Tina Maze: "Jedes Training zerstört unsere Partnerschaft"

ALPINE SKIING - FIS Ski WC Vail/ Beaver Creek 2015
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Das Phänomen Tina Maze: Die 31-jährige Slowenin, die von ihrem Freund trainiert wird, könnte in allen Disziplinen eine Medaille gewinnen.

Es hätten die Titelkämpfe von Lindsey Vonn werden sollen. Aber die US-Amerikanerin muss sich bei der Heim-WM in Vail/Beaver Creek nun andere Ziele setzen. Bronze im Super-G hatte sie nicht glücklich gemacht, in der Abfahrt ging sie dann überhaupt leer aus. Platz fünf kommt bei der Rekordweltcupsiegerin einer Niederlage gleich. Von Heimvorteil ist keine Spur, die 30-Jährige kommt mit der Strecke nicht wirklich zurecht. „Mein Timing passt nicht“, stellt sie fest. „Ich habe noch immer nicht das richtige Gefühl.“ Vonn will nun in der Kombination und im Riesentorlauf ihre letzten Chancen nützen. „Meine Möglichkeiten sind jetzt gering. Ich hoffe, ich kann ein Wunder wahr werden lassen.“

Vail 2015, das könnte nun die WM von Tina Maze werden. Die 31-jährige Slowenin ist eine der wenigen Athletinnen, die in allen Disziplinen startet – und in jeder davon Siege vorzuweisen hat. Nach Silber im Super-G hat sie nun auch Gold in der Abfahrt in der Tasche. Zum Vorbild hat sie sich Lasse Kjus genommen, der Norweger hat 1999 in Beaver Creek tatsächlich fünf Medaillen gewonnen. Das ist Maze ebenso zuzutrauen, auch in der Kombination, im Riesentorlauf und im Slalom sind Podestplätze realistisch.

Tina Maze ist eine Einzelkämpferin. Den eingeschlagenen Weg zieht sie kompromisslos durch. Den Gesamtweltcup, den hat sie einmal mit Punkterekord gewonnen, in Sotschi gleich zweimal Gold geschürft. Und schon 2011 hat sie sich zur Riesentorlaufweltmeisterin gekürt. Aber jetzt darf sie sich auch Abfahrtschampion nennen. Mit 31. Alle anderen vor ihr waren jünger. Und erstmals in der Skigeschichte kommt nun eine Abfahrtsweltmeisterin aus Slowenien. Aus einem Land, in dem man diese schnellste Disziplin nicht einmal trainieren kann, weil es keine dementsprechende Piste gibt.

Tina Maze ist eine der letzten Alleskönnerinnen. Lindsey Vonn ist so etwas wie eine Intimfeindin von ihr. Und einige werden sich daran erinnern, dass es vor zwei Jahren beim Weltcup in St. Moritz zu einem Eklat gekommen ist. „Fuck you, Maze!“, soll die US-Amerikanerin damals gerufen haben. Zumindest hat die Slowenin das so verstanden. Offiziell wurde der Streit beendet, man entschuldigte sich gegenseitig. „Aus gegenseitigem Respekt.“ Aber in Beaver Creek hatte sich das beim Super-G so angehört: „Siii, siii!“, rief Tina Maze im Ziel. Weil sie vor allem eine geschlagen hatte: Lindsey Vonn um 0,12 Hundertstel. Anna Fenninger war schneller, die ewige Rivalin aber hatte sie bezwungen.

Mit Anna Fenninger hat Tina Maze weniger Probleme. Die beiden verbindet ein ganz besonderes Verhältnis. „Tina ist keine Freundin wie im normalen Leben, sondern wie eine Freundin im Skileben“, beschreibt es Fenninger. „Wir reisen zusammen, wir treffen uns immer auf dem Podium. Wir teilen unsere guten Leistungen, deswegen sind wir gute Freundinnen.“ Im ersten Damenrennen betrug der Unterschied drei Hundertstel, in der Abfahrt zwei. „Also bin ich besser...“

Die Slowenin, die vor 16 Jahren ihr Weltcupdebüt gegeben hatte, sagte sich 2008 von ihrem Verband los. Und stellte sich ihr eigenes Trainingsteam zusammen: Team to aMaze, heißt es. Wobei es da nicht viel zu lachen gibt. Und das, obwohl der Teamchef gleichzeitig auch ihr Freund ist. Früher war Andrea Massi ihr Konditionstrainer. Und nicht ein Mal hat er bereits gesagt: „Mir recht es, ich kündige.“

Die Beziehung der beiden gestaltet sich schwierig. Jeden Tag warten neue Herausforderungen. Vor allem während der Saison, da gibt es kaum Gelegenheiten, sich zurückzuziehen. Jeder Tag ist streng durchgeplant: Das beginnt mit dem Frühstück, endet mit dem Schlafengehen. Wer fünf verschiedene Disziplinen trainieren will, der halst sich eine Menge auf. Der Trainingsaufwand, das weiß Tina Maze, ist fast nicht zu schaffen. „Der Wechsel zwischen den Disziplinen ist so groß, als stiege man vom Tischtennis plötzlich auf Tennis um.“

Wenn Zeit bleibt, dann übt sich Tina Maze auch als Sängerin. Ihr Song „My Way Is My Decision“ hat es 2013 in ihrer Heimat in die Hitliste gebracht. Auch am Klavier macht sie eine gute Figur. „Aber meine Musik ist der eigene Herzschlag“, sagt sie in Beaver Creek. Und manchmal wirkt sie so richtig müde. Wie nach ihrem Goldlauf in der Abfahrt. Wer keinen Bewerb auslässt, zahlt einen hohen Preis. Wobei der Grundstein für die harte Saison im Sommer gelegt wird. „Im Winter wird dann exekutiert!“ Entscheidend seien Fitness und Gesundheit.

Maze hat sich dem Skisport voll und ganz verschrieben. Es gibt keinen anderen Fokus in ihrem Leben. Um neue Reize zu setzen, hat sie im Sommer einen Trainer ausgetauscht und Valerio Ghirardi engagiert. „Das hat neue Energie gebracht“, sagt sie. „Aber die Basis bleibt immer gleich – das bin nämlich ich!“ Noch immer an ihrer Seite ist jedoch Andrea Massi. Er muss sie antreiben, anschreien, zusammenstauchen. „Mit jedem Training zerstöre ich unsere Partnerschaft“, sagt er. Und die Beziehung muss immer wieder gekittet werden. Aber das System hat Erfolg.

Die slowenische Ausnahmekönnerin hat vor einigen Jahren gemeint, sie müsse zur Bestie werden, um erfolgreich zu sein. „Nur mit Wut im Bauch kann ich mein Potenzial abrufen.“ Das sieht sie heute anders. „Tina definiert sich nicht mehr über männliche Werte wie Kraft und Aggressivität.“ Nach ihrer Karriere will sie Lehrerin werden, die Prüfungen hat sie schon alle abgelegt. Während der WM muss die Diplomarbeit warten.

Tina Maze

Die Allrounderin
Die Slowenin Tina Maze, 31, hält nach Gold in der Abfahrt bei insgesamt bereits zwölf Medaillen bei Großveranstaltungen. In Sotschi avancierte sie zur DoppeloIympiasiegerin, 2011 hat sie im Riesentorlauf Gold gewonnen, 2013 im Super-G.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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