Spirituosen: Nur ablöschen?

Promille. Alkohol verleihe Gerichten immer etwas Power, meint Kevin Fehling.
Promille. Alkohol verleihe Gerichten immer etwas Power, meint Kevin Fehling.(c) Bloomberg
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In der Küche fremdelt man mit der Spirituosenwelt. Mit Ausnahmen: vom Pre-Dinner-Cocktail zum Whisky-Sour-Macaron.

Tischdecke und Silberbesteck gibt es bei Kevin Fehling nicht. The Table mit seinem namensgebenden Tisch (Singular!) kann getrost als ungewöhnlichstes deutsches Lokal gelten, das mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Und dann gibt Patron Fehling auch noch die Schnapsdrossel: „Alkohol spielt bei uns in der Küche eine relativ große Rolle“ – der 39-Jährige unterstreicht damit, dass bei ihm einiges anders abläuft, als man das aus der Sternegastronomie gewohnt ist. Wohlgemerkt spricht der Hamburger da nicht vom Ablöschen des Gemüses oder einem Schuss Wermut für den Fischfond. Gin-Apfel-Sud für den Saibling, ein Mojito als Marinade für die Wildfanggarnele oder Schoko-Rum-Ganache in Form des Maya-Kalenders zum Dessert – in fast jedem Gericht, das Fehling an diesem Abend den Gästen servieren lässt, kommen Spirituosen irgendwie als Zutat vor.

Der Einsatz hochprozentiger Zutaten hat für Fehling einen einfachen Grund: „Alkohol verleiht Gerichten immer etwas Power.“ Mehr Alkohol heißt also auch mehr Aroma für die zwanzig Gäste, die sich allabendlich das fixe Menü schmecken lassen. Als Beispiel nennt Fehling die Früchte, die er drei Tage in Rum ziehen lässt, ehe er sie zu Entenbrust oder Reh serviert. „Das Rumtopf-
aroma ist etwas Bekanntes, das jeder kennt, dazu kommen dann ein extremes Element wie die Sauce Hollandaise mit Szechuanpfeffer und als heimischer Begleiter die Sellerie.“ Vor allem den guatemaltekischen Ron Zacapa, dessen Destillerie er soeben mit anderen Sterneköchen besucht hat, verwendet er wie andere Köche Sojasauce. „Durch die Süße ist er bei Desserts ohnehin pflegeleicht. Aber auch im Fleischbereich passen die einzelnen Aromen der Fasslagerung gut.“

Prozente. Kevin Fehling vom The Table hat keine Berührungsängste vor Spirituosen.
Prozente. Kevin Fehling vom The Table hat keine Berührungsängste vor Spirituosen.(c) Beigestellt

Trotz der Aromafülle und des geschmackstragenden Alkohols hat sich die mitteleuropäische Küche selten für mehr als Wein in der Küche erwärmen können. Eine amerikanische Dinnerkultur, bei der – wie wir seit der TV-Serie „Mad Men“ wissen – der Drink vor dem Steak sein muss, hat sich nie ausgeprägt. Obwohl sie aus Gastronomensicht selbst dort funktioniert, wo man sie nicht vermutet. Im tiefsten Zillertal sehen Gäste im Restaurant Englhof ganzjährig zuerst die Seite mit den Pre-Dinner-Cocktails in der Speisekarte. Wöchentlich gibt es fünf dieser alkoholärmeren Aperitifcocktails; ein Wettbewerb unter den Kellnern sorgt dafür, dass diese auch wirklich gern geordert werden. Zwölf Prozent des Gesamtumsatzes im Hotel werden mit Spirituosen gemacht, ein Wert, der so manchen Food&Beverage-Manager wohl sofort die Reise ins Zillertal buchen lässt.

Cook and Shake. Österreichs Hochburg der Spirituosengerichte war lange Zeit Das Turm am Wienerberg. Hier baute Heinz Preschan unter der Bezeichnung „Cook and Shake“ stets einen eigenen Gang in seine Menüs ein, der mit Rum, Wodka und Co. spielte. „Das macht tatsächlich keiner, und ich wollte da Vorreiter sein“, erinnert sich Preschan an seine Motivation. Bis heute wundert er sich, dass es wenig Mitstreiter gibt. „Vielleicht liegt es an der Angst vor den Promille“, meint er zur Abstinenz der Kollegen. Immerhin tragen einige diese Idee weiter: Mit dem neuen Dinner Club Art in der Falkestraße, den der einstige Ischgler Barkönig Philipp Ernst mit Chefkoch Sebastian Müller eröffnet, hat Wien ab Juni ein Lokal, das auf die Symbiose von Küche und Spirituosen setzt.

Trend. Heinz Preschan kochte hierzulande als einer der Ersten mit Hochprozentigem.
Trend. Heinz Preschan kochte hierzulande als einer der Ersten mit Hochprozentigem. (c) Beigestellt

Heinz Preschan selbst ist mittlerweile in seine steirische Heimat zurückgekehrt, doch auch im Grazer Aiola
Upstairs gibt es Cocktail-Inspirationen vom Zweihaubenkoch. Zumal er als „Dr. Filler“ auch eine unternehmerische Zweitexistenz führt, indem er eigenwillige Tonicvarianten selbst herstellt. Sein „Fichten-Cola“, eine helle Maiwipferl-Limonade, gießt Preschan in seiner neuen Wirkungsstätte am Schlossberg etwa zu Grünspargel und Parmesansalz an. „Aktuell serviere ich aber auch ein Gin & Tonic als Dessert.“

Tatsächlich scheint der Schluss des Menüs der bevorzugte Platz für den Einsatz von Hochprozentigem zu sein. Auch bei Kevin Fehling in Hamburg gibt es entweder Martiniperlen zum Dessert, oder ein Macaron – das eine Mal mit dem Geschmack einer Piña Colada, das andere Mal als gebäckgewordener Whisky Sour – beschließt die Speisenfolge im The Table. Seine Kreation „Smoky Berry“, bei der eine Creme aus 18-jährigem Whisky einen Zylinder aus Himbeer- und Brombeersegmenten toppt, sieht er denn auch expliziert als „uminterpretierten Digestif“. Vielleicht lässt sich so die Cocktailküche zumindest gestressten Gästen nahebringen: Nachspeise und Schnaps gleich in einem.

Tipp

Kevin Fehlings Spirituoseninspirierte Gerichte gibt es als Teil seiner The-Table-Menüs (sieben Gänge um 195 Euro) in Hamburg. Heinz Preschan serviert seinen „Gin Tonic in Textur“ als Dessert im Aiola Upstairs. Und Andreas Hotters shakt seine Pre-Dinner-Cocktails im familieneigenen Hotel Englhof.

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