Die türkische Armee verkündete das formelle Ende des Putschversuchs. Vor jubelnden Anhängern erklärte Erdogan, dass "in allen Behörden des Staates der Säuberungsprozess" fortgesetzt werde.
Die türkische Armee in Ankara hat am Sonntag ein formelles Ende des Putschversuchs verkündet und eine Bestrafung der Putschisten angekündigt. "Die türkischen Streitkräfte stehen unserem Staat und unserem erhabenen Volk zur Verfügung und sind nun im Dienst", heißt es in einer am Sonntag von der Nachrichtenagentur DHA veröffentlichten und auf mehreren Fernsehsendern verlesenen Erklärung. "Die Verräter wurden neutralisiert noch bevor sie ihr Ziel erreichen konnten", hieß es weiter. Die einer "illegalen Struktur angehörenden Putschisten" würden bestraft werden, so wie sie es verdient hätten.
Das sieht auch Recep Tayyip Erdogan so. Nach Tausenden Festnahmen in Militär und Justiz hat der türkische Staatspräsident ein gnadenloses Vorgehen gegen Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen angekündigt. "Liebe Brüder, ist das genug?", sagte er vor jubelnden Anhängern im Istanbuler Bezirk Fatih mit Blick auf die Verhaftungen. "In allen Behörden des Staates wird der Säuberungsprozess von diesen Viren fortgesetzt. Denn dieser Körper, meine Brüder, hat Metastasen produziert. Leider haben sie wie ein Krebsvirus den ganzen Staat befallen." Der Staatspräsident nahm in Istanbul an einer Beerdigung von einem der Todesopfer teil.
Erdogan, der in Istanbul an einer Beerdigung von einem der Todesopfer teilnahm, macht Anhänger des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Dieser streitet das ab. Der Prediger war einst ein enger Verbündeter von Erdogan und ist inzwischen Staatsfeind.
Forderung nach Todesstrafe "nicht ignorieren"
Auf erneute Forderungen der Menge nach der Todesstrafe sagte Erdogan: "In Demokratien kann man die Forderung des Volkes nicht ignorieren." Die entsprechenden Behörden würden das entscheiden. Schon am Samstag hatte Erdogan gesagt, dass eine Diskussion über die Einführung der Todesstrafe Sache des Parlaments sei. Am Sonntag mahnte er jedoch auch: "Wir sind keine Rächer". Der größte Rächer sei Gott.
Erdogan rief das Volk erneut dazu auf, am Abend auf die Straße zu gehen. "Ihr seid es, die die Plätze füllen sollen. Es darf keine Lockerung geben." Schon am Samstag waren Zehntausende in der Türkei einem Aufruf der Regierung gefolgt, öffentliche Plätze nicht möglichen weiteren Putschisten zu überlassen. Zu der Aktion hatte die Staatsführung in einer SMS aufgerufen.
Nach einer Nacht der Unsicherheit und des Terrors folgte in den türkischen Metropolen Ankara und Istanbul (im Bild) eine Nacht der Erleichterung. AFP PHOTO / BULENT KILIC
Tausende Menschen feierten ihren Präsidenten Recep Tayyip Erdogan - hier auf dem Taksim Platz in Istanbul. AFP PHOTO / BULENT KILIC
Türkische Flaggen überall, es bildeten sich Autokorsos. AFP PHOTO / BULENT KILIC
Teils haben sie sich schon in der Nacht zuvor auf die Straßen gewagt, als der Putschversuch noch in vollem Gange war. AFP PHOTO / BULENT KILIC
Präsident Erdogan hatte sie per Sozialen Medien und SMS dazu aufgerufen, sich der Ausgangssperre des Militärs zu widersetzen. AFP PHOTO / DANIEL MIHAILESCU
Seine Anhänger haben die Dauer des Putschversuches damit wesentlich verkürzt und der Regierung Zeit zum Handeln verschafft. AFP PHOTO / DANIEL MIHAILESCU
Der Kizilay Platz war in Ankara das Zentrum der Feiern der Erdogan-Anhänger. AFP PHOTO / ADEM ALTAN
In Ankara waren in der Nacht auf Samstag mehrere Bomben eingeschlagen, Teile des Parlaments und des Präsidentenpalastes waren aus der Luft aus angegriffen worden. AFP PHOTO / ADEM ALTAN
Der Putsch ist aber niedergeschlagen. Die staatlichen Medien berichten, dass die letzten Soldaten der Putschisten festgenommen seien. Im Bild: Der Taksim-Platz in Istanbul Samstagabend. AFP PHOTO / ARIS MESSINIS
Man traut sich auch mit Kindern auf die Straße. Das Militär wird jetzt weiter entmachtet, ein weiterer Putschversuch scheint da vorerst ausgeschlossen. AFP PHOTO / ARIS MESSINIS
Tausende feiern Erdogan auf der Straße
Teile des Militärs hatten am Freitagabend einen Putsch gestartet. Dieser wurde nach wenigen Stunden niedergeschlagen. Mehr als 260 Menschen wurden bei den nächtlichen Gefechten getötet. Nach Angaben der Regierung wurden bis Sonntag 6000 Menschen unter Putschverdacht festgenommen, unter ihnen dutzende Generäle, Richter und Staatsanwälte. Justizminister Bekir Bozdag kündigte an, die "Säuberungsaktionen" würden fortgesetzt.
