Der apokalyptische Blick auf die Welt

Otto Schulmeisters Systemkritik wurde vorgetragen mit lautstark polterndem Empörungsgestus.
Otto Schulmeisters Systemkritik wurde vorgetragen mit lautstark polterndem Empörungsgestus.APA
  • Drucken

Der legendäre "Presse"-Chef Otto Schulmeister, einer der wichtigsten Journalisten der Zweiten Republik, wurde vor 100 Jahren geboren.

Es ging zum Ballhausplatz, Schuschnigg stand vor dem Sturz. Jubel, Begeisterung, Siegesgewissheit zogen mit uns.“ Es war der 11. März 1938, als sich Otto Schulmeister (alle Zitate in diesem Artikel stammen von ihm), damals 22 und Student, dem Aufmarsch der SA anschloss. Er gehörte zu jenem Teil von Wien, der „voll Erwartung“ die „Hochspannung dieser Stunde“ genoss. Schulmeister, ein wortgewaltiger Redner, hat später gar nicht erst versucht, die messianischen Jugendträume seiner Generation den Nachfahren zu vermitteln, zu erklären, warum er und mit ihm junge katholische, humanistisch gebildete Akademiker den ideologischen Versuchungen nicht standhielten, obwohl 1938 bereits die Kluft zwischen christlichem Humanismus und NS-Terrorregime offenkundig war.

Da war das Gefühl, an einer entscheidenden Zeitenwende zu stehen, einer „Umbruchszeit“, „vieles muss untergehen, Neues wird erstehen“ war das Leitmotiv, Karl Jaspers sprach vom „Gefühl eines Bruches gegenüber aller bisherigen Geschichte“. Dann die Idee des „Reiches“, ein nicht klar umrissenes „Schicksalswort“, mit dem sich viele Vorstellungen verbanden: eine völkisch-deutschnationale Mission, die Vorstellung einer „erneuerten politischen Ordnung für eine aus den Fugen geratene, für die Überlebenden im Kleinstaat als sinnlos geltende Welt“. Ganz selbstverständlich lebte man in der katholischen Gedankenwelt, die nicht vor Antijudaismus und antidemokratischen Ideologien gefeit war. Zeitströmungen wie Führer- und Gefolgschaftsmentalität, Parteien- und Republikverdrossenheit und Betonung des Deutschtums – gang und gäbe in der österreichischen Politik – kamen hinzu.

Schließlich wurde er noch geprägt von Neuland, einer katholischen Erneuerungsbewegung, die frischen Wind in den verknöcherten Klerikalismus bringen wollte und den Jungen einhämmerte, zu rebellieren, eine eigene Bahn zu beschreiten, da die Wertewelt der Erwachsenen ihre Glaubwürdigkeit verloren habe. Auch Fritz Molden, anders als Schulmeister aus einem intellektuellen großbürgerlichen Elternhaus stammend, später Widerstandskämpfer, trat Neuland bei. Der Freundeskreis, der sich in Schulmeisters Hochschuljahren bildete und als Netzwerk ein Leben lang hielt, war im Umgang mit völkisch-nationaler Ideologie und Nationalsozialismus alles andere als homogen.

Entziehungskur.
Schulmeister wurde Journalist, seine Kriegsjahre sind gut dokumentiert, seine systemkonforme Dissertation, seine propagandistischen Artikel. Schließlich – in britischer Kriegsgefangenschaft – der moralische Zusammenbruch: „Wie konnte das alles geschehen?“ „Mit dem Reich ist es aus“, der Jugendtraum war geplatzt, die „Endstation der Feuerprobe“ erreicht, die „verwirrte, lang andauernde Jugend mit einer politischen Entziehungskur“ beendigt. Ernst Molden, in dessen Haus er bereits als Jugendlicher verkehrt hatte, verschaffte ihm einen Posten bei der „Wochenpresse“. Er konnte sich nur ein Leben als „Zeitungsmensch“ vorstellen, um so den „Chiffrierschlüssel zum Geheimnis der Welt zu erlernen“ und den „Missbrauch des Wortes“ zu beenden.

