„Die geliebten Schwestern“: Friedrich Schillers Liebe zu dritt

(c) Constantin
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Dominik Graf schildert die Ménage-à-trois des Dichters nicht als Skandal oder Sensation, sondern als utopisches Projekt, als Versuch, frei zu sein.

Eines gelingt Dominik Graf mit dem Film „Die geliebten Schwestern“ auf jeden Fall: Man hat danach keinen Zweifel mehr, dass es die Ménage-à-trois zwischen dem deutschen Dichter Friedrich Schiller und den Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld tatsächlich gegeben hat. Dass Graf am Ende darauf hinweist, wie dünn die Beweislage dafür in Wahrheit ist, bezeugt einiges an Selbstbewusstsein. Aber genau diese selbstbewusste Haltung verleiht diesem Film seinen Charme. Graf erzählt von der Liebe zu dritt nicht als Skandal oder Sensation, sondern als utopisches Projekt, als zuerst poetisches, dann tragisches Lebenswerk. Weshalb er auch nicht auf „delikate Situationen“ spekuliert, sondern die Ereignisse im Fluss einer betonten Natürlichkeit schildert.

Die Natur, das Draußen spielen denn auch eine besondere Rolle. Es wird in diesem Film viel gepicknickt und zu Fuß gegangen – fast alles an Thüringer Originalschauplätzen. Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius) wird vorgestellt, während sie in einer Kutsche übers Land fährt. Ihre erste Begegnung mit Schiller findet nicht in einem gepflegten Salon, sondern am Fenster statt. Dort kommt der junge Friedrich Schiller (Florian Stetter) vorbei, der sich gerade in Weimar verlaufen hat und nun die Schöne am Fenster nach dem Weg fragt. Es ist ein „meet cute“, eine Begegnung wie aus dem Bilderbuch amerikanischer Liebeskomödien. Aus Frage und Antwort formt sich zwischen den beiden sogleich eine Art Melodie der gegenseitigen Neugier, ein Tanz der Sehnsucht und Erwartungen. Und so unverbindlich das Gespräch endet, so sicher weiß der Zuschauer: Diese beiden haben ihre Geschichte erst begonnen.

Der junge Dichter, voller Zukunft

Man schreibt das Jahr 1787. Charlotte war von ihrer Mutter zur Patentante (Maja Maranow) nach Weimar geschickt worden, auf dass sie dort eine gute Partie fände. Sie soll es ihrer Schwester Caroline (Hannah Herzsprung) nachtun, die bereits einen von ihr ungeliebten Freiherrn geehelicht hat, um die Versorgung der nach dem Tod des Vaters verarmten Familie zu sichern. In dieses Arrangement stürmt und drängt nun der junge, mittellose Schiller, für den sich nach Charlotte bald auch die in ihrer Ehe unglückliche Schwester Caroline erwärmt – und er sich für sie. Wie Graf vorführt, rührt Schillers Attraktivität weniger aus seinem bis dahin geschaffenen Werk als vielmehr aus seiner frischen, temperamentvollen Erscheinung. Stetter spielt den jungen Dichter ganz wunderbar als Ausbund an Möglichkeiten und Zukunftshoffnung, einerseits schüchtern und ungelenk, andererseits draufgängerisch und offen für alles. Wenn er, der Nichtschwimmer, in die kalte Saale springt, um ein Kind vor dem Ertrinken zu retten, tut er das nicht, um zu imponieren, sondern aus purer Leidenschaft fürs Leben.

Heirat nach dem Sturm auf die Bastille

Diese Leidenschaft steckt an. Graf findet dafür eine so schöne Szene, dass sich wegen ihr fast der ganze Film lohnt: Als Schiller schlotternd aus dem Fluss kommt, nehmen ihm die Schwestern im Schutz der Bäume die nassen Kleider vom Leib, und da die Sonne nicht kräftig genug ist, pressen sie sich gegen seinen nackten Körper in heftiger, wärmender Umarmung. Die Kamera umkreist diesen Dreierbund und nimmt irgendwann einen festen, zärtlichen Händedruck in den Blick – es sind die beiden Schwestern, die hier einen geheimen Vertrag zu schließen scheinen.

Eine der großen Stärken des Films ist, dass Graf – der selbst das Drehbuch geschrieben hat – die Dreiecksgeschichte sich nicht auf den Mann im Zentrum konzentriert, sondern die gegensätzlichen Schwestern und ihr Verhältnis zueinander eine große Rolle spielen lässt. Natürlich kommt auch die Historie vor. „Wir werden noch zu Lebzeiten eine andere Welt erleben“, verspricht Schiller seiner Verlobten, Charlotte. In Frankreich wird die Bastille gestürmt; wenige Monate darauf heiraten die beiden – mit Zustimmung Carolines. Die Dreierliebe ist hier, wie erwähnt, alles andere als eine lasterhafte, gar schmierige Angelegenheit, sondern der hehre Versuch, frei zu sein und den anderen Freiheit zu lassen. Die Frauen sind Akteure, keine Opfer. Charlotte zum Beispiel teilt mit Friedrich zunächst nur Tisch und nicht das Bett. Das soll Caroline vorbehalten sein, die mit Schiller zu der Zeit das „glühendere“ Verhältnis hat. So stellt der Film wieder und wieder heraus, wie viel die drei einander zumuten, während sie sich bemühen, die Liebe rein und hochzuhalten. Dass es doch anders kommt – darin gleicht das Liebesprojekt ein wenig dem der Revolution und ihren unwägbaren Folgen.

Graf lässt die Jahre in geschriebenen, vorgetragenen Briefen und Szenen vergehen, die sich emotional hochschaukeln und dann oft unvermittelt abbrechen. Die so beständig gesteigerte Empfindsamkeit ermüdet mit der Zeit etwas. Womit auch die – verzeihlichen – Schwächen des Films benannt wären. Trotz der Überlänge stellt sich am Ende das Gefühl ein, dass vieles zu kurz kommt. Hannah Herzsprung übernimmt mit ihrer passionierten Darstellung einer Frau, die sich Selbstbestimmung erkämpft und diese mit Einsamkeit bezahlt, mehr und mehr die Erzählung, das Liebesdreieck gerät vollends aus der Balance. Aber auch das schildert Graf nicht als großes Melodrama, sondern als gelebtes Leben – und darin völlig glaubhaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2014)

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