Im Zuge ihres Evolutionsprozesses lässt die ÖVP über ein neues Wahlrecht abstimmen. Auch Selbstbehalte sind ein Thema. Nicht wenige Fragen sind suggestiv gestellt.
Wien. Wahlrecht, Studiengebühren, Pensionssystem oder Arbeitszeit: Das sind nur einige der Punkte, zu denen die ÖVP im Rahmen ihres Evolutionsprozesses die Meinung ihrer Mitglieder wissen will. Generalsekretär Gernot Blümel präsentierte den Fragebogen am Mittwoch. Vorangegangen war eine Diskussionsphase, an der sich knapp 4000 Personen beteiligten, mehr als die Hälfte Nicht-Parteimitglieder. Um an der jetzigen Abstimmung teilnehmen zu dürfen, muss man aber ÖVP-Mitglied sein. Oder noch schnell eines werden, wie Blümel lakonisch anmerkte.
Nicht wenige der 39 Fragen wirken suggestiv gestellt und orientieren sich am bisherigen Parteiprogramm: „Soll sich die ÖVP auch in Zukunft für ein differenziertes Schulsystem stark machen, in dem die Talente und Potenziale jedes Einzelnen bestmöglich gefordert werden?“, wird etwa gefragt. Auch bei den Fragen, ob sich die ÖVP „für einen umfassenden Bürokratieabbau“ oder gar für eine „nachhaltige Senkung der Abgabenquote“ einsetzen soll, darf man wohl getrost mit einem klaren Ja der Mitglieder rechnen. Und wer würde schon verneinen, dass sich die Partei für „sinnvolle (Teil-)Privatisierungen“ stark machen soll?
„Viel konsensuell diskutiert“
„Es ist in vielen Bereichen so konsensuell diskutiert worden, dass wir uns schwergetan haben, etwas daraus abzuleiten, was wir zu einer Ja/Nein-Frage formulieren können“, erklärte Blümel. Spannend fallen die Fragen zum Wahlrecht aus. So möchte die ÖVP wissen, ob künftig jene Mandatare ein Mandat erhalten sollen, die die meisten Vorzugsstimmen bekommen. Das wäre gegenüber dem Status Quo, für den man als Kandidat für eine Vorreihung auf der Parteiliste eine hohe Vorzugsstimmenhürde überspringen muss, eine klare Neuerung. Vor allem die Junge ÖVP macht sich hier für eine Reform stark.
Auch die Frage nach einem Mehrheitswahlrecht ist brisant. Verwirrend wirkt aber, wie im ÖVP-Fragebogen der Begriff Mehrheitswahlrecht erklärt wird. „Das heißt, die stimmenstärkste Partei ist automatisch in der Regierung“, steht dort. In den meisten Modellen regelt ein Mehrheitswahlrecht freilich nur die Vergabe der Sitze im Parlament und legt nicht fest, welche Partei in die Bundesregierung darf. Zudem muss auch bei einem Mehrheitswahlrecht die stärkste Partei nicht unbedingt eine Mehrheit im Nationalrat erhalten, die dann die Regierung der stärksten Partei unterstützt. Auf Nachfrage präzisierte Blümel, dass man nur abfragen will, ob mehrheitsfördernde Wahlrechtssysteme sinnvoll sind, ohne sich noch auf ein bestimmtes Modell festzulegen.
Daneben möchte die ÖVP wissen, ob man im Gesundheitsbereich Selbstbehalte einführen und dafür Sozialversicherungsbeiträge senken soll. Oder ob eine Pflegeversicherung sinnvoll ist. Auch fragt man ab, ob das Schulfach „politische Bildung“ sinnvoll wäre oder ob man für „sozial verträgliche Studienbeiträge“ an Unis ist. Bei der Arbeitszeit wird über mehr „Flexibilisierung“ abgestimmt. Zudem wird abgefragt, ob die „Grundprinzipien unserer Gesellschaft auch in der digitalen Welt gelten sollen“. Bei den Pensionen möchte man erfragen, ob ein „Sicherungsmechanismus“ eingeführt werden soll.
Rund 600.000 Mitglieder dürfen abstimmen. Der Fragebogen ist nicht anonym, weil dies zu viel Bürokratie bedeutet hätte, so die ÖVP. Man werde aber anonym auszählen, auch wenn der Name des Mitglieds am Fragebogen stehen muss.
Bei manche Themen wird es spannend zu beobachten sein, wie man einen etwaigen Mitgliederwunsch umsetzt. Etwa bei der Frage, ob die ÖVP fixieren soll, dass „beim Auswahlverfahren nicht auf bündische Zugehörigkeiten“ abgestellt werden soll, sondern nur auf die Qualifikation einer Person. Schon jetzt gibt es keine Regelung, laut der Posten auf die verschiedenen ÖVP-Bünde aufzuteilen sind, nur passiert dies faktisch oft. Wissen will die Partei auch, ob es Regelungen für die Einbindung von Frauen bei Listenerstellungen geben soll. Das Reißverschlusssystem wird hier als eine Möglichkeit genannt.
Reformparteitag im Mai
Der Evolutionsprozess war im April 2014 noch unter ÖVP-Chef Michael Spindelegger ins Leben gerufen worden. Blümel betreut die Reformbewegung, die unter Reinhold Mitterlehner weitergeführt wurde, federführend. Bis Anfang Februar können nun die ÖVP-Mitglieder den Fragebogen beantworten. Entscheidend ist dann aber, welche Beschlüsse die Delegierten am Reformparteitag am 12. und 13. Mai in Wien fällen werden. Wobei Blümel davon ausgeht, dass man sich dort an das Ergebnis des Mitgliedervotums halten werde.
(''Die Presse'', Print-Ausgabe, 08.01.2015)