1948 gab es wieder die Tageszeitung „Die Presse“, hundert Jahre nach ihrer Gründung. Nun wollte die Zeitung vorstoßen in das kulturelle Vakuum, das durch die Jahre gelenkter und gefilterter Desinformation entstanden war. Eine „Stunde null“ schien gekommen oder zumindest das „Passieren eines Nullpunktes“, mit einem „Erlebnisschwall, dass er tiefere Fragen nach dem, was nun eigentlich die Konsequenzen aus der Walpurgisnacht, die wir alle überlebt hatten, für den neuen Staat wären, gar nicht erst aufkommen ließ“. Zweifellos ein Schlüsselsatz für die kollektive Befindlichkeit Österreichs nach 1945. Schulmeister stand damit nicht allein: Schon Karl Kraus hatte vom Hexensabbat einer „Dritten Walpurgisnacht“ geschrieben, und auch viele Nachkriegshistoriker wählten angesichts von Hitlers Anziehungskraft auf die Massen eine dämonologische Deutung, die wenig Analysekraft besaß.

Die wiedererstandene Republik rekrutierte ihr Personal. Schulmeister gehörte zu jenen konservativen öffentlichen Intellektuellen, die durch das gesprochene und geschriebene Wort wirken wollten, lebenslange Feinde „linker“ Weltanschauungen, zwischen Liberalismus, Sozialismus, Marxismus machte man wenig Unterschied. So gelang es rasch, in der Zweiten Republik Fuß zu fassen, der korrekte Umgang mit der Vergangenheit gelang weniger gut. Kann man ihnen die verabsäumte Distanzierung, die bis zur Verschleierung ging, vorwerfen? Bis 1986 ließ man in Österreich die Vergangenheit ruhen, vertrat die Linie: Vergangenheitsbewältigung liegt in der Zukunftsbewältigung, es gäbe keinen Anlass, in unnötigem Masochismus den inneren Frieden zu stören. Auch eine hochintellektuelle katholische Monatszeitschrift wie „Wort und Wahrheit“, vom charismatischen Theologen Otto Mauer und Otto Schulmeister ab 1948 geleitet, bot nur selten einen kritischen Rückblick in die Zeit des Nationalsozialismus. Doch die Distanzierung von den Verbrechen war spürbar, etwa in den Artikeln von Erika Weinzierl.

Opferdoktrin.
Die Zeitschrift existierte bis 1968, Schulmeister konzentrierte sich nun als Chefredakteur allein auf die „Presse“, 43 Jahre seines Lebens widmete er dieser Zeitung. Das Angebot von Josef Klaus, Unterrichtsminister in der ÖVP-Regierung zu werden, lehnte er ab. Die These von der „Selbstvergiftung“ der Gegenwart durch Aufarbeitung des Vergangenen behielt er auch in der sogenannten Waldheim-Affäre bei, die zur allmählichen Erodierung der österreichischen Opferdoktrin führte. Spät erst, 1988, die Republik gedachte des „Anschlusses“ an Hitler-Deutschland, fand Schulmeister zu der selbstkritischen Position, die Österreicher hätten es sich „mit dem leichtfüßig gepachteten Opferstatus zu einfach gemacht“.

