Der Iran-Atom-Deal: Ein Erfolg zäher Diplomatie

Mit der Wiener Vereinbarung wird nicht nur die Aufrüstung Teherans verhindert, auch die Debatte um eine weltweite nukleare Abrüstung gewinnt an Tempo. Doch einige Staaten – etwa die USA und Israel – stehen auf der Bremse.

Die gegenwärtige Situation im Nahen Osten ist alles andere als erfreulich. Zahlreiche Staaten sind kaum mehr regierbar, einige sind de facto schon zerfallen, Revolutionen und Konterrevolutionen beherrschen die Szene. Die Illusionen des sogenannten Arabischen Frühlings sind längst verflogen, von Demokratie und Menschenrechten keine Rede. Und on top machen Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS) das Geschehen ganz besonders brutal und unkalkulierbar.

Aber auch viele der noch funktionierenden Staaten sind zum Teil in abenteuerliche und wahrlich nicht friedliche Militäraktionen verstrickt, deren Ausgang alles andere als vorhersehbar ist, ganz abgesehen von ihren unklaren Beziehungen zu manchen Terrorgruppen. Zum Teil tragen diese Interventionen (Schlagworte Syrien, Jemen) kaum zu einer friedlichen Lösung der zahlreichen Konflikte in der Region bei. Die Mitverantwortung westlicher Staaten an diesem Chaos ist evident.

Diese Situation ist Ausdruck der in der Welt derzeit weitverbreiteten Überzeugung, wonach Konflikte mit mehr oder minder offener Gewalt zu lösen seien. Dass das nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges geschaffene internationale System exakt von den gegenteiligen Prinzipien, nämlich der Existenz und Achtung bestimmter universeller Menschen- und Völkerrechte, getragen worden ist, gerät immer mehr in Vergessenheit. Dass diese neue Weltordnung bereits wenige Jahre nach seiner Etablierung von einigen der Gründungsstaaten selbst auf das Gröbste verletzt worden ist, hat zweifellos mit zu einer gewissen institutionellen Schwäche dieses Systems beigetragen.

Somit hat sich in den Zentren der Macht aber in zunehmendem Maße auch in den neu gegründeten Staaten in der sogenannten Dritten Welt eine andere Realverfassung etabliert, nämlich die Überzeugung, dass es durchaus normal und akzeptabel sei, in gewissen Situation zu militärischer Gewalt zu greifen. Das System der Respektierung international geltender Normen, wie sie in Dokumenten wie der Charta der Vereinten Nationen u.Ä. niedergeschriebenen sind, ist bereits seit den späten Vierziger- und frühen Fünfzigerjahren ein Papiertiger.

Diplomatische Geduld

Dennoch hat es immer wieder – gewissermaßen als ungeplante Unfälle der De-facto-(Un)ordnung – Situationen gegeben, in denen die Prinzipien der Gründungsväter der VN zum Tragen gekommen sind. Leider blieben diese die Ausnahmen und sind zumeist erst dann möglich geworden, nachdem jahrelange blutige Konflikte zu keinen Ergebnissen geführt haben.

Wir sind gegenwärtig wieder in einer derartigen Situation: Die vor wenigen Wochen in Wien erzielte Einigung zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe stellt zweifellos einen Durchbruch für das Prinzip der diplomatischen Geduld, des „Bohrens harter Bretter“ auf internationaler Ebene, dar. Als Ergebnis von über zehnjährigen zähen Verhandlungen besteht nun die Chance, dass gleich in einem Zug mehrere der gravierendsten weltweiten Probleme einer Lösung näher kommen.

Dabei ist die Verhinderung einer möglichen atomaren Aufrüstung des Iran meines Erachtens nicht einmal das bedeutendste – potenzielle – Ergebnis dieses Deals, sondern auch die Möglichkeit, dass dadurch die seit Jahrzehnten auf der Stelle tretende Debatte um eine weltweite nukleare Abrüstung wieder an Tempo gewinnt.

