Michael Klammer: Der Blues vor der Feuermauer

Nachdenklich  „Ich habe Fußball gespielt, aber auch Kafka gelesen“, sagt Klammer.
Nachdenklich „Ich habe Fußball gespielt, aber auch Kafka gelesen“, sagt Klammer.(c) Christine Ebenthal
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Michael Klammer über Joseph Roths Weltbild, ungewisse Identitäten und Europa heute.

Vor zehn Jahren hat der heute 35-jährige Schauspieler Michael Klammer seinen nigerianischen Vater kennengelernt. Er erzählt von seiner Begegnung mit ihm und von seiner Mutter, die aus Südtirol stammt, wie er von der Buchhaltung zum Theater gekommen ist – und von Sprüngen der Generationen. Ab 11.  Dezember ist Klammer im Akademietheater in „Hotel Europa“ nach Joseph Roths Roman „Hotel Savoy“ und weiteren Texten des Schrift-
stellers zu sehen.

In seinem Roman „Hotel Savoy“ (1924) beschreibt Joseph Roth die desolate und fiebrige Zeit zwischen zwei Weltkriegen, im Mittelpunkt der Geschichte steht der ehemalige Soldat Gabriel Dan. In „Hotel Europa“ sind auch Texte aus anderen Büchern Roths eingearbeitet: aus „Flucht ohne Ende“, „Kapuzinergruft“, „Stationschef Fallmerayer“. Worum geht es?

Wir beabsichtigen nicht, „Hotel Savoy“ nachzuerzählen, eher dient der Roman uns als Ausgangspunkt. Es geht um Auflösungserscheinungen, um Menschen im Hotel, im Transit, jeder hat sein Schicksal. Damals wie heute gibt es in großen Hotels eine richtige Ständegesellschaft mit Upgrades, Suiten, abgesperrten Bereichen. Die Gäste werden, je nach Status, unterschiedlich behandelt und haben unterschiedlichen Komfort. Im „Hotel Savoy“ schiebt jeder sein eigenes Unglück vor sich her. Dieses Hotel ist wie eine Vorhölle. Man fühlt sich beobachtet und verfolgt.


Sind Sie gern in Hotels?

Ich mag weitläufige Hotels, kleine nicht sonderlich. Da sitzt du dann in einem winzigen Zimmer auf dem Bett und schaust auf die Feuermauer. Davon bekomme ich den Blues.


Wohnen Sie gern in schönen und luxuriösen Hotels?

Ein Hotel in Stuttgart mag ich, es sind alle sehr zuvorkommend, und abends spielt jemand Klavier in der Hotelbar. Aber auf Luxus kommt es mir nicht so an. Ich sehe gern Menschen zu, Familien, wenn den Kindern etwas hinunterfällt, die Eltern schimpfen, womöglich sind noch die Oma und der Hund dabei. Ich mag es, wenn das Publikum bunt gemischt ist. Das finde ich spannend. Diese Ibis-Business-People, die schon morgens um acht Uhr den Laptop vor sich haben, keiner schaut hoch, das deprimiert mich.

Welche Rolle spielen Sie in „Hotel Europa“?

Das wechselt sehr stark. Wir werden eher Situationen schaffen, Energien, die sich damit transportieren und die immer wiederkehrenden Themen wie Heimatverlust und Einsamkeit in Roths großen Erzählungen verhandeln. Die Herangehensweise des Regisseurs, Antú Romero Nunes, mit dem ich schon öfter zusammen-gearbeitet habe, ist, dass man sich so lang wie möglich für alles frei und offen hält. Das schafft Raum für ganz andere Inhalte, die vielleicht noch aktueller sind.


Wie wirkt der melancholische Alkoholiker Joseph Roth auf Sie?

Ich habe das Gefühl, Roth schaut sehr genau hin, er schafft Projektionsflächen. Noch im Exil imaginierte er sich eine untergegangene Welt, um sich an diese zu klammern. Er weiß, dass ihm das Trinken 20 bis 25 Jahre seines Lebens nimmt, aber er möchte lieber sieben oder 14 wahrhaftige Tage erleben als ein langes, für ihn unerfülltes Leben. Für sich lebt er damit nicht falsch, für mich wäre das nichts.


Schauspieler sind heute wie Akrobaten. Sie könnten es sich nicht mehr leisten, Raubbau an Ihrer Gesundheit zu treiben, oder?

