Autoindustrie: Zittern vor dem wirklichen Leben

Renault SA Showrooms As Emissions Testing Investigators Seize Computers From Automaker
Renault SA Showrooms As Emissions Testing Investigators Seize Computers From Automaker(c) Bloomberg (Balint Porneczi)
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Hat auch Renault, so wie Volkswagen, bei Abgastests manipuliert – oder haben die Franzosen bei den Tests einfach nur besser getrickst als andere Autohersteller?

Wien. Ségolène Royal war entsetzt: „Die Überschreitungen von Verbrauchswerten betreffen Fahrzeuge von Renault und von mehreren ausländischen Herstellern“, erklärte die französische Umweltministerin in einem Interview mit „Le Parisien“. „Das Problem sind dabei aber eher die Normen der Überprüfung, denn die Autos sind alle offiziell zugelassen.“

Offensichtlich hat Frau Royal noch nie überprüft, was ihr Privatauto verbraucht. Denn eine neue Erkenntnis ist es nicht, dass Fahrzeuge weitaus mehr Diesel oder Benzin auf 100 Kilometern benötigen als vom Hersteller angegeben. Laut einer Studie des International Council of Clean Transportation (ICCT) liegen die Werte im Durchschnitt um 40 Prozent höher als vom Autobauer versprochen.

Bei Renault dürften diese Unterschiede aber besonders krass sein. Das kombiniert mit Razzien der französischen Antibetrugsbehörde DGCCRF nährte am Donnerstag den Verdacht, dass auch die Franzosen – wie VW – bei Abgastests manipuliert haben. Die Aktie stürzte kurzzeitig um 23 Prozent ab, von 84 auf 69 Euro, gestern pendelte sie sich bei 75 Euro ein.

Raum für Tricksereien

Doch die Franzosen haben nichts Illegales angestellt, glaubt man den Aussagen der Umweltministerin und des französischen Wirtschaftsministers, Emmanuel Macron. Dieser versicherte, die Situation bei Renault sei „keinesfalls“ mit jener bei Volkswagen zu vergleichen.

Offenbar haben die Renault-Techniker bei den standardisierten Abgas- und Verbrauchstests, die alle Fahrzeuge vor ihrer Zulassung in Europa durchlaufen müssen, einfach nur besonders gut getrickst. Wie jeder Hersteller. Ganz legal – und unter den Augen der Behörde.

Das führt etwa dazu, dass ein Mittelklassefahrzeug mit einem 2,2-Liter-Diesel-Motor und 170 PS laut Test 4,3 bis 4,7 Liter verbraucht, laut den Angaben Hunderter Besitzer auf der Website spritmonitor.de aber 6,3 Liter.

Der „Neue Europäische Fahrzyklus“, kurz NEFZ, macht solche Unterschiede möglich. Jedes Fahrzeug muss zur Genehmigung für 20 Minuten auf einen Rollenprüfstand, muss beschleunigen, verzögern, Leerlaufphasen durchlaufen und für einige Zeit konstant 120 km/h fahren. Das Durchschnittstempo, das beim Test erreicht wird: 33,6 km/h. Schon das ist weit von der Realität entfernt – es sei denn, man lebt in Los Angeles.

Während des Tests können alle Verbraucher – etwa die Klimaanlage – ausgeschaltet sein. Die Autofirmen stellen zudem die Basismodelle ohne schwere Sonderausstattung auf den Prüfstand, die Reifen sind bis zum zulässigen Höchstdruck aufgeblasen, die Temperatur im Labor reicht knapp an die maximal erlaubten 30 Grad Celsius heran, Bremssättel und -beläge sind auf großen Abstand eingestellt, damit es keine Reibung gibt, die Motorsteuerung ist optimiert, es werden besondere Leichtlauföle verwendet, Kühlöffnungen sind zugeklebt – all das garantiert, dass der Verbrauch und damit auch der Ausstoß von CO2 so niedrig ist wie nur irgendwie möglich.

VW büßt Marktanteile ein

Das führt laut ICCT eben dazu, dass die Werte im täglichen Betrieb zwischen fünf und 55 Prozent höher liegen als angegeben.

Vor dem wirklichen Leben zittern die Autohersteller. Denn die EU drängt darauf, dass das NEFZ-Verfahren früher als geplant (Ende 2017) ausläuft und die Verbrauchstests auf „Real Driving Emissions“ umgestellt werden. Damit müssen die Hersteller nachweisen, dass ihre Modelle die angegebenen Schadstoffe und Verbrauchswerte unter realen Fahrbedingungen erfüllen. Und das wird vor allem bei den erlaubten Abgaswerten eine ziemliche Herausforderung für die Industrie.

Die leidet zumindest bei den Verkäufen nicht unter den Diskussionen über den „Dieselgate“. Die Neuzulassungen in der EU stiegen 2015 im Vergleich zum Jahr 2014 um 9,3 Prozent auf 13,7 Millionen Fahrzeuge. Dies war der höchste Stand in Westeuropa seit 2009. Sogar VW verbuchte konzernweit ein Plus von 6,1 Prozent auf 3,37 Millionen Fahrzeuge, teilte der europäische Branchenverband Acea am Freitag mit. Allerdings sank der Marktanteil des Konzerns von 25,4 Prozent im Jahr 2014 auf 24,6 Prozent. In Österreich stieg die Zahl der Neuzulassungen um 1,7 Prozent auf 308.555 Fahrzeuge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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