Wann muss es in Europa finster werden?

Der Anschlag von Paris, Pegida und der Zerrspiegel ihrer Kritiker.

Man glaubte zunächst nicht richtig zu lesen: Da vergleicht ein angesehener deutscher Herausgeber allen Ernstes die Attentäter von Paris mit den Pegida-Demonstranten, denn beide hätten es auf die Pressefreiheit abgesehen. Und eine österreichische Kommentatorin zieht kurzerhand eine Linie von Pegida zum wahnsinnigen Massenmörder Breivik in Norwegen. Der Ruf „Lügenpresse“ in Dresden sei gewissermaßen nur eine Vorstufe zur Gewalt. In Dresden greife der „Bodensatz von radikalen Ansichten nur zu Parolen und Plakaten“, anderswo eben zur Maschinenpistole.

Aber da ist ja genau der Unterschied: Parolen und Plakat sind ein friedliches Mittel, die es verwenden, nehmen nur ihr Demonstrationsrecht wahr, aber es wird ihnen unterstellt, sie könnten eines Tages vielleicht zur Gewalt greifen. Die anderen erschießen gleich zwölf Menschen. Derselbe Herausgeber, der jetzt hinter den Pegida-Demonstranten Extremisten und Volksverhetzer lauern sieht, hatte noch vor drei Wochen sehr viel Verständnis für sie gezeigt: Der Protest auf der Straße richte sich auch dagegen, „in die rechte Ecke“ gedrängt zu werden. Er billigte den Demonstranten legitime Motive zu.

Die erste Reaktion des deutschen Innenministers auf die Morde von Paris war, der Anschlag habe nichts mit dem Islam zu tun. Man versteht die Raison einer solchen Aussage. Ein Sicherheitsminister muss natürlich versuchen, die Stimmung zu beruhigen und mögliche Racheakte und das Übergreifen von Unruhe auf sein eigenes Land zu verhindern. Aber die Antwort des Minister ist die, die wir jeden Tag auf die Nachrichten über IS und Boko Haram bekommen und auch jetzt wieder hören: Das ist nicht der Islam, das hat mit dem Islam nichts zu tun. Damit belügen sich die europäischen Muslime selbst und die westliche Öffentlichkeit. Diese hört es freilich gern, weil sich das Problem damit lediglich als eines der Terrorismusbekämpfung darstellt, die getrost der Polizei überantwortet werden kann.

Man mag es für pervers halten, wenn die Mörder von Paris angeblich gerufen haben, sie „rächen die Ehre des Propheten“ – mit Maschinenpistolen, aber dass rund um die Welt unglaubliche Gewalttaten im Namen dieses Propheten begangen werden, lässt sich nicht bestreiten. Ob das der „wahre Islam“ sei, ist eine müßige Frage, es ist jedenfalls eines der Gesichter des Islam und dass sich viele Menschen nicht nur in Europa davor fürchten, wird man ihnen nicht verdenken und auch nicht ausreden können. Das kann man auch nicht damit abtun, dass man die Pegida-Parole von der „Islamisierung“ Europas als Phantom bezeichnet. Ängste sind auch da, wenn sie ein anderer für unberechtigt halten mag.

Auch die katholische Kirche macht bei dieser Gelegenheit auf sich aufmerksam. Als Signal gegen Pegida lässt sie die Lichter auf ihren Domen abschalten. Man soll verstehen: Weil Leute in Dresden friedlich demonstrieren, gehen in Europa die Lichter aus. Dafür wird sie sehr gelobt, sie habe damit „Kante gezeigt“, wie man in Deutschland sagt. Dagegen, dass bei jeder größeren Demonstration unter linken Vorzeichen Chaoten alles krumm und klein schlagen und Polizisten an Leib und Leben gefährden, hat die Kirche noch nie „Kante gezeigt“ und Kathedralen abgedunkelt.

