Menschenrechte: Die Sklaven arbeiten für uns alle

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Es gibt immer noch 36 Millionen Sklaven weltweit. Eine neue US-Software soll Firmen helfen, das Risiko für Zwangsarbeit in ihrer Wertschöpfungskette zu minimieren.

Wien. Wer in Usbekistan lebt, sollte sich für die Monate September und Oktober nichts vornehmen. Wenn der Herbst einzieht, treibt die Regierung des zentralasiatischen Staates ihre Bürger in Bussen zur Ernte auf die Baumwollfelder. Fast jeden kann es erwischen, auch Lehrer, Ärzte oder Krankenschwestern. Der Lohn ist niedrig oder null. Wer sich weigert, muss mit Repressalien rechnen: Studenten verlieren ihren Uni-Platz, Arbeiter ihren Job. Sozialleistungen werden gestrichen, Selbstständigen drohen hohe Strafsteuern. Auf den Feldern ist es glühend heiß, die Baracken sind verdreckt. Jedes Jahr sterben Menschen an Durst, Infektionen oder Schlägen. Nur auf den Einsatz von Kindern verzichten die Behörden des fünftgrößten Baumwollexporteurs neuerdings – nach jahrelangem internationalem Druck.

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Mahnung am Gedenktag

Fronarbeit wie im Mittelalter? Die Baumwollernte in Usbekistan ist kein isoliertes Relikt. Am gestrigen internationalen Gedenktag haben Religionsführer und Aktivisten an ein schmerzliches Faktum erinnert: 150 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei gibt es weltweit immer noch knapp 36 Millionen Menschen, die wie Sklaven gehalten werden. Was wie ein fernes, schauriges Phänomen klingt, betrifft jeden Konsumenten und viele Hersteller in den Industrieländern: Ob Kleidung oder Nahrungsmittel, Windeln oder Medikamente, Smartphone oder Computer – sehr vieles von dem, was wir täglich nutzen, kann ein Produkt von Sklavenarbeit sein.

Für den „Global Slavery Index 2014“ der australischen Walk-Free-Stiftung versuchten Experten akribisch, der Verbreitung des offiziell geächteten Übels in jedem Land nachzuspüren. Das fällt oft schwer. Nicht so die Definition: Jeder, der mit der Absicht der Ausbeutung unter Gewalt, Drohung, durch List oder Betrug seiner Freiheit beraubt wird, muss als moderner Sklave gelten. Es geht um Schuldknechtschaft, erzwungene Ehen und Mädchenhandel. Vor allem aber um Zwangsarbeit, von Kindern wie von Erwachsenen. Doch die Ausbeuter tun alles, um ihre Spuren in den internationalen Handelsströmen zu verwischen.

Hier setzt die Software „Slavery Footprint“ an. Angeregt von Hillary Clinton, hat die kalifornische NGO Made in a Free World schon vor drei Jahren einen nur scheinbar simplen Selbsttest programmiert. In wenigen Minuten kann jedermann seine Konsumgewohnheiten angeben. Der Algorithmus bricht die Produkte auf ihre Bestandteile herunter. Die Materialien kommen mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten aus Ländern, in denen es ein bestimmtes Risiko für Sklavenarbeit gibt. Dahinter steht eine umfangreiche Datenbank des US-Innenministeriums. Am Ende erhält der schockierte User ein nüchternes Resultat. Etwa: „Für Sie arbeiten 25 Sklaven“ (das wäre der Durchschnitt für westliche Bürger).

Freilich dürfte es einen Unterschied machen, ob man seine Kleidung beim Modediskonter oder im Fair-Trade-Laden kauft. Um das Risiko bei bestimmten Marken zu bewerten, fehlt das Wissen über die Beschaffung. Statt Firmen ohne Beweise anzuschwärzen, holen die Aktivisten sie nun ins Boot. Am Montag haben sie eine neue Software vorgestellt. Mit ihrer Hilfe können Unternehmen das Risiko in ihren Lieferketten überprüfen. Denn oft genug wissen die Einkäufer selbst nicht, welche Länder und Materialien problematisch sind.

Vorerst ist das Programm in der Versuchsphase, an der sich auch zwei Großkonzerne beteiligen. Wie heikel das Thema ist, zeigt sich darin, dass sie anonym bleiben wollen – zu groß ist die Furcht, dass die Öffentlichkeit ihre Marken mit dem Thema Sklavenarbeit in Verbindung bringt. Für nächstes Jahr plant Made in a Free World, das Programm breit anzubieten. Dann will auch die US-Regierung ihre gesamte Beschaffung dem Sklaventest unterziehen.

Kinder als Pfand für Schuldner

Aber schon die Daten des „Slavery Index“ können wertvolle Anhaltspunkte liefern. In nur zehn Staaten leben über 70Prozent aller Sklaven. An der Spitze steht Indien, gefolgt von China und Pakistan (siehe Grafik). Das aber sind auch sehr bevölkerungsreiche Länder. Anders sieht das Ranking aus, wenn man die relative Verbreitung von Sklaverei betrachtet. Dann liegen Mauretanien und Usbekistan an der Spitze, wo jeweils vier Prozent der Bevölkerung als Sklaven leben, gefolgt von Haiti (2,3Prozent) und Katar (1,4Prozent).

In Mauretanien halten Meister ihre Sklaven zu Hause wie ihr vollständiges Eigentum und „erben“ deren Kinder. In Pakistan ist Schuldknechtschaft das größte Problem. Viele Eltern „verpfänden“ ihre Kinder als Arbeiter in den Ziegelöfen der Provinz Punjab. Für globale Lieferketten relevant ist vor allem die Kinderarbeit im Bürgerkriegsland Kongo: In engen Höhlen müssen dort Kinder für Warlords ihrer Region das hochgiftige Erz Coltan schürfen. Für alle, die es nicht kennen: Man gewinnt daraus ein Metall, aus dem man kleinste Kondensatoren mit hoher Kapazität baut – ein fast unverzichtbarer Bestandteil unserer Handys, Laptops und Spielkonsolen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2014)

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