57.000 deutsche Gefangene marschieren im Juli 1944 durch Moskau.
Vor 80 Jahren

Von der gewaltigsten Niederlage der deutschen Kriegsgeschichte

Von wegen Normandie und Stalingrad: In Belarus geschah vor 80 Jahren die größte militärische Katastrophe Deutschlands auch abseits des II. Weltkriegs: im Zuge der sowjetischen „Operation Bagration“. Speziellen Wert im Gedenkwesen hat sie nicht. Daher eine Geschichte in heftiger Überlänge. Nehmen Sie sich viel Zeit.

Pulverdampf waberte über abgeerntete, vor Kälte und Feuchtigkeit klamme Äcker. Ein Gewitter aus Gewehrschüssen, Granaten platzten, Männer schrien, Körper rissen auf, Blut mengte sich mit Erde. Der Tod ging um. Es war Krieg.

Schöngrabern ist ein idyllisches, in der gewellten Ebene des niederösterreichischen Weinviertels gelegenes Bauerndorf, drei Kilometer nördlich der Bezirksstadt Hollabrunn an der Straße nach Tschechien und mit einer wuchtigen romanischen Kirche aus dem 13. Jahrhundert, die durch ihren reichen Figurenschmuck, die „steinerne Bibel“, bekannt ist.

Am Abend des 16. November 1805 wurde das Dorf, heute Hauptort der rund 1700 Einwohner zählenden Gemeinde Grabern, indes zum Acker des Todes: Es war die Zeit der Napoleonischen Kriege. Die Franzosen hatten die verbündeten Österreicher und Russen seit September aus Süddeutschland nach Niederösterreich und Mähren zurückgedrängt, Napoleon zog am 13. November kampflos in Wien ein, Kaiser Franz II. hatte die Stadt verlassen.

Schauplatz der Schlacht bei Schöngrabern
Schauplatz der Schlacht bei SchöngrabernGooglemaps/Screenshot

Nun zog sich in diesen Novembertagen eine 35.000 Mann starke russische Armee unter Marschall Michail Kutusow (1745-1813) aus der Wachau durchs Weinviertel nach Norden zurück, um sich in Mähren mit österreichischen und weiteren russischen Truppen zu vereinen. Napoleon jagte Kutusow 30.000, womöglich 45.000 Franzosen hinterher, um ihn abzufangen. Bei Schöngrabern stellte sich eine etwa 8000 Mann zählende Nachhut den Franzosen entgegen, um den Abzug der Hauptmacht zu sichern.

Ein seltenes Lob von Napoleon

Es dunkelte an jenem 16. November schon, da begann ein wildes, teils konfuses Gefecht, in dessen Verlauf Schöngrabern durch russischen Kanonenbeschuss in Flammen aufging und die Franzosen tatsächlich vorläufig zum Stehen kamen.

Schlacht bei Schöngrabern 1805 (Gemälde von 1898)
Schlacht bei Schöngrabern 1805 (Gemälde von 1898)K. Bujnitsky/Gemeinfrei

Und obwohl die Russen etwa 3000 Mann verloren (die Franzosen 1200 bis 2000), gelang es ihrem lokalen Kommandeur, die Masse seiner Nachhut Stunden später sicher nach Norden abzuziehen. Sein Name: Pjotr Iwanowitsch Bagration.

General Pjotr Iwanowitsch Bagration um 1820 herum
General Pjotr Iwanowitsch Bagration um 1820 herumGeorge Dawe/Gemeinfrei

Bagration war eine auch nach heutigem Maßstab attraktive, klassische Mannesgestalt mit dichtem dunklem Haar, braunen Augen, schmalen Lippen, Backenbart und Adlernase, ein Fürst und General aus georgischem Adel, angeblich 1765 geboren, sicher ist das nicht. Er hatte seit Mitte der 1780er als Offizier für den Zaren gegen Türken, Polen und Franzosen gefochten. Das gelungene Nachhutgefecht im Weinviertel mehrte seinen Ruf.

Bagration war ein fortschrittlicher Taktiker, gerade für russische Verhältnisse, und legte auf bewegliche, streng organisierte Gefechtsführung großen Wert. Und als Russen und Österreicher wenig später, am 2. Dezember, bei Austerlitz (Slavkov u Brna) in Mähren doch übel von Napoleon geschlagen wurden, brachte Bagration seine Regimenter vom winterlichen Schlachtfeld und deckte erneut den Abzug der Hauptmacht. „Russland hat keine guten Generäle. Die einzige Ausnahme ist Bagration“, soll Napoleon später einmal gesagt haben.

Das Cannae der Heeresgruppe Mitte

In einem Sommer 139 Jahre später, die Felder standen in vollem Korn und schwüle Hitze drückte unter wolkenlosem Himmel auf endlose Ebenen, Felder, Wälder und Sümpfe, mischte sich Blut wieder mit Erde – aber in einem Maß, gegen das die Schlachten der napoleonischen Kriege wie Raufhändel oder sizilianische Bandenkriege anmuten. Jetzt war Russland in der Offensive, es hieß Sowjetunion, der Gegner war Deutschland, unter dem Regime der Nationalsozialisten.

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