Die europäische Wirtschaft braucht ambitionierte Klimaziele fast so sehr wie das Klima.
In einem Punkt hat Jakob Zirm in seinem Leitartikel vom Mittwoch („Wir müssen zuerst uns retten und dann das Klima“) recht: Die sich abzeichnenden Klimaziele der EU stellen eine Bedrohung für Wirtschaft und Beschäftigung in Europa dar. Weil sie zu niedrig sind.
Die während des Verfassens dieses Artikels in Brüssel verhandelten Klimaziele (wahrscheinlich: minus 40 Prozent CO2-Ausstoß, 27 Prozent Anteil der erneuerbaren Energie und 30 Prozent Effizienzsteigerung bis 2030) sind nicht nur eine schlechte Nachricht für den Klimaschutz. In ihrer Ambitionslosigkeit sind sie eine Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung der EU.
Europas Wirtschaft hat unterm Strich erheblich von der Vorreiterrolle im Klimaschutz profitiert, indem es neue Märkte aufgebaut und die Technologieführerschaft in erneuerbaren Energien und Effizienztechnologien ausgebaut hat. Gerade die durch Klimaschutzauflagen ausgelösten Anreize zu Innovation und neuen Geschäftsmodellen haben der europäischen Wirtschaft gut durch die Krise geholfen.
Die Energiewende bedroht nicht Wirtschaft und Beschäftigung, sondern schafft und sichert tausende Arbeitsplätze in Europa. Laut Bundesumweltministerium hat sich allein in Deutschland die Beschäftigtenzahl im Bereich erneuerbare Energien in nur zehn Jahren auf knapp 380.000 fast verdreifacht. Ähnlich positive Effekte sind in Österreich nachweisbar.
Marktanteile nach Asien
Derzeit droht uns in Europa, unsere Marktanteile im Bereich saubere Energietechnologien an Asien zu verlieren. Auch dank der fossilen Lobbyarbeit. Das beständige Herunternivellieren und Aushöhlen der europäischen Klimaziele 2020 hat die Innovationsmaschine Energiewende ins Stottern gebracht.
Ob der europäische Zukunftsmarkt wieder attraktiv wird, entscheiden die für 2030 festzulegenden Klimaziele. Die Energiewende hat nicht nur die Zukunftstechnologien beflügelt. Auch die gute alte Schwerindustrie hat – zum Teil – erhebliche Vorteile aus der europäischen Klimapolitik gezogen. Auch ist es eine Mär, dass die europäische Klimapolitik die Industrie zur Abwanderung zwinge.
Für die allermeisten Industrieunternehmen sind die Energiekostenanteile gering. Die anderen sind (und bleiben) durch großzügige Ausnahmeregelungen vor Abwanderung geschützt. Österreichs Industrie profitiert stark von der Energiewende in Europa. Die Industriestrompreise befinden sich dank Einspeisung erneuerbarer Energien seit Jahren im Sinkflug.
Effizienzziel von 40 Prozent
Ein Ziel für die Energieeffizienz bis 2030 droht gänzlich verloren zu gehen. Das ist nicht nur aus finanzieller Sicht unklug (die EU importiert fossile Energieträger im Wert von über 500 Milliarden Euro jährlich). Hier verspielt die EU ihre politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ein Effizienzziel von 40 Prozent würde die Beschäftigungsquote europaweit um 3,15 Prozent erhöhen und fast die gesamten jährlichen Importkosten für Öl, Gas und Kohle einsparen.
Wenn Klimaschutz eigentlich allen nutzt, bleibt die Frage, warum bekämpfen Industrie und Wirtschaft dann Klimaauflagen so vehement? Nun, klappern gehört zum Geschäft. Je lauter Industrie und Wirtschaft jammern und mit Abwanderung drohen, desto eher werden sie in den Genuss von Begünstigungen und Zuwendungen in anderen Bereichen kommen.
Der „Mühlstein“ der Wirtschaft sind nicht ambitionierte Klimaziele, wie Zirm schreibt. Ein Zickzackkurs beim Klimaschutz und ein kaputt lobbyierter Emissionshandel sind das Problem der europäischen Wirtschaft.
Christiane Brunner ist Umweltsprecherin der Grünen und Vorsitzende im Umweltausschuss im Parlament.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)