Neue Taktik: Buhlen um die Gunst der Muslime

(c) Reuters (Umit Bektas)
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US-Präsident Obama schlägt versöhnliche Töne an: ein erster Schritt, um radikalen Islamisten die Basis zu entziehen.

Wien. Change. In kaum einem Bereich waren die Erwartungen an einen Wandel der US-Politik so hoch wie beim Verhältnis zur islamischen Welt. Barack Obama stand nach dem Abtritt von George W. Bush vor einem Scherbenhaufen: Der „Krieg gegen den Terror“, von den Muslimen vielfach als Krieg gegen den Islam wahrgenommen, die Irakinvasion, schließlich Guantanamo und die Folterskandale sind nur die wichtigsten Stichworte.

„Lasst mich das so klar wie nur möglich sagen, die USA sind nicht im Krieg mit dem Islam.“ Die Worte Barack Obamas am Montag vor dem Parlament in Ankara waren der vorläufige Höhepunkt einer Charmeoffensive, die der US-Präsident am Dienstag beim Forum der „Allianz der Zivilisationen“ fortsetzen wird. Begonnen hat sie schon bei der Amtseinführung, als er sich direkt an die islamische Welt wandte: „Wir suchen einen neuen Weg, gegründet auf wechselseitigen Interessen und Respekt.“ Stärker noch das nächste Symbol: Das erste Interview für einen ausländischen Sender gab er dem saudischen Kanal al-Arabija. Den Muslimen in aller Welt versicherte er: „Die Amerikaner sind nicht euer Feind.“

„Es ist immer erfreulich, wenn sich der Tonfall ändert“, sagt der Wiener Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker: „Aber bei aller Kommunikationsfähigkeit bleibt es entscheidend, wie sich das in reale Politik übersetzt.“ Der Spagat, den Obama schaffen muss: die Sicherheitsinteressen der USA zu berücksichtigen und den islamischen Extremismus zurückzudrängen, ohne die Muslime im Stile Bushs vor den Kopf zu stoßen.

Die sogenannte „Presidential Taskforce“ des renommierten Washington Institute gab Obama kürzlich einen Leitfaden zur Hand. Kernaussage: Die USA hätten den Fokus auf militante Gruppen wie al-Qaida verengt, Islamismus vor allem als Sicherheitsproblem begriffen. Dabei seien (noch) nicht gewalttätige Formen des Extremismus „weitgehend ignoriert“ worden. Diese „Zubringer“-Gruppen seien aber ein Schlüsselfaktor bei der Radikalisierung künftiger Attentäter, eine Art ideologischer Durchlauferhitzer. Also müsse man verstärkt hier ansetzen.

Armut und Marginalisierung

Doch das kann der Westen nicht alleine: „Die Nichtmuslime sollten sich bewusst sein, dass die Lösung nur aus den muslimischen Gemeinschaften selbst kommen kann“, stellt Experte Lohlker fest. Das Washington Institute nennt etwa die britische Quilliam Foundation: Sie wurde von Exmitgliedern der extremistischen Gruppe „Hizb ut-Tahrir“ gegründet, die das Kalifat wiedererrichten will. In Kenntnis von Denkweise und Strukturen der Islamisten bietet Quilliam Gegenkonzepte an.

Zwei Ursachen tragen zum ungebrochenen Zulauf islamistischer Gruppen bei: Armut und Marginalisierung in den korrupten, autoritären Regimen von Ägypten bis Pakistan. Schlussfolgerung der US-Experten: „Politische und wirtschaftliche Reformen im Mittleren Osten bleiben die beste strategische Antwort ..., um das Reservoir an potenziellen Rekruten für radikalen Extremismus zu verringern.“ 100 Millionen junge Menschen, für die im Mittleren Osten bis 2010 ein Job gebraucht wird (Vorkrisenzahlen!) zeigen die Dimension der Aufgabe.

Reservoir für Rekruten verringern

Rüdiger Lohlker urgiert die „Förderung eines demokratischen Klimas in Ländern mit islamischer Mehrheitsbevölkerung“. Denn damit wäre eine Öffnung der Gesellschaften verbunden. Die NGO Freedom House stuft fast zwei Drittel der Länder im Mittleren Osten als „unfrei“ ein. Ein wunder Punkt, wie Umfragen in mehreren islamischen Ländern zeigen: 61 bis 84 Prozent glauben, dass die USA überhaupt gegen Demokratie in islamischen Ländern sind oder Demokratie nur dann unterstützen, wenn es sich um Länder handelt, die mit Washington kooperieren. 62 (in Indonesien) bis 87 Prozent (beim engen US-Verbündeten Ägypten) sind der Meinung, die USA wollten die islamische Welt schwächen und spalten.

Zwischen 28 (Nigeria) und 64 Prozent (Iran) glauben übrigens, dass die USA absichtlich die islamische Welt erniedrigen. Viel zu tun für Barack Obama, will er dieses Klima nachhaltig bessern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2009)

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