Tonkin-Zwischenfall
Eine Lüge als ''Blankoscheck'' für den Krieg
Vor 50 Jahren traten die USA in Vietnam in einen Krieg ein, der nie erklärt wurde. Es folgte eine der größten militärischen Niederlagen der Vereinigten Staaten.
![Am 4. August 1964 wurde der US-amerikanische Zerstörer „Maddox“ im Golf von Tonkin angeblich mit nordvietnamesischen Torpedos beschossen – ein Lüge, wie sich Jahre später herausstellte. Die USA antworteten mit Bomben und fanden sich in einem Krieg wieder, der nie erklärt wurde.](https://img.diepresse.com/public/incoming/gwzm5d-RTXG36Z_1406529274565432.jpg/alternates/FREE_1200/RTXG36Z_1406529274565432.jpg)
Am 4. August 1964 wurde der US-amerikanische Zerstörer „Maddox“ im Golf von Tonkin angeblich mit nordvietnamesischen Torpedos beschossen – ein Lüge, wie sich Jahre später herausstellte. Die USA antworteten mit Bomben und fanden sich in einem Krieg wieder, der nie erklärt wurde.
(c) � STR New / Reuters
![1954: Nach jahrelangen Kämpfen wird auf der Indochinakonferenz in Genf eine Aufteilung Vietnams in einen kommunistischen Norden und einen „antikommunistischen" Süden beschlossen. Grenzlinie ist der 17. Breitengrad. Die US-freundliche Regierung Südvietnams wird fortan von den Amerikanern militärisch auf Vordermann gebracht. Zugleich entstehen Widerstandsbewegungen, die Anschläge verüben und sich zur Nationalen Befreiungsfront („FNL") zusammenschließen, um fortan gegen die US-Kräfte vorzugehen.](https://img.diepresse.com/public/incoming/9nq62q-imago60002287h-1_1406539839593901.jpg/alternates/FREE_1200/imago60002287h-1_1406539839593901.jpg)
1954: Nach jahrelangen Kämpfen wird auf der Indochinakonferenz in Genf eine Aufteilung Vietnams in einen kommunistischen Norden und einen „antikommunistischen" Süden beschlossen. Grenzlinie ist der 17. Breitengrad. Die US-freundliche Regierung Südvietnams wird fortan von den Amerikanern militärisch auf Vordermann gebracht. Zugleich entstehen Widerstandsbewegungen, die Anschläge verüben und sich zur Nationalen Befreiungsfront („FNL") zusammenschließen, um fortan gegen die US-Kräfte vorzugehen.
(c) imago stock&people (imago stock&people)
![Die Amerikaner antworten 1964 mit einem Bombenregen auf die Scharmützel der FNL. Bauern werden in überwachte „strategische Wehrdörfer“ umgesiedelt, damit sie die Aufständischen nicht unterstützen können. Am US-amerikanischen Festland wird indes ein politischer Wechsel vollzogen: Seit der Ermordung von John F. Kennedy im November 1963 ist Lyndon B. Johnson (Bild) US-Präsident. Er will mit der FNL weitaus härter ins Gericht gegen als sein Amtsvorgänger.](https://img.diepresse.com/public/incoming/q00bt4-To-match-story-CARO-JOHNSON_1406529968420912.jpg/alternates/FREE_1200/To-match-story-CARO-JOHNSON_1406529968420912.jpg)
Die Amerikaner antworten 1964 mit einem Bombenregen auf die Scharmützel der FNL. Bauern werden in überwachte „strategische Wehrdörfer“ umgesiedelt, damit sie die Aufständischen nicht unterstützen können. Am US-amerikanischen Festland wird indes ein politischer Wechsel vollzogen: Seit der Ermordung von John F. Kennedy im November 1963 ist Lyndon B. Johnson (Bild) US-Präsident. Er will mit der FNL weitaus härter ins Gericht gegen als sein Amtsvorgänger.
(c) Reuters (� White House / Reuters)
![Am 2. August 1964 nähert sich der US-Zerstörer „Maddox“ (Bild) den Inseln Hon Ngu und Hon Me. Seine Aufgabe: Aufklärungsdaten über nordvietnamesische Radaranlagen und Militäreinrichtungen gewinnen. Um 15.40 Uhr setzt die „Maddox“ einen Funkspruch ab: Drei nordvietnamesische Schnellbote würden sich ihr nähern und hätten Schüsse mit Torpedos und Bordfeuerwaffen abgegeben. Die „Maddox“ zieht sich zurück.](https://img.diepresse.com/public/incoming/rge8w6-sd_1406529410342422.jpg/alternates/FREE_1200/sd_1406529410342422.jpg)
Am 2. August 1964 nähert sich der US-Zerstörer „Maddox“ (Bild) den Inseln Hon Ngu und Hon Me. Seine Aufgabe: Aufklärungsdaten über nordvietnamesische Radaranlagen und Militäreinrichtungen gewinnen. Um 15.40 Uhr setzt die „Maddox“ einen Funkspruch ab: Drei nordvietnamesische Schnellbote würden sich ihr nähern und hätten Schüsse mit Torpedos und Bordfeuerwaffen abgegeben. Die „Maddox“ zieht sich zurück.