Angesichts der massiven Kampagne von Gegnern dieses Deals ist die erste Schlacht in diesem Krieg aber noch nicht gewonnen. In den nächsten Wochen wird es nun darum gehen, den Hauptproponenten der Gegner dieses Vertrages entgegenzutreten, dies sind vor allem die US-amerikanischen Republikaner und Israel (als nicht deklarierte Atommacht) sowie deren weltweite Lobbyisten. Es würde zu weit führen, diese Allianz näher zu erläutern. Es ist aber ganz offensichtlich, dass beide zu jenen Akteuren zählen, welche Gewalt diplomatischen Verhandlungen vorziehen.

Israel, welches selbst seinem „Hauptsponsor“ USA nicht loyal gegenübersteht (siehe Affäre Jonathan Pollard und Angriff auf das US-Schiff Liberty), hat dies im Laufe der Jahrzehnte vielfach bewiesen, die US-amerikanische Rechte wiederum träumt noch immer von einem „neuen Nahen Osten“ nach den Vorstellungen von George W. Bush.

Sollten sich die Befürworter der Iran-Vereinbarung international durchsetzen, dann werden natürlich all jene, welche die Nahost-Politik der Jahrzehnte für richtig halten, zu den Hauptopfern gehören. Denn dieser Vertrag wird erst dann seine Wirkung voll und ganz erfüllen können, wenn es – neben den absolut notwendigen politischen Veränderungen im Iran – auch zu einer weitgehenden neuen Konfliktkultur im Nahen Osten und – in'shallah – auch darüber hinaus kommt.

Konkret würde das auch bedeuten, den besonders in den letzten Jahren immer virulenter gewordenen Religionskonflikten im Orient entschieden entgegenzutreten. Manche mögen derartige Hoffnungen für naiv und blauäugig halten, aber angesichts der aktuellen Bedrohungen ist das wohl das Bestmögliche.

Atomare Abrüstung

Wie bereits erwähnt, könnte dieser Iran-Vertrag auch der internationalen Debatte über atomare Abrüstung und eine weltweite Ächtung aller Atomwaffen einen neuen Schub verleihen. Erst im Mai des heurigen Jahres ist bei der internationalen Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages in New York klar geworden, wer hier seit vielen Jahren auf der Bremse steht und wie die weltweiten Mehrheitsverhältnisse liegen.

Die Konferenz ist de facto gescheitert, da sich einige wenige Staaten (im Wesentlichen die USA und Israel) gegen eine Resolution aussprachen, welche im kommenden Jahr eine Konferenz vorsah, bei der über die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten (was übrigens bereits in einigen UN-Resolutionen gefordert worden ist!) diskutiert werden sollte. Alle arabischen Staaten, auch der Iran und die meisten europäischen Länder haben diese Resolution unterstützt.

Aus österreichischer Perspektive war das Auftreten unserer Vertreter auf dieser Konferenz sehr erfreulich, da sich Österreich als Sprecher einer großen Gruppe von Staaten bei der Abschlussdebatte am 22.5. zu Wort meldete und konkrete Schritte in Richtung atomare Abrüstung verlangt hat. Diese unter der Bezeichnung „humanitarian pledge“ inzwischen weltweit anerkannte Initiative wird bereits von 112UN-Mitgliedstaaten unterstützt.

Es wäre also eine äußerst wichtige und lohnende Fortsetzung der Wiener Iran-Gespräche, diese Initiative entschlossen fortzuführen. Es ist höchst an der Zeit, dass die Blockade der Atommächte und ihrer Lobbyisten endlich durchbrochen wird.

E-Mails an: obfuscationcom" target="_blank" rel="">debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Fritz Edlinger, der seit den Siebzigerjahren diverse politische Funktionen in der SPÖ innehatte, befasst sich seit Langem politisch und publizistisch mit dem Nahen Osten. Seit 1996 ist er Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen und Herausgeber von „International“, der Zeitschrift für internationale Politik. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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