Ich sehe mich selbst als Performer. Es kann sich nicht jeder die Rolle des lustigen Dicken anfressen. Also bin ich sportlich, bewege mich und tue etwas für meine Kondition. Aber ich mache das weniger des Berufs wegen, sondern weil es mir Spaß macht. Ich fühle mich mit Sport einfach viel besser, ich kann gut schlafen, bin fitter. Und mein Hirn läuft dann auch anders.

Charismatisch Viel Lob für Michael Klammer als Franz Moor. „Räuber“, 2006 im Wiener Volkstheater.
Charismatisch Viel Lob für Michael Klammer als Franz Moor. „Räuber“, 2006 im Wiener Volkstheater. (c) Volkstheater/Lalo Jodlbauer

Sie kommen aus einem idyllischen Südtiroler Dorf.

Ja. In meiner Jugend wurde mir allerdings ziemlich schnell klar, dass ich in die Großstadt möchte. Es hat mich sehr interessiert, unterwegs zu sein, andere Leute, andere Kulturen, andere Sozialisierungen kennenzulernen. Inzwischen bin ich gern wieder von Zeit und Zeit in meinem Dorf. Ich sehe, seit ich weg bin, die Natur, die Menschen, die Umgebung mit anderen Augen.


Sie wollten wirklich Bankkaufmann werden?

Nein! Ich dachte, wenn ich Schauspieler werden will, muss ich das Abitur haben. Das wäre eigentlich gar nicht notwendig gewesen. Meine Freunde sind alle auf die Handelsoberschule gegangen und ich mit ihnen. Das war ein hochgradiger Quatsch, denn das Einzige, was ich wirklich nicht kann, ist Mathematik. Zum Glück bin ich schließlich doch dort gelandet, wo ich immer hin wollte.


Ihr Vater stammt aus Nigeria, Ihre Mutter aus Südtirol. Haben Sie Kontakt zu Ihrem Vater?

Ich habe ihn vor zehn Jahren kennengelernt. Wir haben uns am Gardasee getroffen, haben vier Gänge Fisch gegessen und uns ein bisschen abgetastet. Mein Vater war sehr nervös, er hat sehr viel geredet, und er hat mir eine Uhr mitgebracht. Seitdem sind wir in Kontakt. Meinen Vater kennenzulernen, das war ein wichtiger Punkt für mich, ich wollte wissen: Was sind meine beiden Seiten? Was ist der weiße und was der schwarze Anteil vom Zebra?


Denkt man über sich selbst in Kategorien von Schwarz und Weiß?

Nein. Aber in mir sind nicht nur die Eigenschaften und Mentalitäten meiner Eltern, sondern zwei Kontinente mit komplett verschiedenen Lebenshaltungen. Ich wollte darüber mehr erfahren. Bis dahin hatte ich immer nur eine Sichtweise, die meiner Mutter.


War sie dagegen, dass Sie mit Ihrem Vater zusammenkommen?

Ganz im Gegenteil. Meine Mutter hat immer klug und weitsichtig reagiert. Sie kam nicht von sich aus um die Ecke und fragte: „Möchtest du deinen Vater kennenlernen?“ Aber als ich den Wunsch geäußert habe, hat sie mir bei der Suche geholfen.


Was trennt, was verbindet die Generationen?

Ich finde, es gibt heutzutage zwischen den Generationen keine Grenzen mehr. Früher war es klarer: Es gab die Kriegszeit, die Nachkriegszeit, die 1968er, die Siebziger, die Generation Golf, die Neunziger. Danach wird es schwierig. Vielleicht prägt der technische Fortschritt heute Generationen, wir sind ja so etwas wie die Generation iPhone. Früher hat man junge Leute nicht ernst genommen. Heute wiegt das Wort eines 16-Jährigen, wenn er etwas drauf hat, genauso schwer wie das eines Älteren. Er hat eine Stimme und kann Impulse setzen. Andererseits: Nach dem Krieg konnte man sich wehren, gegen die Alten, den Kapitalismus, das Bankensystem. Heutzutage sind die Eltern so tolerant, man kann studieren, was man will, bis man Mitte dreißig ist. Das ist ja toll. Aber man muss sich Reibungsflächen und Widerstände ganz woanders suchen.


Was bedeutet Ihnen Europa?

Europa ist für mich erst einmal ein Begriff, mit dem ich nicht so wahnsinnig viel anfangen kann. Es gibt eine Europäische Union und eine Währungsunion, den Euro, es gibt Rente und Krankenkasse, es gibt Normen, Gebote, Regelwerke. Ich würde sagen, ich identifiziere mich mit einem Rechtssystem, in dem sich jeder frei entfalten und bewegen kann. Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und das Recht auf Bildung halte ich für die größten europäischen Werte. Dennoch muss ich sagen, dass ich weder stolz darauf bin, Europäer zu sein, noch dass ich mir darauf etwas einbilde. Es ist vielmehr ein glücklicher Zufall. Ich hätte auch in Südamerika oder in Afrika zur Welt kommen können.