(c) U.S. Navy
![Am 4. August läuft die „Maddox“ erneut in den Golf ein – abermals kommt es zu einem Zusammenstoß: „Um 19.40 Saigoner Ortszeit meldete dann die 'Maddox' über Funk, es scheine ein Angriff bevorzustehen' und '... sie habe Radarkontakt mit drei nicht identifizierten Schiffen“, wird US-Verteidigungsminsiter Robert S. McNamara in seinen Memoiren notieren: „Die beiden Zerstörer berichteten über mehr als zwanzig Torpedoangriffe, durch Torpedoabschüsse hervorgerufene Turbulenzen im Wasser, feindliche Cockpitlichter, Suchscheinwerfer, Maschinengewehrfeuer und Radar- und Echolotkontakte.“ (Bild: Nordvietnamesische Schnellboote am 2. August, fotografiert von der USS Maddox)](https://img.diepresse.com/public/incoming/p0jhyd-nord_1406529476870942.jpg/alternates/FREE_1200/nord_1406529476870942.jpg)
Am 4. August läuft die „Maddox“ erneut in den Golf ein – abermals kommt es zu einem Zusammenstoß: „Um 19.40 Saigoner Ortszeit meldete dann die 'Maddox' über Funk, es scheine ein Angriff bevorzustehen' und '... sie habe Radarkontakt mit drei nicht identifizierten Schiffen“, wird US-Verteidigungsminsiter Robert S. McNamara in seinen Memoiren notieren: „Die beiden Zerstörer berichteten über mehr als zwanzig Torpedoangriffe, durch Torpedoabschüsse hervorgerufene Turbulenzen im Wasser, feindliche Cockpitlichter, Suchscheinwerfer, Maschinengewehrfeuer und Radar- und Echolotkontakte.“ (Bild: Nordvietnamesische Schnellboote am 2. August, fotografiert von der USS Maddox)
(c) U.S. Navy
![McNamara versucht, Näheres über die Vorgänge im Golf von Tonkin zu erfahren. Doch der Kommandeur der Einsatzgruppe Pazifik kann ihm keine Details, nur eine Einschätzung - vermutlich basierend auf einem Bericht des Geheimdienstes NSA – liefern. Demnach hätten Nordvietnamesen die Torpedos abgefeuert. McNamara informiert Johnson, der kurz darauf Vergeltungsschläge mit Luftangriffen befiehlt. (Bild: US-Darstellung des angeblichen Zwischenfalls am 4. August 1964)](https://img.diepresse.com/public/incoming/we7rfa-augnztj_1406540017823448.jpg/alternates/FREE_1200/augnztj_1406540017823448.jpg)
McNamara versucht, Näheres über die Vorgänge im Golf von Tonkin zu erfahren. Doch der Kommandeur der Einsatzgruppe Pazifik kann ihm keine Details, nur eine Einschätzung - vermutlich basierend auf einem Bericht des Geheimdienstes NSA – liefern. Demnach hätten Nordvietnamesen die Torpedos abgefeuert. McNamara informiert Johnson, der kurz darauf Vergeltungsschläge mit Luftangriffen befiehlt. (Bild: US-Darstellung des angeblichen Zwischenfalls am 4. August 1964)
(c) Wikimedia
![Am 5. August kündigt der US-Präsident in einer Fernsehansprache die Angriffe auf nordvietnamesische Stützpunkte an. Seine Rechtfertigung: Es handele sich um eine Reaktion auf „unprovozierte Attacken“ seitens Nordvietnam. Fast zeitgleich fliegen Kampfbomber von dem Flugzeugträger USS Ticonderoga 64 Einsätze gegen Marinestützpunkte und Ölversorgungseinrichtungen. (Bild: USS Turner Joy)](https://img.diepresse.com/public/incoming/lw5oo8-tunr_1406529694170316.jpg/alternates/FREE_1200/tunr_1406529694170316.jpg)
Am 5. August kündigt der US-Präsident in einer Fernsehansprache die Angriffe auf nordvietnamesische Stützpunkte an. Seine Rechtfertigung: Es handele sich um eine Reaktion auf „unprovozierte Attacken“ seitens Nordvietnam. Fast zeitgleich fliegen Kampfbomber von dem Flugzeugträger USS Ticonderoga 64 Einsätze gegen Marinestützpunkte und Ölversorgungseinrichtungen. (Bild: USS Turner Joy)
(c) U.S. Navy
