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Tina Turner in Wien: Knistern im Sauerstoff-Zelt

(c) Reuters (Wolfgang Rattay)
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Trotz kleinerer Peinlichkeiten begeisterte das fast 70-jährige Langzeitmädchen in der Stadthalle – und schuf neue Perspektiven für das Alter.

Ihre Wirkung auf die Damenwelt muss ähnlich beschaffen sein wie jene von Jopie Heesters auf alte Kavaliere. Die Rockröhre – dieser Ausdruck ist nur bei Tina Turner erlaubt – arbeitet genauso wie der zittrige, holländische Schwerenöter daran, die Limits für unsere unwiederholbaren Körper zu neuen Ufern zu wuchten. „The World's Sexiest Granny“ wird sie gerne von ihren Fans genannt. Dass dies eine Impertinenz darstellt, ist der große Triumph dieser mit sinnlicher Eckigkeit und einnehmender Spannkraft über die Bühne wuselnden Talmi-Göttin. Unbeirrt nährt sie die Illusion, dass uns allen dereinst noch mit 70 der Lenz kitzeln wird. Die Voraussetzung dafür kommuniziert sie weise nicht: episches Darben und Trainieren.

Standesgemäß schwebte dieser disziplinierte Körper in der Wiener Stadthalle auf winziger Plattform maschinengottähnlich hernieder. Eilfertig umwuselt von vier Unterwäschemodels warf sich Tina Turner in beinahe polizeiwidrige Positur. Ein erstes schlüpfriges Szenario tröpfelte ins Mikro: „Steamy Windows“, eine Apotheose auf umlegbare Autositze, stammt von Tony Joe White („Rainy Nights in Georgia“), ihrem liebsten Songwriter. Mit vibrierendem Organ durchmaß sie die Lyrics. „You can wine and dine with the men all night with good intent, but there's something about the confrontation on the back road, breaks down the defense.“

Wir lernen: Die starke Frau handelt sogar im erotischen Taumel entschlossen, bewegt sich sicher in der von Menschendampf brodelnden Karosserie. Kurze Seligkeit gönnt sie sich, dann geht's wieder ab aufs verzweigte Straßennetz des notorisch schwer zu lenkenden Schicksals. In nervöser Achtzigerjahre-Ästhetik hüpfte sogleich „Typical Male“ ins Ohr. Die erotische Aggression ist nun vollends weiblich: „All I want is a little reaction, just enough to tip the scales, I'm just using my female attraction on a typical male...“ Um das zu illustrieren, legte sie erste wackere Tanzeinlagen hin.

Botschafterin selbstbestimmten Schicksals

Gar nicht überraschend war Tina Turners Comeback-Konzert in Wien ein Heimspiel. Dank ihrer Beharrungskraft ist sie mehr als bloß Ikone zerzauster Gemeindebauschönheiten. Sie ist vielmehr Botschafterin selbst verordneter Schicksalswende. Sie weiß es und raunte ein „There is nothing better than female support“ in den Saal. Vorbildhaft für viele ist die schwierige Scheidung von Ehemann Ike. Künstlerisch ließ sie damals den R&B zurück und erfand sich 1984 als Queen of Rock neu.

Die Orientierung zum Mainstream hin wurde rasant versilbert. Nicht zuletzt dies stellte ihre Würde wieder her. Was sie jetzt hatte, verdankte sie nur sich selbst. Das brachte viele weibliche Bewunderer, jene, die eben kein Lied von ihren heißen Konflikten oder schon abgekühlten Narben singen können.

Als erstes Highlight der Show donnert eine rasante Version ihres größten Sechzigerjahre-Hits aufs jubelnde Auditorium nieder: „River Deep Mountain High“. Turners Stimme gewann dabei an Schärfe, machte bewusst, dass aus ihr statt eines Popstars auch eine Etta James, also eine authentische, nuanciert intonierende Sängerin hätte werden können. Was für ein Song! Schon sein einstiger Urheber Phil Spector wusste, dass solcher Herzensexplosion einzig uferloser Bombast gerecht werden kann. Für die ewig gültige Originalaufnahme setzte er zig Musiker ein. Das war lange vor den Achtzigern, als die multifunktionalen Keyboards mit ihren Fake-Sounds den vermeintlichen Fortschritt vertraten.

Die Achtziger waren leider auch die Ära von Tina Turners kommerziellem Aufstieg, der Feinsinnige mit zeitlos grauenhaften Songs wie „Simply the Best“ und „We Don't Need Another Hero“ peinigte. Auch an diesem Abend. Vor allem die musicalartige Inszenierung „We Don't Need Another Hero“ weckte Instinkte des Fremdschämens.

Versöhnlich geriet die zweite Hälfte, in der Turner das Handmikro ergriff, den kleinen Finger abspreitzte und eine überraschend maskuline Version des Al-Green-Soul-Schleichers „Let's Stay Together“ entbot, ehe wieder Schenkeldrehen bei den Tänzerinnen angesagt war. Eine pfauchende Orgel leitete über zu Ann Peebles' „I Can't Stand the Rain“. Makellos, wie sich die Veteranin da in den Song verbiss. Auch der Schnörkellosigkeit der Rockmusik sollte ein Fanal gewidmet sein.

Keine Pause blieb ungenützt

Tina Turners Röhre verbiss sich auch in die Rolling-Stones-Klassiker „Jumpin' Jack Flash“ und „It's Only Rock'n'Roll“. Ihre kongeniale Kombattantin dabei war Stones-Background-Lady Lisa Fischer. An dieser Stelle passten auch die selbstverliebten, oft schmierig klingenden Gitarrensoli von John Miles, der 1976 als Solokünstler mit „Music“ die Charts stürmte. Turner ließ derweil, völlig aufgehend in ihrer Show, keine Pause ungenützt. Im wohl hinter der Bühne situierten Sauerstoffzelt wechselte die Diva konsequent glitzernde Beinkleider und fröhliche Ultraminis, die den Fokus unverblümt auf ihre immer noch knisternde Erotik lenkten.

Formvollendet schleuderte dieses Langzeitmädchen ihre Fußspitzen zu „Proud Mary“ von sich, tänzelte bei „Nutbush City Limits“ auf hydraulisch bewegtem Steg hoch über den Köpfen der Fans. Da fragte sich so mancher, ob denn der Spruch „So jung kumma nimma z'samm“ in ihrem Fall auch Gültigkeit hat.

Zur Person

Tina Turner spielte am Wochenende zwei Konzerte in der Wiener Stadthalle. Von ihren Fans wird sie als „The World's Sexiest Granny“ bezeichnet. 1939 in Nutbush, Tennessee, geboren, startete sie ihre Karriere in den 60er-Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Ike Turner, von dem sie sich 1978 scheiden ließ, weil er sie u.a. schlug. Heute lebt Turner mit dem Deutschen Erwin Bach in Küsnacht bei Zürich/Schweiz sowie in Südfrankreich. Turner hat zwei Söhne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2009)

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