Am Sonntag soll Medienberichten zufolge auch ein Berater von Staatspräsident Erdogan festgenommen worden sein. Der Oberst Ali Yazici befinde sich in Gewahrsam, meldete die Nachrichtenagentur DHA am Sonntag. Wo Yazici festgenommen wurde und was genau ihm vorgeworfen wird, blieb zunächst unklar. Der türkische Nachrichtensender NTV berichtete, auch ein Berater des ehemaligen Staatspräsidenten Abdullah Gül sei festgenommen worden
„Kein Blankoscheck“: Kurz und Ayrault warnen
Die französische Regierung warnte Erdogan vor einem zu harten Vorgehen nach dem gescheiterten Putschversuch. Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte am Sonntag in Paris, es gebe keinen "Blankoscheck" für die von der türkischen Regierung angekündigten "Säuberungsaktionen" gegen ihre Gegner in Armee und Justiz. Ähnlich hatte sich zuvor Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) geäußert. Im Vorfeld des Treffens mit seinen EU-Amtskollegen am Montag rief er die türkische Regierung auf, den Rechtsstaat zu wahren. Der gescheiterte Putschversuch dürfe "kein Freibrief für Willkür sein", betonte Kurz.
Sondersitzung des Europaparlaments
Nach dem Putschversuch wird der Auswärtige Ausschuss des Europaparlaments nach Angaben seines Vorsitzenden am Dienstagmorgen zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Man wolle die Auswirkungen der Situation im Land auf das Flüchtlingsabkommen diskutieren, das die EU mit der Türkei abgeschlossen hat, sagte Elmar Brok (CDU) der "Neuen Westfälischen" (Montag). Im Moment sehe er aber keine Anzeichen dafür, dass das Abkommen in Frage stehe. Das Europaparlament ist in der Sommerpause, nächste Sitzungswoche ist Ende August.
Ein Putschversuch des Militärs hat in der Nacht auf Samstag, den 16. Juli die Türkei erschüttert. Mehr als 260 Menschen, darunter viele Zivilisten, kamen laut dem Chef des Militärs bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Hauptstadt Ankara und der Metropole Istanbul ums Leben. Mehr als 1150 Personen sollen verletzt worden sein. Reuters
Nach der Niederschlagung sind Regierungskreisen zufolge inzwischen fast 1600 mutmaßliche Beteiligte aus den Reihen der Streitkräfte festgenommen worden. Fünf Generäle und 29 Oberste seien ihrer Posten enthoben worden. Reuters
Dramatische Szenen haben sich in beiden Städten abgespielt, Panzer waren aufgefahren, unter anderem an der berühmten Bosporus-Brücke, die in Istanbul Asien und Europa verbindet. In beiden Städten waren immer wieder Schüsse zu hören. Reuters
Fernsehsender und Fotografen zeigten in Ankara zahlreiche Menschen, die sich auf den Straßen um Verletzte kümmerten, die am Boden lagen. Reuters
Viele wurden auf türkische Flaggen gebettet oder damit zugedeckt. In der Nähe des Armeehauptquartiers fuhren zahlreiche Krankenwagen mit Blaulicht auf, wie auf Fotos zu sehen war. Reuters
Auf dem berühmten Taksim-Platz in Istanbul liefen Dutzende Leute in Panik davon, als Kampfjets im Tiefflug über den Platz jagten. Reuters
Einige warfen sich sofort auf den Boden, andere suchten hinter Autos und Lastwagen Schutz. Reuters
Der Platz ist ein Verkehrsknotenpunkt und bei Protesten immer wieder ein wichtiger Versammlungsplatz. Reuters
An mehreren Orten strömten aufgebrachte Menschen zusammen, kletterten auf die Panzer und konfrontierten Soldaten, wie Bilder von Fernsehsendern zeigten. Reuters
Beim Flughafen Istanbul hindert ein Demonstrant einen Panzer an der Weiterfahrt. REUTERS
An der Bosporus-Brücke ergaben sich mehrere Soldaten. Nahe dem Taksim-Platz führten Polizisten Soldaten in Handschellen ab. Reuters
