Der 26-Jährige gilt als einziger überlebender Paris-Attentäter. Ursprünglich hieß es, er wolle bei der ersten ausführlichen Befragung durch Frankreichs Justiz aussagen.
Der mutmaßliche Paris-Attentäter Salah Abdeslam hat bei seiner ersten ausführlichen Befragung durch die französische Justiz geschwiegen. "Er wollte sich heute nicht äußern", sagte einer seiner Anwälte, Frank Berton, am Freitag in Paris. "Er wird es später tun", fügte er hinzu. "Er wollte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, man muss ihm Zeit geben", so Berton.
Abdeslam wurde am frühen Freitagmorgen in einem Konvoi aus Polizeifahrzeugen von seinem Gefängnis südlich von Paris zu seiner Vernehmung im Justizpalast der französischen Hauptstadt gebracht. Ein Hubschrauber überwachte den Transport aus der Luft.
Anfänglich hatte Abdeslams Verteidiger angekündigt, dass sein Mandant gegenüber den französischen Ermittlern aussagen wolle. Diese erhoffen sich von dem 26-Jährigen wichtige Hinweise zu möglichen weiteren Anschlagsplänen in Frankreich und Details zu den Pariser Attentaten vom 13. November.
Beschwert sich über Haftbedingungen
Die Staatsanwaltschaft erklärte, Abdeslam habe ohne Begründung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. "Er weigerte sich zudem, die Äußerungen zu bestätigen, die er zuvor vor Polizisten und vor den belgischen Ermittlungsrichtern gemacht hat." Abdeslam habe nicht gesagt, ob er später aussagen werde.
Der Anwalt kritisierte die Haftbedingungen seines Mandanten, der im Gefängnis von Fleury-Merogis in Isolationshaft sitzt und unter permanenter Videoüberwachung steht. "Er fühlt sich rund um die Uhr beobachtet, das sind keine guten Bedingungen." Berton kündigte eine Beschwerde beim Justizministerium an.
Einer der Anwälte der Nebenkläger, Olivier Maurice, sagte, Abdeslam habe nicht sagen wollen, ob er später aussagt - "ungeachtet der Versprechen, die er gemacht hatte und an die ihn der Richter erinnerte". "Das ist eine absolut unverschämte Einstellung", sagte Maurice.
Lange Vorwürfe gegen Abdeslam
Ermittelt wird gegen Abdeslam wegen einer ganzen Reihe von Vorwürfen: Neben Mord und versuchtem Mord im Zusammenhang mit einer terroristischen Unternehmung geht es unter anderem um Freiheitsberaubung wegen des Angriffs auf die Pariser Konzerthalle Bataclan sowie um Besitz von Sprengstoff und Waffen.
Der Franzose gilt als einziger Überlebender der Attentäter von Paris. Im März war er in Brüssel festgenommen und einen Monat später nach Frankreich ausgeliefert worden, wo er in Untersuchungshaft sitzt. Bei Justizbefragungen in Belgien hatte sich Abdeslam als Mitläufer bezeichnet, der nicht für die Ausführung der blutigen Anschlagsserie verantwortlich sei.
Sein Bruder Brahim hatte sich am 13. November in die Luft gesprengt, Salah selbst hatte Autos und Verstecke für die Paris-Attentäter gemietet und Material für Sprengsätze gekauft. In der Anschlagnacht, in der 130 Menschen getötet wurden, soll er drei Selbstmordattentäter zur Fußballarena Stade de France gefahren haben, wo Frankreich gegen Deutschland spielte.
Von den Planungen zu den Anschlägen in Brüssel vier Tage nach seiner Festnahme will Abdeslam nichts gewusst haben. Allerdings fanden die belgischen Ermittler Verbindungen zwischen ihm und den Selbstmordattentätern, die am 22. März in der belgischen Hauptstadt 32 Menschen mit in den Tod rissen. Es wird angenommen, dass alle derselben Terrorzelle angehörten.
