Südchinesisches Meer. Admiral Wu Shengli winkt mit dem Zeigefinger.
Peking/Washington. Nach der demonstrativen Patrouillenfahrt des US-Zerstörers USS Lassen innerhalb der Zwölfmeilenzone um ein Riff im Südchinesischen Meer, das China als sein Gebiet erachtet, hat Admiral Wu Shengli, Chef der chinesischen Flotte, die USA vor einem Krieg gewarnt: Bei einer Telekonferenz mit US-Admiral John Richardson, Chef des Admiralsstabs der US Navy, sagte er am Donnerstag, dass aufgrund der Spannungen in der Region „ein kleiner Zwischenfall einen gewaltsamen Konflikt entzünden“ könne.
Wu verurteilte die Passage der Lassen durch die Zone als „provokativen Akt“. Auf besagtem Riff in den Spratly Islands auf Höhe Südvietnams und der Philippinen hat China in den vergangenen Jahren einen Militärstützpunkt gebaut, es ist einer von derzeit mindestens sieben in der Region, die nicht nur rohstoffreich, sondern auch eine der meistbefahrensten Schifffahrtsrouten ist.
Der Admiral gab sich in chinesischer Manier gleichzeitig warnend und versöhnlich zugleich: „Ich hoffe, dass die amerikanische Seite die gute Stimmung zwischen den Flotten unserer Länder honoriert, die nicht leicht zu erreichen war, und dass sie solche Vorfälle künftig vermeidet.“ Er glaube, dass beide Marinen große Felder der Kooperation hätten und eine positive Rolle zur Aufrechterhaltung des Friedens im Südchinesischen Meer spielen könnten. Umgekehrt gab ein US-Offizier an, die Admiräle hätten sich auf Dialog und das Befolgen von Protokollen geeinigt, um Zusammenstöße zu vermeiden. Geplante gegenseitige Besuche auf Schiffen und in Häfen würden stattfinden, hieß es. Die USA würden aber weiter auf der Freiheit der Seefahrt im Südchinesischen Meer bestehen und diese in Einklang mit dem Völkerrecht schützen.
Der Vorstoß des Zerstörers kam überraschend angesichts der Tatsache, dass es heuer wechselseitige Flottenbesuche gegeben hatte; erst vor Kurzem hatten US-Offiziere die Liaoning, den ersten Flugzeugträger Chinas, besuchen dürfen – ein denkwürdiges Ereignis.
Teilsieg der Philippinen vor Gericht
China, Vietnam, Malaysia, Taiwan, die Philippinen und Brunei haben im Südchinesischen Meer einander kompliziert überlappende Hoheitsansprüche, wobei jene Chinas vorrangig historischer Natur und nach Seerecht kaum begründbar sind. Am Donnerstag gelang den Philippinen ein Teilsieg gegen China, weil der Internationale Gerichtshof in Den Haag sich für eine Klage Manilas gegen Peking im Konflikt für zuständig erklärte. Manila darf nun seine Ansprüche näher erläutern. Allerdings erkennt China die Zuständigkeit des IGH in der Causa nicht an und bleibt dem Verfahren fern. (ag./wg)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)