Auch dies war zu sehen: Menschen, die vor verlassenen Panzern Selfies schossen. Reuters
Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seine Anhänger zum Widerstand aufgerufen hatte, traf in Istanbul ein und gab sich siegessicher. In Ankara wurde auch in der Früh noch gekämpft. Reuters
Erdogan hatte sich zum Zeitpunkt des Putsches im Badeort Marmaris an der Mittelmeerküste befunden. Nachdem die Armee am Abend in der Hauptstadt die Übernahme der Macht verkündet hatte, wandte er sich über ein im Fernsehen ausgestrahltes Videotelefonat an die Bürger. Reuters
Erdogan rief die Türken auf, die Ausgangssperre zu missachten und zu demonstrieren. Tausende Menschen folgten dem Aufruf. Reuters
Auch in Wien demonstrierten in der Nacht um die 4000 Erdogan-Anhänger. Sie zogen von der türkischen Botschaft über den Ring zum Stephansplatz. Auch in Vorarlberg kam es zu Protesten. Nach dem Putschversuch haben sich etwa 500 bis 600 Demonstranten vor dem türkischen Generalkonsulat in Wolfurt (Bez. Bregenz) versammelt. Die Presse
Der Präsident wurde in der Nacht am Istanbuler Flughafen von jubelnden Anhängern empfangen. Er kündigte ein hartes Vorgehen gegen die Aufständischen an. Er wolle die Armee "säubern". Reuters
Erdogan machte die Bewegung seines Intimfeindes Fethullah Gülen für den Putsch verantwortlich, die sich jedoch umgehend vom Aufstand distanzierte. Der Präsident wirft seinem einstigen Verbündeten vor, Parallelstrukturen im Staat errichten zu wollen und seinen Sturz zu betreiben. APA/AFP/ZAMAN DAILY/SELAHATTIN S
Die Putschisten erklärten unterdessen, dass sie weiter "entschlossen" kämpfen wollen. Sie riefen die Bevölkerung in einem E-Mail auf, zu ihrer eigenen Sicherheit in Räumen zu bleiben. Reuters
Bei Luftangriffen der Putschisten auf das Parlament in Ankara ist das Gebäude der türkischen Nationalversammlung stark beschädigt worden. Auf Fernsehbildern waren am Samstagmorgen Trümmer, zerborstene Scheiben und gravierende Schäden am Mauerwerk zu sehen. Reuters
Türkische Sicherheitskräfte hatten den von Putschisten festgehaltenen Armeechef Hulusi Akar (links) am Morgen befreit. General Akar sei an einen sicheren Ort gebracht worden, hieß es. Reuters
Während des Putsches war auch der Flugverkehr in Istanbul zum Erliegen gekommen. Mehrere Fluggesellschaften strichen ihre Türkei-Verbindungen. Das Außenministerium rief die Österreicher in der Türkei auf, angesichts des Militärputsches "an einem sicheren Ort" zu bleiben. Reuters
EU-Kommissionspräsident Donald Tusk hat sich besorgt über den Putschversuch in der Türkei und die Konsequenzen geäußert. Reuters
"Die Lage scheint unter Kontrolle, aber die Situation ist weit von einer Stabilisierung entfernt", sagte Tusk zum Abschluss des Asien-Europa-Gipfels (ASEM) in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator. Reuters
Das türkische Militär hat in der Vergangenheit bereits mehrfach die Macht an sich gerissen, um die säkularen Grundlagen des Staates zu verteidigen. Reuters
Erdogan wurde 2003 Ministerpräsident und ist seit 2014 Staatsoberhaupt der Türkei. Er strebt eine größere Machtfülle für das Präsidentenamt an. Reuters
Es werden nichts Gutes auf Bulgarien zukommen, sagt der Regierungschef. Die Türkei werde die Millionen Flüchtlinge im Land bald nicht mehr verpflegen können.
Der Historiker Norman Stone verließ kurz vor der Ausreisesperre die Türkei. Er warnt vor der Instabilität des Systems Erdoğan und den Folgen für die Gesellschaft.