Harnoncourt: Die Karriere eines Ausnahmedirigenten
Der österreichische Dirigent entstaubte jahrhundertealte Musik und revolutionierte unsere Hörgewohnheiten.
30.12.2016 um 13:45
Nikolaus Harnoncourt ist tot. Mit seinem Tod verliert Österreich eines seiner prominentesten Aushängeschildern der heimischen Musikkultur, das Klassikpublikum einen der engagiertesten Vermittler von Werk und Umfel. Nachdem er im vergangenen Dezember für die Öffentlichkeit überraschend seinen Rückzug vom Pult erklärt hatte, ist der Musikdeuter am 5. März nach schwerer Krankheit im Alter von 86 Jahren verstorben.
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Nikolaus Harnoncourt, als Johann Nicolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt am 6. Dezember 1929 in Berlin in luxemburgisch-lothringischen Hochadel hineingeboren (er ist der Ururenkel Erzherzog Johanns), wuchs in Graz auf. Von 1945 an erhielt er Cello-Unterricht, bald wandte er sich der Erforschung von Spielweise und Klang alter Instrumente zu. Bild: Harnoncourt auf einem Objekt der Ausstellung 'Being Nikolaus Harnoncourt', 2009 im Grazer Stadtmuseum.
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Die Chronik des Wiener Konzerthauses weist den ersten Auftritt des Cellisten Harnoncourt kurz nach seinem 20. Geburtstag anlässlich eines Weihnachtskonzerts aus. 1952 wurde er von Herbert von Karajan als Cellist bei den Wiener Symphonikern engagiert.
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1953 heiratete Harnoncourt und gründete gemeinsam mit seiner Frau Alice den Concentus Musicus: Eine Gruppe von Musikern traf sich in der Wohnung der Harnoncourts, um Renaissance- und Barockmusik mit Originalinstrumenten zu spielen, die Harnoncourt auch sammelte: „Für Musikinstrumente haben wir fast alles getan.“ Sein erstes öffentliches Konzert gab der Concentus Musicus 1957 im Palais Schwarzenberg. Von 1962 bis 1971 hatte die Gruppe eigene Konzertserien im Wiener Konzerthaus. Im Bild: Harnoncourt dirigiert den Concentus Musicus, 1995 in Rom.
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1971 gab es bei den Festwochen den ersten „Originalklang“-Musiktheater-Versuch: Monteverdis „Il Ritorno d'Ulisse in Patria“ kam – mit dem Concentus Musicus im Orchestergraben – heraus. 1972 wurde der „Ulisse“ in Mailand präsentiert – und Harnoncourt stand erstmals am Dirigentenpult. Bild: Concentus Musicus, 2003 in Luzern.
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Von 1972 bis 1992 unterrichtete Harnoncourt am Salzburger Mozarteum Aufführungspraxis und historische Instrumentenkunde.
Im Zürcher Opernhaus, dem er bis zuletzt die Treue hielt, dirigierte er ab 1975 den Monteverdi-Zyklus, der ihm den internationalen Durchbruch brachte. Regie führte Jean-Pierre Ponnelle. Im Bild: Die Heimkehr des Odysseus, 1979 in Zürich. Regie: Jean-Pierre Ponnelle. Der ORF zeigt den dreiteiligen Monteverdi-Zyklus am Sonntag, dem 6.12.2015, anlässlich Harnoncourts Geburtstags.
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1980: Harnoncourt trat erstmals in Österreich als Dirigent auf – im Rahmen der Salzburger Mozartwoche mit dem Amsterdamer Concertgebouw-Orchester, mit dem er lange zusammen arbeitete.
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1983 debütierte er am Dirigentenpult der Wiener Symphoniker, 1984 bei den Wiener Philharmonikern, 1987 (mit "Idomeneo") an der Wiener Staatsoper und 1992 bei den Salzburger Festspielen.
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1985 wurde in Graz das Kulturfestival styriarte gegründet, um Harnoncourt an seine Heimat zurück zu holen. Bis zuletzt war das Festival eine Plattform für seine oft aufsehenerregende Arbeit. Im Bild: Harnoncourts "Idomeneo"-Produktion bei der styriarte 2008, bei der er auch gemeinsam mit Bruder Philipp Harnoncourt Regie führte.
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Seit den 90er Jahren leitete er regelmäßig die Berliner Philharmoniker. Als die Wiener Symphoniker ihm 1997 die Stelle des Chefdirigenten anboten, lehnte er ab. Seit 2005 ist er Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Im Bild: Harnoncourt mit den Wiener Philharmonikern, 2006 in der Wiener Staatsoper.
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2001 und 2003 dirigierte er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker – und gab den „Sträußen“ eine klangliche Feinsinnigkeit zurück, die über die Jahrzehnte fast verloren gegangen war. Nie hatte man die Beckenschläge im Radetzkymarsch so dezent gehört. Im Bild: Neujahrskonzert 2001.
Ein Höhepunkt seiner Karriere war auch die Aufführung von Mozarts „Clemenza di Tito“ 2003 bei den Salzburger Festpielen, wo es gelang, eine zeitgenössische Regiearbeit (Martin Kušej) stimmig ins von der Musik dominierte Theater-Ganze einzubinden.
Archiv Salzburger Festspiele / Hans Jörg Michel
Der Name Nikolaus Harnoncourt galt weltweit als Synonym für einen interpretatorischen Neuansatz, der die Hörgewohnheiten einer ganzen Generation von Musikfreunden entscheidend geprägt hat. Er war ein notorischer Widerspruchsgeist, der meinte, dass Mensch-Sein ohne Musik nicht möglich sei. „Wir Musiker – ja alle Künstler – haben eine machtvolle, ja heilige Sprache zu verwalten. Wir müssen alles tun, dass sie nicht verloren geht im Sog der materialistischen Entwicklung“, sagte Harnoncourt 1991 in einer Rede zum Abschluss des Mozart-Jahres.
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Am 5.12.2015, einen Tag vor seinem 86 Geburtstag, gab Nikolaus Harnoncourt in einem offenen Brief an sein Publikum im Musikverein seinen Abschied von der Konzert- und Opernbühne bekannt.
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