![Doch Johnson geht das nicht weit genug: Er will einen „Blankoscheck“ für weitere Angriffe – und erhält ihn: Am 7. August kann er den US-Kongress dazu bewegen, die „Tonkin Resolution" zu verabschieden. Sie verleiht ihm ein Angriffsrecht bzw. erlaubt jegliche Maßnahmen zur Verteidigung von US-Truppen und ihren Verbündeten in Südostasien - ohne formal einen Krieg erklären zu müssen. Daraufhin beginnen die USA offiziell mit der Entsendung von Soldaten.](https://img.diepresse.com/public/incoming/ybsv3h-RTRHFR8_1406530545122567.jpg/alternates/FREE_1200/RTRHFR8_1406530545122567.jpg)
Doch Johnson geht das nicht weit genug: Er will einen „Blankoscheck“ für weitere Angriffe – und erhält ihn: Am 7. August kann er den US-Kongress dazu bewegen, die „Tonkin Resolution" zu verabschieden. Sie verleiht ihm ein Angriffsrecht bzw. erlaubt jegliche Maßnahmen zur Verteidigung von US-Truppen und ihren Verbündeten in Südostasien - ohne formal einen Krieg erklären zu müssen. Daraufhin beginnen die USA offiziell mit der Entsendung von Soldaten.
(c) REUTERS (� Reuters Photographer / Reuter)
![Erst Jahre später decken die „Pentagon Papiere“ auf, dass die Torpedoangriffe auf die „Maddox“ nur fingiert waren – eine Lüge, um in den Krieg ziehen zu dürfen. Laut Robert Hanyok, Historiker der NSA, hätte der Geheimdienst seine Berichte „gezielt produziert“. Ray McGovern, früherer CIA-Offizier, hält fest, dass klar gewesen sei, „dass die Beweise für irgend einen bewaffneten Angriff am Abend des 4. August 1964 (...) höchst fragwürdig waren. (…) Johnson und die Joint Chiefs of Staff [waren] begierig, den Krieg in Vietnam auszuweiten. Sie intensivierten die Sabotage- und Blitzüberfälle an der nordvietnamesischen Küste.“(Bild: Der spätere US-Außenminister Colin Powell bei einem Einsatz in Vietnam)](https://img.diepresse.com/public/incoming/osixzi-UNDATED-FILE-PHOTO-OF-COLIN-POWELL-IN-VIETNAM._1406530247100454.jpg/alternates/FREE_1200/UNDATED-FILE-PHOTO-OF-COLIN-POWELL-IN-VIETNAM._1406530247100454.jpg)
Erst Jahre später decken die „Pentagon Papiere“ auf, dass die Torpedoangriffe auf die „Maddox“ nur fingiert waren – eine Lüge, um in den Krieg ziehen zu dürfen. Laut Robert Hanyok, Historiker der NSA, hätte der Geheimdienst seine Berichte „gezielt produziert“. Ray McGovern, früherer CIA-Offizier, hält fest, dass klar gewesen sei, „dass die Beweise für irgend einen bewaffneten Angriff am Abend des 4. August 1964 (...) höchst fragwürdig waren. (…) Johnson und die Joint Chiefs of Staff [waren] begierig, den Krieg in Vietnam auszuweiten. Sie intensivierten die Sabotage- und Blitzüberfälle an der nordvietnamesischen Küste.“(Bild: Der spätere US-Außenminister Colin Powell bei einem Einsatz in Vietnam)
(c) REUTERS (� Reuters Photographer / Reuter)
![Nicht nur den Geheimagenten, auch Johnson selbst soll die Lüge bewusst gewesen sein. Wenige Tage nach der Verabschiedung der „Tonkin Resolution“ soll er laut seinem damaligen Vize-Außenminister Georg Ball gesagt haben: „Verdammt, diese saudummen Jungen haben nur auf fliegende Fische geschossen.“](https://img.diepresse.com/public/incoming/b6uxdr-RTRBLO3_1406530544680257.jpg/alternates/FREE_1200/RTRBLO3_1406530544680257.jpg)
Nicht nur den Geheimagenten, auch Johnson selbst soll die Lüge bewusst gewesen sein. Wenige Tage nach der Verabschiedung der „Tonkin Resolution“ soll er laut seinem damaligen Vize-Außenminister Georg Ball gesagt haben: „Verdammt, diese saudummen Jungen haben nur auf fliegende Fische geschossen.“
(c) REUTERS (� Reuters Photographer / Reuter)
