Hyperaktiv im Badeanzug

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Die Schweizer wollen Shorts verbieten. Doch das macht das Freibad auch nicht spannender.

In diesen Zeiten könnte man es vergessen, deswegen ein kurzer Hinweis: Es ist nicht nur fünf Tage bis zur EM. Es ist auch Sommer. Meteorologen mögen zwar den Kopf schütteln, aber 125.544 Menschen, die am Wochenende die Wiener Bäder aufsuchten, können nicht irren. So wenig wie die Schweizer, die vergangene Woche die erste Nachricht aus dem Sommerloch ins Rennen schickten: Die Eidgenossenschaft will Badeshorts verbieten. Weil sich die flatternden Beinkleider mit Schweiß vollsaugen und ihre Taschen angeblich vor vergessenen Schneuztüchern strotzen, sollen Männer nur mehr mit eng anliegenden Höschen ins Wasser dürfen. Die Damen freuen sich schon.

Sollen sie. Tatsächlich machen knappe Badetrikots den Freibad-Nachmittag nicht besser (oder schlechter). Er bleibt eine öde Angelegenheit. Nur, dass es keiner zugibt. Offiziell finden es nämlich alle super, kollektiv stundenlang in der Hitze zu liegen und sich nicht zu rühren. Denn nichts anderes (schon gar nicht Kontakt mit Wasser) ist unter Menschen älter als 15 Jahre mit „gehen wir doch baden“ gemeint. Ob die starren Stunden träge lesend, sachte lästernd, im schicken Badeanzug fleckig bräunend oder – für die Puristen – schlafend verbracht werden, ist egal. Hauptsache, die statische Idylle wird nicht gestört.

Wer es dennoch wagt, bekommt eine Freifahrt für eine Tour retour in die eigene Kindheit. Drei Fragen binnen drei Stunden (14 Uhr: Gehen wir ins Wasser? 15 Uhr: Gehen wir auf ein Eis? 16 Uhr: Gehen wir heim?) genügen, um sich wie die hyperaktive Fünfjährige zu fühlen, die man eh nie war. „Schläfst du denn nie?“, sagt Freundin S. und reicht mir ein buntes Magazin, „da hast du noch was zu lesen. Gut?“ Na gut. Was mir das jetzt bringt – alle Jahre wieder? Nichts. Außer vielleicht viel Verständnis für Minderjährige. Und für gelangweilte Schweizer Bademeister.


("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2008)

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