Religiöse Verfolgung

Nach dem Anschlag von Paris solidarisieren sich nun katholische Geistliche mit Imamen und Rabbinern im Kampf der „drei abrahamitischen Religionen“, wie es heißt, gegen Gewalt im Namen der Religion. Gegen eine solche schwere Pathologie von Religion muss man tatsächlich angehen, aber warum Katholiken ausgerechnet jetzt eine Last mittragen sollen, die nicht ihre ist, kann man fragen. Immerhin tragen Dutzende von Millionen Christen in der ganzen Welt die Last schwerer religiöser Verfolgung.

Man braucht sich dann auch nicht wundern, wenn leichthin „katholische Fundamentalisten“ in einem Atemzug mit den Mördern von Paris genannt werden. Es ist zwar nicht klar, was man sich unter einem katholischen Fundamentalisten vorstellen soll, jedenfalls greift er nicht zur Waffe, nicht einmal, um sich zu verteidigen. Eher tut er sich selbst Gewalt an, indem er die Vorschriften seines Glaubens ernst nimmt.

Der deutsche Justizminister, Heiko Maas, hat die Pegida-Demonstranten als eine „Schande für Deutschland“ bezeichnet. Ob er die Mörder von Paris für eine Schande für Frankreich hält, ist nicht bekannt. Sein sozialdemokratischer Parteifreund Wolfgang Thierse, ehemals Vizepräsident des Bundestags, war da klüger und hat mehr nachgedacht: Er sprach von „Entheimatungsängsten“, von denen die Pegida-Demonstranten umgetrieben seien.

Das ist ein etwas gekünsteltes Wort, aber es beschreibt, worum es geht. „Ungehörte“ hat sie Hubert Patterer in der „Kleinen Zeitung“ genannt.

Die Patriotischen Bürger gegen die Islamisierung des Abendlandes rufen bei den Demonstrationen „Wir sind das Volk“. Das wird ihnen als eine Art Erbschleicherei an den DDR-Helden von 1989 ausgelegt. Es gibt aber keinen Exklusivanspruch auf eine solche Bezeichnung. Leute, die in der „Mitte der Gesellschaft“ stehen, wie ihnen ihre Kritiker immer wieder zugestehen, dürfen ihn erheben, zumal der Katalog ihrer Forderungen alles andere als radikal oder „fremdenfeindlich“ ist, wie das beliebte, einer weiteren Begründung nicht mehr bedürfende Schreckvokabel lautet.

Allergische Reaktion

Die deutschen Medien reagieren ungemein allergisch auf Pegida. Das kann nicht nur daran liegen, dass die Demonstranten immer wieder „Lügenpresse“ schreien. Dergleichen ärgert einen als Journalisten zwar, aber Kritik und Beschimpfungen dieser Art ist man gewöhnt, und wer das nicht aushält, ist in dem Beruf fehl am Platz. Viel mehr unter die Haut geht da schon, dass die Pegida-Anführer es ablehnen, mit unsereinem zu reden, wo wir doch gewöhnt sind, dass es jedermann – und schon gar einem politischen Aktivisten – schmeicheln muss, zu einem Interview gebeten zu werden. Der wahre Grund für die Gereiztheit muss ein anderer sein: Die (reden wir wieder vorsichtshalber nur von den deutschen) Medien fühlen sich ertappt. Sie haben die Leute mit ihren Sorgen allein gelassen.

Sorgen ernst nehmen

Die Pegida-Leute weiter zu diffamieren und etwa als „Faschisten im Nadelstreif“ zu bezeichnen wird nichts nützen. Man braucht auch gar keinen „Dialog mit ihnen zu führen“, um sie von ihren vermeintlich irrigen Meinungen abzubringen.

Auch vor den skurrilen bis möglicherweise gefährlichen Rändern von krausen Russland-Ideologen bis zu Anti-Amerika-Ideologen (beide gibt es spiegelbildlich auch auf der Linken) braucht man sich nicht zu fürchten.

Aber man muss die Sorgen der Leute „ernst nehmen“, wie es die CSU verspricht. Der erste Schritt dazu ist, die Politik der Verdrängung, Tabuisierung und Beschönigung zu beenden.

DER AUTOR

E-Mails an:Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2015)

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