Das Netzwerk um Abdelhamid Abaaoud, das Mastermind, und die Abdeslam-Brüder Salah und Ibrahim war unmittelbar nach den konzertierten Pariser Attentaten aufgeflogen. Nach den Anschlägen von Brüssel wird nun immer deutlicher, dass dieses Netzwerk aus französischen und belgischen Attentätern mit Wurzeln im Maghreb noch weit größer war, als bis dato angenommen. Mutmaßliche Mitglieder der frankobelgischen Connection im Überblick. imago/Reporters
Zwei der Selbstmordattentäter der Anschläge auf den Flughafen und die U-Bahn-Station in Brüssel sind identifiziert: Es soll sich dabei um die Brüder Khalid und Brahim El Bakraoui handeln. Von ihnen gibt es eine direkte Verbindung zu Salah Abdeslam, dem am 18. März gefassten Paris-Attentäter. Außerdem sollen die beiden einen Anschlag auf belgische Atomreaktoren geplant haben - und filmten dazu nach den Pariser Attentaten im November heimlich einen hochrangigen Atomforscher. (c) REUTERS (HANDOUT)
Der 27-jährige Belgier Khalid El Bakraoui hat sich der Staatsanwaltschaft zufolge am Dienstag in einer U-Bahn nahe der Brüsseler Metro-Haltestelle Maelbeek in die Luft gesprengt. Bereits 2011 war er wegen Autodiebstahls zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, hatte sich der Strafe aber entzogen. Er soll einen gefälschten Ausweis benutzt haben, um ein Terrorversteck im Brüsseler Stadtteil Forest zu mieten. Dort soll sich nach Erkenntnissen der Ermittler auch der getötete Algerier Mohamed Belkaid und Abdeslam aufgehalten haben: Die Polizei fand dort wenige Tage vor Salah Abdeslams Haft seine Fingerabdrücke. APA/AFP/Interpol/-
Der 29-jährige Bruder Khalids, Ibrahim El Bakraoui, hat sich den Ermittlungen zufolge am Brüsseler Flughafen in die Luft gesprengt. Er war 2010 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er bei einem versuchten Raub auf Polizisten geschossen hatte. Seit seiner zwischenzeitlichen Haftentlassung im August 2015 war er untergetaucht. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte am Mittwoch erklärt, dass der Belgier 2015 an der türkisch-syrischen Grenze festgenommen und auf eigenen Wunsch in die Niederlande ausgewiesen worden sei. Belgien habe die Warnung, dass es sich um einen Extremisten handle, ignoriert. APA/AFP/Interpol/-
Ibrahim hinterließ eine Art verzweifelt klingendes "Testament". Die Polizei fand das Schreiben auf einem Computer in einem Mistkübel in der Nähe einer von den Attentätern verwendeten Wohnung im Brüsseler Viertel Schaerbeek. In dem Schreiben erwähnt er auch Mohamed Bakkali. Er war einer der Schlüsselfiguren, die nach den Paris-Attentaten in Belgien festgenommen worden waren. Er befindet sich seit November in Haft. Der 28-Jährige soll zwei Verstecke für die Paris-Attentäter gemietet haben. Zudem wurde das Video des Atomforschers bei einer Durchsuchung des Hauses von Bakkalis Frau gefunden. imago/PanoramiC
Najim Laachraoui, das wurde nun bestätigt, ist der zweite Selbstmordattentäter vom Flughafen Zamentev. Als die Polizei am 9. September 2015 an der österreichisch-ungarischen Grenze einen Mercedes anhielt, wies sich einer der drei Insassen als Soufiane Kayal aus. Das Dokument war gefälscht, sein richtiger Name: Najim Laachraoui. Anders als seine Mitfahrer, der nun gefasste Abdeslam und der getötete Belkaid, galt Laachraoui am Tag der Brüssel-Anschläge als flüchtig. Die Hinweise verdichten sich, dass er schon rund um die Anschläge in Paris eine Schlüsselrolle gespielt hat. Als Soufiane Kayal mietete er ein Haus im südbelgischen Auvelais an, das zur Vorbereitung des Pariser Terrors diente. Seine