinzipiell ist Europa in Putins Augen: Und zu schwul, weshalb man heute in Russland nur noch von „Gayropa“ spricht.

Nur nicht Brüssel

Will Putin also mit Brüssel als dem Hauptrepräsentanten einer europäischen Gesinnung möglichst wenig zu tun haben, wovon die jahrelange Nichteinigung auf ein Basisabkommen zeugt, so mit einzelnen EU-Staaten sehr wohl. Was Haupthandelspartner Deutschland denkt, respektiert er. Mit Frankreich will er ein gutes Einvernehmen. Und mit Österreich einfach auch in Zukunft tiefes Verständnis füreinander.

Es ist das Faible für Bilateralität, das auch hinter Putins Besuch am 24. Juni in Österreich steht. Übertragen auf den Gassektor hat EU-Energiekommissar Günther Oettinger dieses Faible einmal als russischen Wunsch interpretiert, die EU-Staaten gegeneinander auszuspielen und die Ausarbeitung einer geschlossenen Haltung zu hintertreiben. Gerade mit Österreich ist Moskau das gelungen: Während die EU derzeit neue russische Pipelineprojekte nach Europa bremsen will, um Gazprom zur Einhaltung der EU-Energieregeln zu zwingen, hat Österreichs OMV-Konzern soeben mit Gazprom eine Absichtserklärung über die Teilnahme am Pipelineprojekt South Stream unterzeichnet.

Alle Augen auf Wien

Moskau sieht Österreich hier als Fürsprecher in der EU, um die harte Position Brüssels auf dem Gassektor aufzuweichen. Beobachter halten freilich für denkbar, dass Putin sich auch ein Lobbying Österreichs in Sachen Ukraine und EU-Sanktionen gegen Russland erwartet. Lobbying sei das falsche Wort, wirft Siegfried Wolf, Österreichs höchstdotierter Manager in Russland und persönlicher Bekannter von Putin, ein: „Angesichts der angespannten Phase wäre es einfach höchst an der Zeit, einen vernünftigen Dialog zu beginnen“, sagt Wolf zur „Presse“: „Europa muss sehr aufpassen, dass es nicht zu sehr von den Interessen Amerikas, das wirtschaftlich nur wenig mit Russland verbunden ist, getrieben wird.“

Wie aus diplomatischen Kreisen zu erfahren ist, haben die anderen EU-Länder ein scharfes Auge auf Wien gerichtet, wie man hier mit Putin reden wird. „Ein möglicher Testlauf“, sagt ICEUR-Chef Heinrich.

Zwischen Realität und Mythos

Österreichs Wirtschaft drängt jedenfalls auf rasche Entspannung. Die Angst vor neuen Sanktionen und russischen Racheakten gehe um, erzählen Beamte. Vor allem Österreichs Banken sind nervös. Laut Nationalbank haben Raiffeisen International (RBI) und Bank Austria gemeinsam 36,3 Mrd. Euro an Krediten in Russland vergeben. Bei der RBI macht das Russland-Geschäft gar knapp die Hälfte des Vorsteuergewinns aus. „Für die österreichischen Flaggschiffe läuft das Russland-Geschäft gut“, so Heinrich. Auch die russische Wertschätzung für Österreichs Bautätigkeit bei den Olympischen Spielen in Sotschi sei noch gegeben, so Wolf.

Im Übrigen laufen Russland-Geschäfte derzeit alles andere als rund. Die Rubel-Abwertung seit Jahresbeginn und die Unsicherheit bei Investoren haben den Export nach Russland deutlich einbrechen lassen. Russland ist in eine Phase zwischen Stagnation und Rezession eingetreten, aus der kein schneller Ausweg prophezeit wird, weil man mit Umstrukturierungen hin zu einem neuen Wachstumsmodell um Jahre verspätet ist.

Dies vor dem Hintergrund, dass Russland seit Jahren als einer der aussichtsreichsten Märkte gehypt wird. Der Mythos ist vorerst gebrochen. Solange er gewirkt hat, wurde ohnehin vergessen, dass Österreich mit anderen, ungleich kleineren osteuropäischen Staaten wie Tschechien, Polen oder Ungarn längst mehr handelt als mit dem riesigen Russland.

Putin kommt als Freund Österreichs, wie Wolf es formuliert. Aber er kommt auch als Vertreter eines Rohstoffstaates, dessen typische fundamentale Probleme in ihrer Brisanz erst jetzt dramatisch zutage treten.

AUF EINEN BLICK

Wirtschaftsbeziehungen. Laut Nationalbank haben Raiffeisen International (RBI) und Bank Austria gemeinsam 36,3 Mrd. Euro an Krediten in Russland vergeben. Bei der RBI macht das Russland-Geschäft gar knapp die Hälfte des Vorsteuergewinns aus. Auch viele andere österreichische Unternehmen sind in Russland tätig. Doch mit anderen, ungleich kleineren osteuropäischen Staaten wie Tschechien, Polen oder Ungarn handelt Österreich längst mehr als mit dem riesigen Russland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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