![Am 29. Februar 1968 dämmert McNamara (Bild), dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Er tritt zurück. Vier Wochen später, am 31. März, kündigt Johnson ein Ende der Bombenkampagne an, bietet Friedensverhandlungen an und verblüfft: Er stellt sich nicht der Wiederwahl. Neuer Präsident wird Richard Nixon, der umgehend US-Soldaten von der Front abzieht – um am Abend des 29. März 1973 zu verkünden: „Der Tag, auf den wir alle hingearbeitet und für den wir gebetet haben, ist gekommen". Erstmals seit Jahren „befinden sich keine amerikanischen Truppen in Vietnam".](https://img.diepresse.com/public/incoming/9j8jn-Former-Defense-Secretary-Robert-McNamara-holds-a-copy-of-the-book-he-wrote-In-Retrospect-The-Trage.._1406529853346275.jpg/alternates/FREE_1200/Former-Defense-Secretary-Robert-McNamara-holds-a-copy-of-the-book-he-wrote-In-Retrospect-The-Trage.._1406529853346275.jpg)
Am 29. Februar 1968 dämmert McNamara (Bild), dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Er tritt zurück. Vier Wochen später, am 31. März, kündigt Johnson ein Ende der Bombenkampagne an, bietet Friedensverhandlungen an und verblüfft: Er stellt sich nicht der Wiederwahl. Neuer Präsident wird Richard Nixon, der umgehend US-Soldaten von der Front abzieht – um am Abend des 29. März 1973 zu verkünden: „Der Tag, auf den wir alle hingearbeitet und für den wir gebetet haben, ist gekommen". Erstmals seit Jahren „befinden sich keine amerikanischen Truppen in Vietnam".
(c) � STR New / Reuters
![Die Bilanz des Vietnamkrieges ist umstritten: Verschiedene Quellen gehen von 1,5 bis drei Millionen Toten aus, überwiegend Zivilisten. Südvietnam hat demnach etwa 250.000 Soldaten verloren, die USA 58.000. In Amerika starben nach 1973 über 60.000 weitere Ex-Soldaten durch traumatisch bedingte Selbstmorde - das ergibt mehr Tote als im Krieg selbst.](https://img.diepresse.com/public/incoming/lf1dp2-RTR1XWQH_1406530544319633.jpg/alternates/FREE_1200/RTR1XWQH_1406530544319633.jpg)
Die Bilanz des Vietnamkrieges ist umstritten: Verschiedene Quellen gehen von 1,5 bis drei Millionen Toten aus, überwiegend Zivilisten. Südvietnam hat demnach etwa 250.000 Soldaten verloren, die USA 58.000. In Amerika starben nach 1973 über 60.000 weitere Ex-Soldaten durch traumatisch bedingte Selbstmorde - das ergibt mehr Tote als im Krieg selbst.
(c) REUTERS (� Nguyen Huy Kham / Reuters)
![In Vietnam sind die Folgen des Krieges noch heute spürbar: Vergiftungen und Umweltschäden durch den Einsatz von „Agent Orange" führen weiter zu Fehlgeburten und schwersten Behinderungen von Neugeborenen. Erst 2013 erklärten sich die USA bereit, an der Beseitigung der Stoffe mitzuwirken. Das Erdreich wird in speziellen Öfen erhitzt, bei der die Gifte zerfallen. Die Arbeiten sollen 2016 abgeschlossen werden, die Leiden der Bevölkerung aber noch lange anhalten.](https://img.diepresse.com/public/incoming/nqvtlo-imago53402195h_1406529275475121.jpg/alternates/FREE_1200/imago53402195h_1406529275475121.jpg)
In Vietnam sind die Folgen des Krieges noch heute spürbar: Vergiftungen und Umweltschäden durch den Einsatz von „Agent Orange" führen weiter zu Fehlgeburten und schwersten Behinderungen von Neugeborenen. Erst 2013 erklärten sich die USA bereit, an der Beseitigung der Stoffe mitzuwirken. Das Erdreich wird in speziellen Öfen erhitzt, bei der die Gifte zerfallen. Die Arbeiten sollen 2016 abgeschlossen werden, die Leiden der Bevölkerung aber noch lange anhalten.
(c) imago stock&people (imago stock&people)