Fingerabdrücke fanden die Ermittler auch in einer Wohnung im Brüssel-Schaerbeek, die von einer Terrorzelle genutzt wurde. Am Abend der Anschläge rief Drahtzieher Abaaoud eine belgische Nummer an, die wohl Laachraoui gehörte. Vor allem aber sollen Ermittler seine DNA auf Resten der Sprengstoffgürtel gefunden haben, die in Paris zum Einsatz gekommen sind. Hatte Laachraoui sie präpariert? Der belgische Staatsbürger hat einen Schulabschluss in Elektrotechnik, den er 2009 just an einer katholischen Privatschule in Schaerbeek erworben haben soll. Drei Jahre später, im Februar 2012, reiste er nach Syrien. (c) APA/AFP/BELGIAN FEDERAL POLICE/S (STRINGER)
Die Polizei fahndet nach zwei weiteren Verdächtigen: Metro-Attentäter Khalid El Bakraoui, war offenbar nicht allein. Bilder einer Überwachungskamera zeigten laut Medienberichten einen zweiten Mann mit einer großen Tasche. Es sei wenig wahrscheinlich, dass dieser Mann bei der Explosion getötet wurde. Zudem fahndet die Polizei weiter nach einem Komplizen der Attentäter vom Flughafen. Er soll geflohen sein, als seine Bombe nicht detonierte. Dabei könnte es sich um den Abdeslam-Vertrauten Mohamed Abrini handeln. APA/AFP/Belga/NICOLAS MAETERLINC
Er ist ein Jugendfreund Salah Abdeslams und wurde wie dieser seit den Paris-Anschlägen am 13. November in ganz Europa fieberhaft gesucht. Am Freitag - drei Wochen später als Abdeslam - wurde nun auch Mohamed Abrini in Brüssel geschnappt. Konfrontiert mit Bildern einer Flughafenkamera räumte er ein, er sei der "Mann mit Hut". Der 31-Jährige mit marokkanischen Wurzeln wuchs im Brüsseler Problemviertel Molenbeek auf. Die Ermittler verdächtigen ihn, an den Attentaten in Paris im November 2015 beteiligt gewesen zu sein. Zwei Tage zuvor war Abrini mit Salah Abdeslam, einem seiner engsten Freunde, an einer Autobahntankstelle in Ressons nördlich von Paris gefilmt worden. Die beiden waren mit jenem schwarzen Renault Clio unterwegs, der danach bei den Anschlägen zum Einsatz kam. Abrinis jüngerer Bruder Souleymane hatte sich dem IS angeschlossen. Seine Einheit soll unter dem Kommando des späteren Paris-Drahtziehers Abaaoud gestanden sein. Souleymane starb vor zwei Jahren in Syrien. Abrini fiel durch Kleinkriminalität auf, saß wegen Raubüberfällen kurze Haftstrafen ab. Vor den Anschlägen von Paris arbeitete er in einem Lebensmittelgeschäft. Für den Tag der Pariser Anschläge gibt ihm indes ein Bruder ein Alibi: Abrini habe in Brüssel eine Wohnung gekauft. Seither ist er aber untergetaucht. Ob, und falls ja, welche Rolle er beim Terror in Brüssel spielte, war zunächst unklar. (c) APA/AFP/POLICE NATIONALE/FEDERAL POLICE/HO (FEDERAL POLICE HO)
Spanische Medien brachten den Syrer Naim Al Hamed als fünften Attentäter ins Spiel. Ebenso wie Abrini taucht er auf einer Liste mit fünf Terrorverdächtigen auf, die europäischen Geheimdiensten nach den Anschlägen von Brüssel zugespielt worden war. Der 28-Jährige sei auch in die Anschläge in Paris am 13. November involviert gewesen. Zudem sei er "bewaffnet und sehr gefährlich". imago/Reporters
