CERN: Physiker wollen nicht wie Karl May forschen

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PK �OESTERREICHS CERN-AUSTRITT�(c) APA (Roland Schlager)
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Ohne Grundlagenforschung gäbe es heutzutage kein WWW oder keine Handys. Der CERN-Ausstieg würde Österreichs Wissenschaft verarmen lassen. Für Nachwuchs-Forscher verschwinden jetzt Möglichkeiten.

"Der LHC ist ein einzigartiges Geschenk an die Wissenschaft." Mit diesen Worten betonte Walter Thirring, ehemaliger Direktor der Abteilung theoretische Physik am CERN, die Wichtigkeit des Kernforschungszentrums. In dieselbe Kerbe schlug Peter Skalicky, Rektor der TU Wien: Wenn Österreich - wie von Wissenschaftsminister Hahn angekündigt - seine Mitgliedschaft beim CERN zurücklegt, müssten österreichische Teilchenphysiker so forschen, wie Karl May seine Bücher geschrieben hat - ohne je dabei gewesen zu sein. Besonderen Schaden erleidet dadurch der wissenschaftliche Nachwuchs. Und, so Gerald Badurek, Dekan an der TU: "Österreich darf nicht nur Trittbrettfahrer sein, sondern muss ein echter Mitspieler bleiben."

Österreichisches Know-How soll Higgs finden

"Österreich war bisher an vorderster Front an der Entwicklung des LHC dabei", unterstreicht auch Christian Fabjan, Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (HEPHY), die Bedeutung des österreichischen Beitrags. Am Detektor CMS, der das heiß begehrte Higgs-Boson finden soll, hat Österreich essenzielle Systeme entwickelt. "Wenn das nicht funktioniert, funktioniert am CMS gar nichts mehr", so Fabjan. "Zeigen Sie mir bitte, was Sichtbarkeit ist, wenn nicht das", fügt er hinzu, in Anspielung auf die Kritik aus dem Wissenschaftsministerium, die Forschung Österreichs am CERN wäre nicht präsent genug.

Ohne CERN keine Chance auf Professur

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften lud angesichts der Thematik zu einer Pressekonferenz. Dabei wollten die Wissenschafter herausstreichen, welche Auswirkungen für Forschung, Wirtschaft und Ausbildung das CERN in Österreich hat. Beim letzten Punkt hakte Daniela Klammer nach. Sie hatte ein Stipendium am CERN gemacht und wollte ein Fellowship bei der Organisation anstreben. Durch den Ausstieg würde ihr diese Möglichkeit verwehrt bleiben. Hunderten Nachwuchs-Physikern genauso. "Wer heute kein Fellowship am CERN hatte, hat keine Chance auf eine Professur", erläuterte Klammer. "Die internationale Konkurrenz ist hart."

Österreichische Forschung verarmt

- Walter Thirring, ehemaliger CERN-Direktor (1968 - 1971)
- Walter Thirring, ehemaliger CERN-Direktor (1968 - 1971)(c) APA (Roland Schlager)

Der Zeitpunkt des Ausstiegs könnte nicht schlechter gewählt sein. "Wenn wir jetzt aussteigen, stehen keine österreichische Namen mehr auf Publikationen, die vielleicht den Nobelpreis bekommen werden", so Klammer weiter. Die Entdeckung des Higgs-Teilchens wäre so ein Fall. "Bei einem Ausstieg verarmt die komplette österreichische Forschung", fügte Direktor Fabjan hinzu. Schließlich würden viele Bereiche der Wissenschaft von der Teilchenphysik abhängen. Besonders schmerzhaft für Walter Thirring, der unter anderem das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst erhalten hatte, ist die Tatsache, dass sich Österreich in Zeiten europäischen Zusammenhalts aus dem CERN entfernen will. Denn: Das CERN wäre noch vor jeglicher politischen Union eine Vereinigung der europäischen Länder unter einem gemeinsamen Ziel gewesen. "Und jetzt müssen wir uns hinter Serbien anstellen", ergänzt der Physiker bitter.

Keine Alternative für CERN

Einen "Plan B" gibt es nicht, betonte Rektor Skalicky. Fällt der Beitrag durch die österreichische Bundesregierung weg, wäre die wissenschaftliche Gemeinde Österreichs nicht in der Lage, die CERN-Mitgliedschaft aus eigener Tasche zu finanzieren. "Die scientific communitiy hat diese finanziellen Reserven einfach nicht", so Skalicky. Zu den Alternativ-Projekten befragt, waren sich die Teilnehmer der Pressekonferenz einig: Wozu bis 2015 warten, wenn zum Beispiel der von Minister Hahn erwähnte Röntgenlaser fertiggestellt wird, wenn man heuer noch die Ergebnisse des LHC ernten könnte?

"Todesurteil"

- Keinen
- Keinen "Plan B" gibt es laut TU-Rektor Skalicky(c) APA (Roland Schlager)

Der Ausstieg hätte aber auch direkte Auswirkungen auf die Bevölkerung, betonte Gerald Badurek, Dekan der Fakultät für Physik an der TU Wien. Das österreichische Krebsforschungszentrum MedAustron hätte (mit CERN-Unterstützung) 2014 mit den ersten Behandlungen von Patienten beginnen können. Sollte durch den Ausstieg der Bau des MedAustron-Beschleunigers nicht mehr möglich sein, wäre das "ein Todesurteil für viele Patienten". Das Zentrum soll 1200 Patienten pro Jahr behandeln können.

Direkte Rückflüsse für heimische Wirtschaft

Zum Thema Wirtschaft führte Fabjan die Rückflüsse durch den LHC-Bau an. Von 1997 bis 2007 sind 73 Millionen Euro an die heimische Wirtschaft geflossen. Und das CERN ist ja nicht nur ein "Physik-Labor". Der Großteil der am CERN tätigen Forscher sind Techniker, die alltäglich brauchbare Anwendungen wie zum Beispiel Anfang der Neunziger das World Wide Web erfinden. "Ich möchte nicht wissen, wieviel Geld die heimische Wirtschaft allein dank dieser Erfindung verdient", sagte Fabjan. Man wisse eben nie im Vorhinein, wozu etwas gut sei, was man gerade erfindet.

Ohne Grundlagenforschung keine Handys

- Gerald Badurek, Dekan für Physik an der TU Wien
- Gerald Badurek, Dekan für Physik an der TU Wien(c) AP (Ronald Zak)

In dieselbe Kerbe schlug auch Badurek: "Als die Elektromagnetischen Wellen entdeckt wurden, dachte auch jeder, das hätte keine praktische Relevanz. Und heute?" Demonstrativ der Dekan sein Handy aus der Sakko-Tasche. Die wahren Resultate der Grundlagenforschung seien eben erst langfristig erkennbar. Daher wird auch Hahns Entscheidung von den Forschern als sehr kurzfristig gesehen.

Ausstieg unbedingt vermeiden

Der CERN-Beitrag Österreichs sei eine Verantwortung der Regierung und nicht eine einzelnen Ministeriums, erklärte TU-Rektor Skalicky. Daher könnten sich ja auch andere Ministerien daran beteiligen. Auch wäre eine Neuverhandlung über die Bedingungen mit dem CERN möglich. Vieles würde in Frage kommen, solange der Ausstieg dadurch vermieden werden könne. Dass eine Mitgliedschaft im CERN nicht nur ein Anliegen von Wissenschaftern ist bestätigt eine Petition gegen den Ausstieg. Bis Montag, 14:00 haben mehr als 31.000 Menschen unterzeichnet. Denn wie Karl May wollen österreichische Wissenschafter eben nicht arbeiten.

(db)

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