Abschied der Klub-Ikone aus dem Gemeindebau

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FILE BRITAIN SOCCER GERRARD(c) APA/EPA/PETER POWELL (PETER POWELL)
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Nach 25 Jahren im Trikot des FC Liverpool wird Steven Gerrard, 34, den Verein mit Saisonende verlassen. „Die schwerste Entscheidung meines Lebens“, sagte der langjährige Kapitän, der in die USA wechseln dürfte.

London. Dass er oft einen Gesichtsausdruck hatte, als würde das Gewicht der Welt auf seinen Schultern lasten, war einer einfachen Tatsache geschuldet: Als wichtigster Spieler des FC Liverpool der vergangenen 15 Jahre war Steven Gerrard mit einer mindestens ebenso schwierigen Aufgabe konfrontiert. Der Mittelfeldspieler hauchte dem Traditionsverein nach Jahren des Niedergangs Hoffnung auf die Rückkehr zu alter Größe ein und führte – oft beinahe im Alleingang – eine mittelmäßige Truppe zu neuen Triumphen. Gerrard selbst bezeichnete am Freitag, seinen Abschied von Liverpool zu Saisonende als „die schwerste Entscheidung meines Lebens“.

Das war wohl nicht übertrieben, kickt Gerrard doch seit seinem neunten Lebensjahr für die „Reds“. Aufgewachsen in einem Gemeindebau 15 Kilometer entfernt von dem legendären Stadion „The Kop“ in der Anfield Road, gab er mit 18 Jahren sein Debüt bei den Profis. Verein und Heimat blieb er stets verbunden. Die Steven Gerrard Foundation kümmert sich um benachteiligte Kinder: „Mir hat der Fußball alles gegeben“, sagt Gerrard. „Ich will denen etwas geben, die dieses Glück nicht hatten.“

Bis heute bestritt er 695 Pflichtspiele für den Verein und erzielte 180 Tore. Gerrard gewann mit Liverpool sieben Trophäen, wobei der Höhepunkt der Sieg in der Champions League 2005 über den AC Milan war, nachdem die Italiener zur Pause 3:0 in Führung gelegen waren. Gerrards größte Schwäche erwies sich auch hier einmal mehr als größte Stärke: Er spielte immer mindestens so sehr mit dem Herz wie mit dem Kopf. 2013 wählten ihn die Fans zum „größten Liverpool-Spieler aller Zeiten.“

Die größte Enttäuschung erlebte er am 27. April 2014, als ausgerechnet sein Fehler zu einer Heimniederlage gegen Chelsea führte, die Liverpools Hoffnungen auf den ersten Meistertitel seit 1990 zunichtemachte. Nachdem auch der WM-Auftritt Englands im Debakel endete, sprach der 114-fache Nationalspieler von „den drei schrecklichsten Monaten meines Lebens“.

Es ist das Nebeneinander von Triumph und Tragödie, das den FC Liverpool zu mehr als einem Fußballklub gemacht hat. Neben Namen wie Kenny Dalglish, Ian Rush oder Gerrard stehen die Katastrophen von Hillsborough und Heysel. Auf 600 Millionen Fans weltweit schätzt der Klub seine Anhängergemeinde. Wenn zu Spielbeginn die Vereinshymne „You'll never walk alone“ erschallt, muss man kein Fußballfan sein, um eine Gänsehaut zu bekommen.

Gerrard, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere Angebote von Chelsea, Real Madrid und Bayern ausschlug, bleibt seinem Verein auch im Abschied treu. Der Mann, den sie für seinen schweren „Scouser-Dialekt“ im restlichen England immer (milde) belächelten, kündigte an, weiter Fußball spielen zu wollen, allerdings „niemals für einen Konkurrenten des FC Liverpool“. Spekuliert wird mit einem Wechsel in die USA.

Dort, bei New York City, sollte seit 1. Jänner auch Frank Lampard spielen. Doch der 36-Jährige übt momentan Rache an Exklub Chelsea, der im Sommer auf seine Dienste verzichtet hatte. Während die Leihgabe Manchester City gegen Sunderland zum Sieg schoss, verlor Chelsea das Londoner Derby gegen Tottenham 3:5. Damit liegen beide Vereine nun gleichauf an der Spitze und werden den Titel unter sich ausmachen. Ein derartiger zweiter Frühling ist Gerrard ohne Zweifel ebenfalls zuzutrauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)

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