Nach anonymen Morddrohungen gegen die Besucher der Premiere von „The Interview“ beendet ein weiteres US-Filmstudio die Arbeit an einem Film über Nordkorea.
Washington. Vor einigen Jahren ließen Zeitungen weltweit die Finger von der Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed, weil islamistische Gewalttäter ihnen mit Mordanschlägen gedroht hatten. Nun scheint es dem nordkoreanischen Regime gelungen zu sein, die Meinungsfreiheit in liberalen Gesellschaften zu knebeln.
Nach der Ankündigung von Sony Pictures, die für den Christtag geplante Premiere der Komödie „The Interview“ vorläufig ersatzlos zu streichen, gab die Produktionsfirma New Regency („Twelve Years a Slave“, „Fight Club“, „Gone Girl“) am Donnerstag bekannt, ihre laufenden Arbeiten am Nordkorea-Thriller „Pyongyang“ abzubrechen. Der Grund dafür sei die Entscheidung des Filmstudios Twentieth Century Fox, dieses Werk nicht in den Vertrieb aufzunehmen.
Die Nordkorea-Satire "The Interview" (Sony) sorgte in den vergangenen Wochen für viel Aufregung. Nach dem Hackerangriff auf Sony und ominösen Drohungen von "9/11"-artigen Attacken, entschied sich die Produktionsfirma zunächst, den Film zum geplanten Kinostart am 25. Dezember nicht zu zeigen. Es kam anders. (c) REUTERS (KEVORK DJANSEZIAN)
Ende Dezember lief "The Interview" doch an, wenngleich auch nicht in den Kinos großer US-Ketten. Zum Auftakt spielte der Film eine Million Dollar ein. Erfolgreicher war das Online-Vertriebsmodell. Dem Filmstudio zufolge wurde der Film bis 4. Jänner 4,3 Millionen Mal im Internet geliehen oder gekauft - das entspricht Einnahmen von 31 Millionen Dollar.Worum geht es eigentlich in der "umstrittenen" Komödie? (c) Sony Pictures
In der Satire von Seth Rogen und Evan Goldberg spielen James Franco und Rogen zwei Journalisten, die von der CIA mit einem Attentat auf den nordkoreanischen Leader Kim Jong-un (gespielt von Randall Park) beauftragt werden. (c) Sony Pictures
Zunächst hatte Sony den Kinos die Entscheidung überlassen, ob sie den Streifen zeigen wollen, berichtete das "Wall Street Journal". US-Präsiden Barack Obama hatte den Amerikanern empfohlen "ohne Angst ins Kino" zu gehen.Carmike Cinemas, die viertgrößte Kinokette der USA, beschloss kurze Zeit später trotzdem, den Film nicht in das Kinoprogramm zu nehmen. Auch die New Yorker Premiere wurde abgesagt. (c) imago/UPI Photo (imago stock&people)
Ermittler waren sich "zu 99 Prozent sicher", dass Nordkorea dahinter stecke, schreibt die "Washington Post". Das "Wall Street Journal" berichtete, dass die Drohung von denselben Personen stammt, die Ende November die Computersysteme von Sony Pictures angegriffen hatten. Nordkorea wies die Vorwürfe zurück.Mehrere Sony-Filme, darunter das Kriegsdrama "Fury", und das Skript vom neuen James-Bond-Film "Spectre" waren im November gestohlen worden: (c) REUTERS (ANDREW KELLY)
Das Drehbuch ist laut Waltz, der in "Spectre" den Bösewicht spielt, "eine sehr frühe Version, von der kaum noch was übrig ist im aktuellen Skript". Den Hacker-Angriff bezeichnet er als "selbstgerecht und wichtigtuerisch". "Was kaputt zu machen, ist sehr leicht, was aufzubauen, sehr schwer." (c) APA/EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA (FACUNDO ARRIZABALAGA)
Zurück zu "The Interview": Die ersten Reaktionen von nordamerikanischen Filmschaffenden auf die vorläufige Absage des Kinostarts fielen heftig aus: (c) Sony Pictures
Schauspieler zeigten sich enttäuscht von der Absage. Ben Stiller: "Es ist wirklich schwer zu glauben, dass das die Antwort auf eine Bedrohung der freien Meinungsäußerung hier in Amerika ist." (c) REUTERS (LUKE MACGREGOR)