Drei Jahrzehnte hatte Otto Schulmeister, sicherlich einer der gebildetsten Journalisten des Landes, eine zentrale Rolle in der österreichischen Publizistik inne, sie ging weit über die bescheidene Reichweite seiner „Presse“ hinaus. Er wurde eine Galionsfigur des Kalten Krieges und steuerte die Zeitung in Jahren, in denen Österreich um seine Freiheit bangen musste, auf einen strikten amerikafreundlichen Kurs, CIA-Kontakte miteingeschlossen, weil er überzeugt war, dass im Kalten Krieg nur die USA die Welt vor dem Untergang bewahren könnten. Gelegentlich schickte er seine Redakteure zur Horizonterweiterung „in den Ostblock“, um ihnen ahnungslose weltpolitische Schwadroniererei über die Schwächen der westlichen Demokratie abzugewöhnen. So war Schulmeister ein wesentlicher Proponent des Antikommunismus, der im gesellschaftlichen Diskurs Österreichs in diesen Jahren eine wichtige identitätsbildende Funktion besaß. Negativmaßstab und Gegenmodell von Freiheit, Recht und Friedensordnung war im Kalten Krieg nicht der Nationalsozialismus, sondern der Sowjetkommunismus.

Das relativ neue Medium Fernsehen half mit, sein Image als publizistische Leitfigur des Landes aufzubauen, mochten auch manche Zuschauer, die seiner bestechend-zynischen Rhetorik verfielen, nicht immer genau durchschaut haben, was er von sich gegeben hatte. Großen Eindruck machte vor allem sein lautstark polternder Empörungsgestus, seine Aversion gegen jedes kleingeistige Denken, seine Selbststilisierung als politisch Heimatloser in den engen Grenzen seines Landes, der Vorwurf an das politische System, die Zukunft des Landes an die Wand zu fahren und damit der Jugend die Perspektiven zu rauben. Die Diagnose, dass wir uns alle in einem großen Endspiel befinden, der apokalyptische Blick auf die Welt, der Vorwurf der konsumorientierten Identitätslosigkeit, verschafften ihm damals den Spottnamen „Kassandra vom Dienst“ und „Retter des Abendlandes“. Sie muten heute angesichts der latenten gesellschaftlichen Gereiztheit, der Ausbildung von Verbitterungsmilieus in der Mitte der Gesellschaft und des Gefühls von Unsicherheit und Angst in einer Welt globaler politischer Instabilität sehr aktuell an. „Der Ehrliche ist der Dumme“ ist heute Ausdruck einer weitverbreiteten gesellschaftlichen Stimmung, Schulmeister hat dies hunderte Male formuliert. So ließ er keinen kalt, selbst politische Gegner respektierten den Mann, der nie einem Konflikt auswich.

Sein „liebster Freund“ war Kardinal König, dessen Idee des Wirkens nach Osteuropa („Pro Oriente“) Schulmeister mitbetrieb, sein „liebster Feind“ war der SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky, von dem Schulmeister sagte: „Es wäre glatt gelogen, würde man die Faszination, die von diesem Mann ausging, abstreiten. Denn er wollte mehr, als in ihm selbst und in den Ressourcen seines Landes vorhanden war. Da war er ein ,Großösterreicher‘, einer also, der Österreich nicht als Summe seiner Quadratkilometer verstand.“ Die Annahme, dass sich Schulmeister mit diesen Sätzen auch selbst charakterisieren wollte, ist wohl nicht abwegig.

zur PERSON

Otto Schulmeister,geboren am 1. April 1916 in Wien, rückte nach seiner Promotion bei der Wehrmacht ein. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft kam er über Einladung von Ernst Molden zur „Presse“.

Ab Oktober 1948 mit Adam Wandruszka und Fritz Molden Außenpolitik-Redakteur, Mitherausgeber von „Wort und Wahrheit“, ab 1961 Chefredakteur der „Presse“, 1976 bis 1989 Herausgeber. Schulmeister schrieb mehrere Bücher und war Vater von sechs Kindern. Er starb am 10. August 2001 in Wien.

Über seine Tätigkeit als Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“ bringen wir am 1. April, seinem 100. Geburtstag, einen Artikel im Feuilleton der „Presse“.

ORF III zeigt am 9. April um 21.55 Uhr die Dokumentation „Otto Schulmeister. Ein Leben für den Journalismus“. Eine Dokumentation von Gerhard Jelinek und Birgit Mosser-Schuöcker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.