Der Sound für die Generation Varoufakis

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Der umtriebige Publizist und Syriza-Versteher Robert Misik erklärt, was Linke in der Vergangenheit so dachten und heute so denken. Ganz einfach war und ist das nicht immer. Ein Buch über linke Vordenker von Marx bis Foucault.

Rechtzeitig zur Renaissance der radikaleren Linken, befeuert durch Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und Jeremy Corbyn in Großbritannien, hat Robert Misik ein neues Buch geschrieben. Der umtriebige Publizist (von „taz“ bis „Falter“), und selbst einer der wortmächtigsten Syriza-Apolegeten im deutschen Sprachraum, hat so eine Art Brevier für die Generation Varoufakis vorgelegt. Damit jene – „Gefühlslinke“ nennt Misik diese – auch um die ideologischen und philosophischen Grundlagen dessen wissen, was sie da bewundern.

Seinen Ausgang nimmt alles selbstredend bei Karl Marx. Von da weg turnt sich Misik durch die linke Geistesgeschichte: Gramsci, Adorno, Foucault. Und viele mehr. Misik macht dabei allerdings nicht den Fehler, alle Theorien immer bierernst zu nehmen. Er weiß um den, wie er es wohl selbst nennen würde, verschwurbelten Sound – Sound ist eines von Misiks Lieblingsvokabeln – diverser linker Vordenker. So lässt er eingangs George Orwell sagen: „Der Fachjargon der Kommunisten ist von der gewöhnlichen gesprochenen Sprache so weit entfernt wie die Sprache eines mathematischen Lehrbuchs.“ Und Orwell weiter: In den Theorie- und Utopiegebäuden, die die linken Theoretiker, die „Buchstabenhengste und Tugendapostel“ aufstellen würden, würde man als normaler Mensch nicht unbedingt leben wollen. „Wie bei den Christen sind beim Sozialismus seine Anhänger die schlechteste Reklame.“

Dies trifft nicht zuletzt auch auf das linke Denken ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu, das dann zunehmend verwirrender, ja auch irrationaler wird. Misik schafft es allerdings ganz gut zu erklären, was Michel Foucault und Co. gemeint haben könnten. Was ist Strukturalismus? Was Dekonstruktion? „Vielleicht würden Sie sagen, Sie sind ein romantischer Typ. Aber woher wissen Sie eigentlich, dass Candle-Light-Dinners, Rosen und Venedig Attribute des Trägers des Attributs Romantik sind?“ Aus Fotos und Filmen etwa. „Selbst wer ein Camus-Buch liest, sich eine Hornbrille und einen schwarzen Rollkragen-Pulli zulegt, folgt einem kulturellen Skript, das nicht das Seine ist.“ Das Ich als Illusion sozusagen.

Den Linken, so Misik, gebe es heute nicht. Er spricht vom „Mosaiklinken“, der sich je nach Bedarf seine Steinchen zusammensetzt. Und es ist ja auch nicht immer so leicht. Ist man nun einfach Mainstream-Feminist (das sind die mit den Aufsichtsräten) oder radikal linker Feminist (die wollen – weil Triumph des Neoliberalismus – am besten gar keine Aufsichtsräte)?

Ablagerung von Alltagsverstand

Eine Art roten Faden gibt es allerdings, auf den Misik auch immer wieder zu sprechen kommt: Und das ist die Alltagstauglichkeit linker Ideen. Oder wie es Antonio Gramsci formulierte: „Jede philosophische Strömung hinterlässt eine Ablagerung von Alltagsverstand.“ Im Zuge eines Sickerprozesses sind so viele, im kleinen Kreis von Theoretikern erdachte linke Ideen Teil der Gesellschaft geworden: Redewendungen beispielsweise („Der Kapitalismus macht alles zur Ware“) oder auch das Genderthema. Und mit der Postmoderne hätte die Linke dann auch das echte Leben wiederentdeckt: Kunst, Sex, Familie, Spiritualität, Lifestyle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)

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