Ukraine-Krise. Beim Asien-Europa-Gipfel kam es zu einer Annäherung Moskaus mit Kiew. Doch ein Durchbruch blieb aus.
Wien/Mailand. In größeren und kleineren Gruppen, in Einzelgesprächen im Halb- oder Dreiviertelstundentakt wie Werner Faymann oder auch in einer mitternächtlichen Sitzung über zweieinhalb Stunden wie Angela Merkel nahmen die Staats- und Regierungschefs der EU Wladimir Putin ins Gebet – selbst noch nach dem offiziellen Ende des Mailänder Asien-Europa-Gipfels, der ganz im Zeichen der Krisendiplomatie in Sachen Ukraine stand. Auf höchster Ebene besteht nicht so oft die Möglichkeit, den russischen Präsidenten zum Einlenken zu bewegen – letztmals beim 70-Jahr-Jubiläum der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni.
Bundeskanzler Faymann sprach nach seiner Unterredung mit Putin von Fortschritten bei den Bemühungen um ein Ende der Ukraine-Krise. „Eine Lösung ist jedoch kurzfristig noch nicht erreichbar“, sagte Faymann. „Gut, positiv“, lautete der knappe Kommentar Putins nach einer dieser Unterredungen, den er der Journalistenmeute im Vorbeigehen lächelnd hinwarf. David Cameron, der britische Premier, interpretierte dessen rhetorische Zusicherung einer ungeteilten Ukraine und Versicherung, es gebe keinen Rückfall in den Kalten Krieg, als Goodwill-Erklärungen, traut ihm jedoch nicht so recht über den Weg. Cameron ließ sich nicht erweichen: Eine Lockerung der Sanktionen komme derzeit nicht infrage, die Sanktionsphalanx gegen Moskau steht noch – bis auf Weiteres. Putin setzt indessen auf den Zeitfaktor.
Konträre Signale aus Moskau
In der Ostukraine sprechen die Fakten zudem eine andere Sprache: Die Waffenruhe ist brüchig, der angeordnete Rückzug der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze längst nicht abgeschlossen. Der russische Präsident sandte zuletzt neuerlich unterschiedliche Signale aus. Einerseits drohte er mit einer Drosselung der Gaslieferungen, um sich dann in Mailand mit Petro Poroschenko, seinem ukrainischen Widerpart, über die Grundzüge eines Gasvertrags zu einigen. Russland und die Ukraine hätten sich auf die Bedingungen für Gaslieferungen „zumindest im Winter“ verständigt, sagte Putin.
Poroschenko gab sich zurückhaltender: „Ich kann sagen, dass wir einen gewissen Fortschritt gemacht haben, aber einige Details müssen noch diskutiert werden.“
Ein deutscher Gesprächsteilnehmer urteilte nach einem der Gespräche verklausuliert, der Kreml-Chef sei nicht in „konstruktiver Stimmung“. Tatsächlich traten die Differenzen im Austausch mit der deutschen Kanzlerin am deutlichsten zutage, die diversen Treffen arteten mitunter zu einer Konfrontation aus. So zweifelte Putin in einer Rede vor dem Forum die Souveränität der Ukraine an, woraufhin ihm Merkel als Wortführerin in die Parade fuhr. Sie erinnerte ihn an die vor 20 Jahren im Budapester Memorandum zu Papier gebrachte Anerkennung der Ukraine. Enerviert von seiner chronischen, aufreizenden Unpünktlichkeit forderte sie ihn im Übrigen auf, auf historische Ausschweifungen zu verzichten.
In Detailfragen, etwa beim Einsatz von Überwachungsdrohnen in der Ostukraine, gebe es durchaus Fortschritte, resümierte Merkel. Doch in den Streitfragen des Minsker Friedensplans, bei der rigorosen Überwachung der Grenze zur Unterbindung des Nachschubs für die Separatisten, lagen die Positionen weit auseinander. Wladimir Putin ließ sich die Stimmung derweil nicht verdrießen: Noch nach dem mitternächtlichen Tête-à-tête mit Merkel suchte er seinen Freund Silvio Berlusconi in dessen Villa auf.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)