Talkmaster Jimmy Kimmel sprach von einem "unamerikanischen Akt der Feigheit, der terroristische Handlungen bestätigt und einen ungeheuerlichen Präzedenzfall schafft"."Meiner Meinung nach ist es skandalös, dass Kinos 'The Interview' nicht zeigen werden. Wird nun jeder Film nach einer anonymen Drohung rausgenommen?", twitterte Filmregisseur Judd Apatow. (c) EPA (NINA PROMMER)
"Ein trauriger Tag für die Kreativität", schrieb Steve Carell auf Twitter. Wie es aussieht wird ein anderes Filmprojekt, in dem Carell direkt involviert ist, erst gar nicht realisiert. Laut "Deadline.com" steigt die zum Filmstudio 20th Century Fox zugehörige Produktionsfirma New Regency aus dem Nordkorea-Thriller "Pyongyang" aus. Steve Carell hätte die Hauptrolle spielen sollen. Die Dreharbeiten hätten im März 2015 beginnen sollen. (c) REUTERS (DANNY MOLOSHOK)
In Nordamerika ist "The Interview" also doch angelaufen. Wie sieht es hierzulande aus? Der Film hätte am 6. Februar in Österreich starten sollen. Gegenüber der APA hieß es von Sony am 7. Jänner, dass die Komödie hierzulande nicht anlaufen wird. Am 8. Jänner gab Sony Pictures Österreich bekannt, dass die Komödie nun doch anlaufen wird. Kinostart: 6. Februar. (c) REUTERS (KEVORK DJANSEZIAN)
Nordkorea-Film als Internet-Hit
„Ein trauriger Tag für die Kreativität“
„Ich finde es ironisch, dass Angst die Möglichkeit vernichtet, Geschichten zu erzählen, die unsere Fähigkeit zur Überwindung von Angst darstellen“, sagte Gore Verbinski, der Regisseur von „Pyongyang“, am Donnerstag. „Ein trauriger Tag für die Kreativität“, verkündete der Schauspieler Steve Carell, der darin die Hauptrolle eines westlichen Bürgers hätte spielen sollen, der ein Jahr in der nordkoreanischen Diktatur verbringt.
Diese Entscheidung, die Finger von einem regimekritischen Film zu lassen, ist eine Folge der von Nordkorea aus lancierten Angriffe auf Sony Pictures, einen der weltgrößten Filmkonzerne. Das Regime hatte im Juni „The Interview“, eine nicht immer ganz geschmackssichere Hollywood-Komödie, in der Seth Rogen und James Franco zwei Talkshowgestalten mimen, die im Auftrag des US-Geheimdienstes CIA Nordkoreas Diktator Kim Jong-un umbringen sollen, als eine Kriegserklärung der USA bezeichnet und mit Gegenschlägen gedroht.
Monatelang tat man dies als leere Drohgebärde ab, am 24. November wurde aus dem Spaß Ernst. Anonyme Computerhacker, die sich den Namen „Wächter des Friedens“ gaben, brachen in Sonys Datensysteme ein und stahlen Unmengen an Daten: von den Kreditkarten- und Sozialversicherungsdaten aller Sony-Pictures-Mitarbeiter über peinliche E-Mails der Studiobosse bis zum Drehbuch des nächsten „James Bond“-Films.
USA: Nordkorea hinter Hackerangriff
Vergangene Woche legten die anonymen Erpresser nach: Sie drohten für den Fall, dass „The Interview“ wie geplant am 25. Dezember in amerikanischen und kanadischen Kinos anläuft, mit Mordanschlägen. „Erinnert euch an den 11. September 2001“, hieß es in der in krudem Englisch verfassten Drohbotschaft mit Anspielung auf die Terrorangriffe der al-Qaida in New York und Washington. Dann ging es schnell: Nach und nach erklärten die größten US-Kinobetreiber, den Film aus Rücksicht auf die Sicherheit der Besucher nicht zeigen zu wollen.
Den unwiderlegbaren Beweis dafür, wer in Sonys Computer eingebrochen ist, haben Amerikas Behörden noch nicht. Am Mittwoch erklärten allerdings mehrere US-Geheimdienstbeamte, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die im Jahr 1998 gegründete „Einheit 121“ des nordkoreanischen Militärs ihre Finger im Spiel hat.
Amerikas Filmschaffende sind über die Selbstzensur der Hollywood-Studios erzürnt. „Was ist, wenn sich eine anonyme Person durch etwas beleidigt fühlt, was ein Coca-Cola-Manager gesagt hat? Werden wir dann alle aufhören, Cola zu trinken?“, donnerte Regisseur Judd Apatow auf Twitter. „Es ist wirklich schwer zu glauben, dass das die Antwort auf eine Bedrohung der Meinungsfreiheit hier in Amerika ist“, erklärte Schauspieler Ben Stiller.