Immerhin herrscht in Europa mehr Friede als anderswo. Ich finde, wir sollten unser Lebensmodell mehr schätzen.

Ja, da stimme ich Ihnen zu. Aber ich würde mir wünschen, dass allen Menschen dieser Friede ermöglicht wird.
Sie würden jeden Flüchtling einreisen lassen?
Ich bin weder Politiker noch Soziologe. Ich bin Schauspieler. Aber wenn Sie mich nach meiner Haltung fragen: Diese Menschen, die jetzt nach Europa strömen, machen sich mit gutem Grund aus ihrem Heimatland auf, sie fliehen vor Gewalt und Terror. Ich würde mich wahrscheinlich unter diesen Umständen auch auf den Weg machen. Wir dürfen ja auch überall hin. Was mir eingeräumt wird, das möchte ich anderen nicht verwehren.


Haben Sie als junger Bursch gelesen oder wie die meisten Buben lieber Fußball gespielt?

Ich war tatsächlich viel draußen und habe Fußball gespielt. Aber ich habe mit 17 oder 18 Jahren auch Kafka, Camus, Sartre gelesen.


Schreiben Sie auch selbst?

Ich baue Texte von mir in Stücke ein. Aber ich bin kein wirklicher Autor. Vor dramatischem Schreiben ziehe ich den Hut. Es ist viel schwieriger als ein Prosatext. Vielleicht, wenn ich einen Monat lang Zeit hätte, mich zwingen würde, an einer Geschichte dranzubleiben und mich nicht zu verzetteln, würde ich sie abschließen.


Sie haben viel gedreht. Sie haben viele große Rollen gespielt, etwa Ferdinand in Schillers „Kabale und Liebe“ und in Stuttgart „Karl Moor“ in den „Räubern“. 2005/06 waren Sie am Volkstheater in Wien engagiert und hier in „Die Ehe der Maria Braun“ nach dem gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder zu sehen sowie als Franz Moor, die Kanaille in den „Räubern“. Franz und Karl Moor, das ist eine interessante Konstellation, diese zwei rabiaten Gegenspieler zu gestalten, oder?

Franz und Karl Moor sind einander sehr ähnlich. Sie sind Brüder, wahnsinnig eitle Typen, verletzt und enorm egozentrisch. Sie wissen nicht, wohin mit ihrer Kraft. Franz richtet sie gegen die Familie, Karl gegen die ganze Welt. Beides sind gute Rollen.


In Deutschland gab es vor einiger Zeit eine große Diskussion um Blackfacing: Weiße Darsteller malen ihr Gesicht schwarz an und spielen Afroamerikaner. Das fanden Afroamerikaner teilweise diskriminierend. Was meinen Sie dazu?

Ich möchte darüber wirklich nichts mehr sagen. Das einzige, was man sich fragen muss ist: Warum male ich mich mit welcher Farbe auch immer an und was will ich damit eigentlich ausdrücken? Ich finde andere Dinge viel spannender, zum Beispiel wenn jemand aus Bulgarien kommt und mir von seiner Kultur erzählt.


Haben Sie Diskriminierung erlebt?

Heute nicht mehr, aber als Kind.


Wie haben Sie reagiert?

Was soll man als Achtjähriger sagen, wenn einen ein Zwölfjähriger als Scheißneger beschimpft? Das kassiert man dann halt. Meistens kommt es aus einer Notsituation heraus oder eben aus Zorn. Erst ist man ein blöder Hund und als allerletztes kommt Scheißneger.


Rassismus sitzt tief.

Nein. Setzen Sie zwei Babys nebeneinander, denen ist die Hautfarbe egal. Rassismus kommt später, durch Einflüsse von außen. Rassismus wächst aus einer Gesellschaft und ist nichts, was wir von Geburt an in uns tragen. Nichts, was die Natur uns mitgibt.

Tipp

„Hotel Europa“ nach „Hotel Savoy“ von Joseph Roth und anderen Texten in der Regie von Antú Romero Nunes hat am 11.  Dezember im Akademietheater Premiere. Mit: Katharina Lorenz, Aenne Schwarz, Fabian Krüger, Michael
Klammer. (Vorstellungen u.  a. am 12., 18., 19., 27.  Dezember)

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