Weihburggasse 30: Ein Palais und seine schäbige „Restitution“

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Die Nachkommen jüdischer Fabrikanten mussten 66 Jahre um die Rückgabe kämpfen.

Wien. Jahrzehntelang residierte das Landesarbeitsamt Wien in einem prächtigen Ringstraßenpalais, in der Weihburggasse 30. Und fast ebenso lang hinterfragte kein Mensch die Baugeschichte und die Besitzverhältnisse vor dem Zweiten Weltkrieg. Auch wir nicht. (Die „Presse“-Redaktion lag in den Neunzigerjahren genau gegenüber).

Erst eine beherzte Mitarbeiterin des Amtes, Ingeborg Schweikert, vertiefte sich in Baupläne und Grundbuchauszüge. Der Historiker Robert Streibel hat nun aus diesen Recherchen ein faszinierendes Buch verfasst. Denn es geht um jüdische Fabrikanten, um die Familie Liebig, um Richard von Ortlieb, um einen angeblichen Freimaurertempel im Kellergeschoß, um „Arisierung“ übelster Sorte und schließlich um die kaltschnäuzige Einverleibung dieses Besitzes ins Eigentum der Republik.

Nichts Neues, ist man versucht zu sagen. Wer die Geschichte des Palais Ephrussi kennt und weiß, wie es sich unter prachtvollen Deckengemälden repräsentieren lässt, den wundert wenig. Streibel holt allerdings weiter aus. Er stellt die abenteuerliche Enteignungsgeschichte der Weihburggasse in den historischen Zusammenhang mit der Bebauung der Ringstraße, deren 150. Geburtstag wir heuer feiern. Er beschreibt die erbärmlichen Verhältnisse der Arbeiter, die hier ein kärgliches Brot verdienten.

So schrieb die großbürgerliche „Neue Freie Presse“ 1865 herablassend: „Die von mehreren Fabrikanten entlassenen Arbeiter sollen bei der Stadterweiterung beschäftigt werden. Dadurch kann man dem Notstand begegnen, ohne zu dem verfehlten Mittel der Unterstützung der Arbeitslosen mit barem Geld zu schreiten, wozu für die Gemeinde keine Verpflichtung vorliegt. Der Überfluss an Arbeitern veranlasst nun auch einige Fabrikanten, sich ihrer schlechteren Arbeiter zu entledigen und dafür bessere aufzunehmen; hiedurch entsteht nun eine größere Arbeiterbewegung. Unsere Arbeiter gehören in der Regel nicht zu den Sparsamen, sie sind daher in Zeiten der Not ohne Hilfsmittel, unsere nicht zum Besten geleiteten Armen-Institute kennen aber größtenteils nur die Natural- und Geldbeteiligung. Wenn nun der Arbeiter sieht, dass er ohne Arbeit leben kann, so ist ihm das viel lieber, und er greift schnell zum Betteln. Er geht aber da nicht in die Armen-Institute, sondern lieber gleich zu den Fabrikanten, und da das Betteln in Masse mehr imponiert, so ziehen die Arbeiter in Kolonnen von 40 bis 50 Mann von Fabrik zu Fabrik und verlangen mit Ungestüm ein Almosen; sie treten mit großem Lärm in die Comptoirs, schlagen die Türen heftig zu und werfen kleinere Gaben auf den Boden und verlangen mehr. Mit Recht weisen die Fabriksherren darauf hin, dass sie in dieser Lage Schutz vom Staate verlangen können.“

Streibel entfaltet vor unseren Augen ein Gemälde vom Kunstsinn und der Wohltätigkeit mancher jüdischer „Ringstraßenmäzene“. Dass sich die Republik Österreich nach 1945 taub stellte, verwundert nicht. 618.000 Schilling gab man schließlich 1957 den rechtmäßigen Erben, die in den USA saßen. Doch unter der schwarz-blauen Koalitionsregierung kamen die Dinge in Fluss. So wurde die Weihburggasse der erste große Fall, in dem die schäbige „Restituierung“ nochmals untersucht und repariert werden konnte. Im Mai 2005 beschloss der Ministerrat endlich – nach einer positiven Empfehlung der Schiedsinstanz – eine Naturalrestitution der Liegenschaft. Ein wahres Meisterstück hinhaltender Bürokratentaktik war zu Ende gegangen. (hws)

Robert Streibel
Bürokratie & Beletage
Ein Ringstraßenpalais zwischen „Arisierung“ und spätem Recht. Mandelbaum-Verlag, 192 Seiten, € 19,90

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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