Die EU ist bald nicht mehr paktfähig

Flashmob in Kiew anl�sslich des Ukraine Referendums in den Niederlanden April 5 2016 Kiev Ukrain
Flashmob in Kiew anl�sslich des Ukraine Referendums in den Niederlanden April 5 2016 Kiev Ukrain(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Die Absage der Niederlande an das Ukraine-Abkommen signalisiert mangelnde Verlässlichkeit. Das Vertrauen in die EU ist beschädigt – intern wie extern.

Es macht sich eine seltsame Schadenfreude breit. Die Niederländer hätten es der EU gezeigt, jubeln da einige in Onlineforen und -kommentaren. Tatsächlich hat eine klare Mehrheit der Teilnehmer an der Volksabstimmung über den Assoziierungsvertrag mit der Ukraine der Gemeinschaft einen schmerzhaften Schlag versetzt. Die Folgen sind heute noch nicht absehbar.

Das Votum ist ernst zu nehmen. Und auch die Motivation der Menschen ist ernst zu nehmen, die sich bewusst gegen eines der aktuell wichtigsten außenpolitischen Projekte der Europäischen Union gestellt haben. Ist es zu riskant gewesen, in das geopolitische Einflussgebiet Russlands vorzudringen? Hat eine Annäherung der Ukraine an Westeuropa überhaupt Zukunft? Diese Fragen können natürlich gestellt werden.

Doch gleichzeitig ist zu hinterfragen, was sonst noch hinter so einem Abstimmungsverhalten verborgen ist. Der rechte niederländische Politiker Geert Wilders jubelt. „Das ist das Ende der EU.“ Andere stimmen in den gleichen Chor ein. Und sie belegen, dass es da nicht bloß um ein mehr oder weniger umstrittenes Abkommen mit Kiew geht, das einst von allen 28 Regierungen mitgetragen worden ist (und eine damals noch prorussische Führung in Kiew angestrebt hat). Es geht darum, eine Union zu beschädigen, von der sich viele Menschen nicht mehr vertreten fühlen.

Demokratiepolitisch mag das in Ordnung gehen, weitsichtig ist diese destruktive Haltung nicht. Intelligent auch nicht. Denn hier wird das Gefäß einer gemeinsamen Politik zerstört, nicht deren Inhalt. Die EU ist nicht mehr paktfähig, wenn gemeinsam ausverhandelte Verträge an einer latenten, diffusen Frustration scheitern. Die EU-Kommission kann im Auftrag der 28 bald kein Abkommen mehr schließen, das nicht sofort wieder infrage gestellt wird. Ob es Handelsverträge sind, ob es politische Verträge sind, oder ob es gar ein neuer Gemeinschaftsvertrag ist – sie haben schlicht keine Chance mehr. Nicht nur, weil es konkrete inhaltliche Vorbehalte einzelner Gruppen etwa gegen TTIP gibt, sondern vor allem, weil grundsätzlich kein Vertrauen mehr vorhanden ist, dass die Europäische Union den Bürgerinnen und Bürgern einen Mehrwert bringt. Das mag daran liegen, dass die Kommissionsführung tatsächlich den Draht zu den Menschen verloren hat. Es liegt aber wohl auch daran, dass die nationalen Regierungen den Wert der Gemeinschaft durch ihre Kommunikation, aber auch durch ihr politisches Handeln geschmälert haben.

Sie beschließen Verhandlungen mit den USA über ein Investitions- und Freihandelsabkommen und distanzieren sich von diesem, bevor es noch ausverhandelt ist. Sie fordern laut eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik, sorgen aber dann selbst dafür, dass diese keine Chancen mehr hat, umgesetzt zu werden. Sie umgehen gemeinsame Regeln bei der Währung, bei der Rechtsstaatlichkeit, bei internationalen Verträgen und selbst beim Binnenmarkt.


Die Abstimmung in den Niederlanden wird die EU noch nicht an den Rand ihrer Existenz bringen. Aber sie zeigt sehr dramatisch auf, dass diese Gemeinschaft ihre bisher größte Vertrauenskrise erlebt – intern wie extern. Und das geht Hand in Hand. Wenn zuerst die EU-Regierungen, dann die EU-Bürger nicht mehr an einem Strang ziehen, keinen Zusammenhalt mehr leben, wird diese Gemeinschaft von außen angreifbar. Sie wird in einer globalisierten Welt kaum noch Gestaltungsmöglichkeiten haben. Sie wird nicht mehr ernst genommen.

Jene, die sich jetzt hämisch freuen, mögen sich vor Augen führen, welche Chancen die 28 Mitgliedstaaten einzeln auf dem Weltmarkt hätten. Wie rasch ihre Sicherheit, ihr Wohlstand, ihre Umwelt, ihr sozialer Friede zum Spielball internationaler Mächte würde. Die Flüchtlingskrise sollte eigentlich allen vor Augen geführt haben, was geschieht, wenn der Zusammenhalt nicht mehr funktioniert.

Die EU ist nicht alternativlos. Das ist eine Mär. Aber wer diese Alternativen möchte, muss auch die Konsequenzen bedenken.

E-Mails an:obfuscationcom" target="_blank" rel="">wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2016)

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