Seit mehr als einem halben Jahr gibt es ein Konzept zur Abschaffung der kalten Progression. Doch die SPÖ kann sich mit dem ÖVP-Plan nicht anfreunden – und die ÖVP will nichts von den Änderungswünschen der SPÖ wissen.
Wien. Undank ist der Welt Lohn. Da zerbricht eine Regierung fast an einer Steuerreform, die am Ende doch mehr als fünf Milliarden Euro umfasst – und dann sagen laut einer GfK-Umfrage 52 Prozent der Österreicher, die Reform habe für sie „keine positiven Auswirkungen“. So schnell ist eine Entlastung von durchschnittlich 70Euro pro Monat seit Jänner vergessen.
Da ist es natürlich angenehmer, wenn man alle paar Jahre – am besten vor Wahlen – das Füllhorn ausschütten kann, das sich durch die kalte Progression mehrt. Die automatische Steuererhöhung (weil die Steuerstufen im Gegensatz zu Gehältern nicht an die Inflation angepasst werden) bringt dem Staat jährlich mindestens 400 Millionen Euro.
Vielleicht ist das der Grund, warum manche von einer automatischen Anpassung der Steuerstufen und damit der Abschaffung der kalten Progression nichts wissen wollen. Denn das Geschenkeverteilen wäre dann vorbei.
Zwar hat sich die Koalition darauf geeinigt, die kalte Progression ab 2017 abzuschaffen, doch Fortschritt gibt es bei den Verhandlungen keinen. Seit Anfang des Jahres gibt es ein Papier von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), wonach es eine automatische Anpassung bei den Tarifstufen geben soll, wenn die Inflationsentwicklung fünf Prozent überschreitet. Die SPÖ lehnte die Automatik jedoch ab. Schellings Kompromissvorschlag: Wenn das Wachstum weniger als ein Prozent beträgt, könnte man die Anpassung aussetzen. Doch auch damit kann sich die SPÖ nicht anfreunden. Ein hochrangiger SPÖ-Mitarbeiter erklärte der „Presse“, dass man weniger mit der Automatik, als vielmehr mit dem Faktum, dass alle Steuerstufen angepasst werden sollen, ein Problem habe. Im Klartext: Angepasst werden sollen die Steuerstufen für Klein- und Mittelverdiener, aber nicht die für höhere Einkommen.
Das ist wiederum für die ÖVP nicht denkbar. Ein ÖVP-Politiker meinte, man könne nicht ein progressives Steuersystem haben (womit man für ein höheres Einkommen auch mehr Steuern bezahlt) und dann aber nur bestimmte Steuerstufen entlasten. Das sei ungerecht. Die SPÖ kontert, dass Menschen mit höheren Einkommen die Folgen der Inflation besser wegstecken könnten.
Die Fronten sind jedenfalls verhärtet, es gab seit Monaten keine konkreten Gespräche mehr zur Abschaffung der kalten Progression. Langsam bereitet man die Öffentlichkeit auf eine deutliche Verzögerung vor: Eigentlich, heißt es aus der Regierung, würde die Entlastung durch die Steuerreform ja bis 2018 reichen . . .
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)