Der chinesische Drache und die amerikanische Ente

Chinas Aufstieg und der Niedergang der USA gleichen scheinbar kommunizierenden Gefäßen. In Peking macht sich Hybris breit.

Als Barack Obama beim Apec-Gipfel in Peking vor dem Empfang für die Staats- und Regierungschefs Kaugummi kauend aus seiner Limousine stieg, hatten die Verfechter der Hegemonie Chinas im 21.Jahrhundert ihr Sinnbild für den Abstieg der westlichen Supermacht gefunden. In ihrer Wahrnehmung ist da eine „lahme Ente“ aufgetreten, als die der US-Präsident seit dem Wahldebakel der Demokraten in seiner Heimat gilt. Für Peking wurde die Schwäche der USA und ihres Spitzenmannes, den ein regierungsnahes Blatt als „banal“ verhöhnt hat, offensichtlich.

Der Aufstieg Chinas und der Niedergang der USA im globalen Maßstab, eine quasi naturhafte Entwicklung kommunizierender Gefäße, hat sich als scheinbar unumkehrbarer Paradigmenwechsel in die Köpfe der Spitzenkader des Regimes eingebrannt. Xi Jinping, der vor Selbstbewusstsein strotzende neue starke Mann in Peking, macht intern daraus auch gar kein Geheimnis. Der Umstand, dass China die USA in naher Zukunft als größte Wirtschaftsmacht der Welt ablösen wird, dass es die größte Gläubigernation Washingtons ist, beflügelt den Machtpolitiker.

In der Gastgeberrolle dominierte Xi die Show beim Treffen der Pazifikstaaten in der wie von Zauberhand – der Anweisung von oben – vom Smog befreiten Hauptstadt. Es hatte Symbolcharakter in der Selbstinszenierung der Macht, dass auf dem Gruppenfoto Wladimir Putin in seine Nähe rückte und das Protokoll Obama eine Nebenrolle am Rand des Podiums zuwies. In seinem weinroten Hemd wirkte der US-Präsident wie ein Fremdkörper, wie Mister Spock in „Star Trek“-Uniform. Xi hat vorgeführt, wie clever und nach strategischem Kalkül er die Protagonisten des Kalten Kriegs für die eigenen Interessen auszuspielen versteht. Mit Putin verbindet Chinas Staats- und Parteichef mehr als mit Obama – und sei es auch nur eine Männerfreundschaft.

Dabei bemühte sich Obama intensiv um Xi, als er ihn im Vorjahr zu einem Wochenende in die kalifornische Wüstenoase Palm Springs einlud. Und nun trat der US-Präsident in Peking mit Samtpfoten auf. Anders als beim Antrittsbesuch in China vor fünf Jahren, als er in einer vom Regime zensurierten Bürgerversammlung den Kontakt zum Volk gesucht und einer relativ kritischen Zeitung ein Interview gegeben hatte, vermied er demonstrativ jede Konfrontation. In der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua betonte er schwelgerisch die Aussicht von prosperierenden Beziehungen zum Nutzen der Welt, und in der Frage der Demokratiebewegung in Hongkong sprach er ideologische Differenzen zwischen Peking und Washington zwar an, ohne jedoch Partei zu ergreifen. Nicht nur für Menschenrechtler war dies doch zu viel des diplomatischen Taktgefühls gegenüber sensiblen Gastgebern.


Zwei Jahre vor Ende seiner Amtszeit, so hat es den Anschein, ist Obama auch außenpolitisch die Luft ausgegangen. China-Experten in den USA wie Exbotschafter Jon Huntsman beklagen den Mangel an der Peking-Expertise im Weißen Haus und im Außenministerium. Trotz des Mantras über die Fokussierung auf die Pazifik-Region habe Washington bisher keine adäquate China-Strategie ausgetüftelt, keine Antwort auf den Aufstieg der asiatischen Supermacht gefunden, die den USA an allen Fronten Konkurrenz macht: politisch und militärisch im Südchinesischen Meer, ökonomisch mit der Ambition, die Vormachtstellung des Dollar infrage zu stellen und rund um den Globus in großem Stil zu investieren, von der Seidenstraße bis nach Afrika.

Dass der chinesische Drache die knusprige amerikanische Ente verspeisen könnte, wäre indessen ein Irrglaube – eher könnte er sich verschlucken. Zu groß sind die Fliehkräfte der inneren Widersprüche in dem Riesenreich, die Herausforderungen durch die demokratischen Ansprüche einer wachsenden Mittelklasse, die Kluft zwischen Arm und Reich, die Minderheiten der Uiguren und – mit Abstrichen – der Tibeter. Geißeln wie Korruption und massive Umweltbelastung schnüren den Chinesen den Atem ab.

Obama hin, Obama her: Es wäre naiv, die USA voreilig abzuschreiben – und es wäre ein Indiz für die Hybris Chinas. In vielerlei Hinsicht könnte sich China ein Vorbild an den USA nehmen. Es spräche für die Intelligenz der Führung in Peking, dies auch zu tun.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2014)

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