Am 17. März bestattete die Familie Abdeslam in Brüssel ihren Sohn und Bruder Ibrahim, vier Monate nachdem er sich in Paris vor dem Restaurant Comptoir Voltaire in die Luft gejagt hatte. Sein 26-jähriger Bruder, Salah, der Cheflogistiker der Terrorgruppe, hätte ursprünglich mit ihm in den Tod gehen sollen – ehe er es sich in letzter Minute anders überlegte und den Sprengstoffgürtel wegwarf. Stattdessen floh er wenige Stunden später ins vertraute Milieu, ins Brüsseler Problemviertel Molenbeek, wo er sich in einem Netzwerk von Freunden, Verwandten und verschiedenen Wohnungen bewegte. Jeder Razzia war er entwischt, und erst eine verdächtig große Pizzalieferung sollte ihm schließlich zum Verhängnis werden. Seither sitzt er in Untersuchungshaft in Brügge und plaudert aus der Schule. Zusammen mit seinem Bruder Ibrahim betrieb er in Molenbeek die einschlägig bekannte Bar Le Béguines, er konsumierte ausgiebig Alkohol und Marihuana und galt als Womanizer – bevor er sich nach Jahren bei den Brüsseler Verkehrsbetrieben und nach einer Karriere als Kleinkrimineller radikalisierte und zum Islamisten wurde. APA/AFP/POLICE NATIONALE/DSK
In der Nacht, als Paris in einem Inferno des Terrors versank, und nachdem er an einigen Orten wild um sich geschossen hatte, flanierte der Drahtzieher der Anschläge, Abdelhamid Abbaaoud, scheinbar seelenruhig mit seinen leuchtend orangen Sportschuhen durch den elften Arrondissement und sah, dass die Attentate planmäßig verlaufen waren. Als die Polizei nach Mitternacht zugriff, hielt sich der Kopf der Gruppe nahe des Bataclan auf. (c) APA/AFP/DABIQ
Abaaoud – Spitzname "Der Belgier", den er in Syrien bekam – hatte nur ein winziges Detail übersehen, das ihn schließlich überführen sollte. Auf einem Handy, das sich in einem Mistkübel fand, war die Nummer seiner Cousine eingespeichert, die Abaaoud und seinen Komplizen in Saint-Denis Unterschlupf gewährte. Wenige Tage nach der Terrorserie, am Morgen des 18. November, stürmte ein Sonderkommando der Polizei die Wohnung in der Pariser Vorstadt und durchsiebte die drei Insassen. Die Gruppe wollte mehrere Anschläge in Paris zu verüben. Zuvor hatte sich der 27-Jährige im IS-Magazin „Dabiq“ damit gebrüstet, ungehindert von Europa nach Syrien und retourreisen zu können. Abaaoud hatte auch seinen minderjährigen Bruder nach Syrien gelotst. Reuters
In der Wohnung im Brüsseler Vorort Forest, wo Mohamed Belkaid am 15. März nach einem Schusswechsel mit der Polizei starb, sollten die Ermittler auf ein Waffenarsenal stoßen: Kalaschnikow-Sturmgewehre, jede Menge Patronen – aber auch eine IS-Fahne und ein Salafistenbuch. Belkaid alias Samir Bouzid taucht in der IS-Liste auf, die Sky News zugespielt wurde. Gerüchteweise war er im „ersten Leben“ Konditor in Algerien. In Belgien, wo er sich illegal aufhielt, wurde er wegen Taschendiebstahls aktenkundig. Sein „drittes“ Leben fing im April 2014 an, als er in Syrien kämpfte. Getarnt als Flüchtling kam er nach Europa, wo ihn Salah Abdeslam abholte. Am Tag des Paris-Terrors schrieb ein Attentäter: „Wir beginnen jetzt.“ Mutmaßlicher SMS-Empfänger: Belkaid.
Der mysteriöse Komplize von Abdeslam gab sich mehrere falsche Identitäten, einmal wies er sich als Syrer Monir Ahmed Alaaj aus, dann als Belgier Amine Choukri. Die Staatsanwaltschaft hat den ihn nun wegen Mordes und Terrorismus angeklagt. Er war mit Salah Abdeslam am Freitag festgenommen worden (Bild vom Einsatz). Beide wurden angeschossen. Sie hatten sich in einem Keller in Molenbeek versteckt. Schon im Oktober tauchte „Choukri“, möglicherweise Syrien-Rückkehrer, neben Abdeslam auf, und zwar bei einer Polizeikontrolle in Ulm (Baden-Württemberg), einem Zentrum der deutschen Salafistenszene. Ihr Wagen soll dort für rund eine Stunde nahe einer Unterkunft für Flüchtlinge gestoppt haben, wo am nächsten Tag beim Zählappell drei Syrer fehlten, berichtete die ARD. REUTERS
Ein vertraulicher Bericht eines Komitees zur Kontrolle der Behörden an das Parlament konstatiert schwerstes Versagen von Polizei, Geheimdiensten und Staat beim Thema Terrorbekämpfung.