Nachruf auf Franz Olah: Österreichischer Patriot, kämpferischer Gewerkschafter

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ARCHIVBILD: FRANZ OLAH(c) APA/ROLAND SCHLAGER (Roland Schlager)
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Franz Olah: Ein Patriot war er, ein sehr österreichischer. Ein Gewerkschafter war er, ein äußerst kämpferischer. Ein SPÖ-Chef hätte er werden können - ob das gut für die Partei gewesen wäre, das bleibt unbeantwortet.

Herr Minister", rief der Staatspolizist, „dös is' die falsche Tür! Nebenan is' offen!" Der 60jährige, der am 1. Oktober 1970 vor dem Strafgefangenenhaus am Wiener Hernalser Gürtel zum Haftantritt erschienen war, gehörte noch wenige Jahre zuvor zu den Mächtigen dieses Landes. Ein Jahr Kerker wegen Betruges hatte das Urteil gelautet - zur tiefen Befriedigung seiner Feinde innerhalb der SPÖ. Franz Olah, wenige Jahre zuvor noch der einflußreichste Mann in der SP-Hierarchie, war am absoluten Tiefpunkt seiner Karriere angelangt. Es war ein Sturz ins Bodenlose - in dieser Form einmalig in der Geschichte der Zweiten Republik. Am 4.September 2009 ist Franz Olah 99-jährig gestorben.

Das Absurde, das Extreme - im Lebensbogen dieses Österreichers war das ganze 20. Jahrhundert gebündelt. Als Gewerkschaftsfunktionär sah der Klaviermacher schon im Ständestaat zweimal die Welt durch Gitterstäbe. Das war nach dem 10. Februar 1934. Gemeinsam mit dem jungen Bruno Kreisky hatte er Flugblätter gegen das Dollfuß-Regime vervielfältigt. „Aber unter die Leut' haben wir die Blattln nicht mehr gebracht. Es war alles umsonst. Es hat nichts funktioniert."
Dennoch erwies ihm Himmler 1938 die „Ehre", gleich nach dem Anschluß ins Konzentrationslager Dachau verschickt zu werden. Mit dem ersten „Prominenten-Transport".

Dort landete die gesamte Elite - Christlichsoziale, Kommunisten, Sozialisten, Monarchisten. Olah erkannte, daß ein wieder aufzubauendes Österreich nur dann eine reelle Chance besitzen würde, wenn die beiden großen Lager das Bürgerkriegstrauma überwinden und kooperieren könnten. Zu den KP-Mithäftlingen hielt Olah schon damals strenge Distanz: Die sowjetische Spielart ein- und derselben Diktatur war für ihn keine Alternative.

So hatte er sich die ersten Todfeinde schon geschaffen, bevor er 1945 für das befreite Österreich tätig werden konnte: Die KP. Als Sekretär der Bau-Holzarbeiter-Gewerkschaft war Olah in der Wahl seiner Mittel genau so rüde, als 1950 die Arbeiter der sowjetisch kontrollierten Betriebe auf die Straße zogen, um einen Generalstreik gegen ein Lohn- und Preisabkommen der schwarz-roten Koalition zu erzwingen. Bis heute streiten die Historiker, ob damals ein KP-Putsch - unterstützt durch die Rote Armee - bevorstand oder nicht.
Olah hielt nie viel von gelehrten Disputen. Von den Baustellen Wiens holte er die Arbeiter herunter; bewaffnet mit Holzlatten, Krampen und Schaufeln machten Olahs „Truppen" dem Spuk ein Ende.
Sein raketenartiger Aufstieg in der SP-Nomenklatura war nicht mehr zu verhindern. 1959 saß er bereits in zwei Präsidentensesseln: Im ÖGB und im Nationalrat. Er galt als der mächtigste Mann der kleineren Regierungspartei - und als der gefährlichste. Sprunghaft, cholerisch, ungeduldig. Olah wollte heraus aus der zusehends steriler werdenden großen Koalition. Daß er sich als der künftige „starke Mann" sah, verhehlte er in keiner Weise - undiplomatisch, wie er war. Sein ungestümes Temperament vermochte er bis ins hohe Alter nicht zu zügeln.
Olah suchte nach einem Tor, wo es sich aus der Koalition mit der ÖVP ausbrechen ließ. Die Option hieß FPÖ. Und da diese Kleinpartei keine Fraktion im ÖGB hatte, ließ er der Partei eine Million Schilling zukommen. Ohne Gewerkschafts- oder Parteigremien zu molestieren. Das sollte letztlich Auslöser für seinen Sturz werden.

Da war noch die Sache mit der „Kronen-Zeitung". Der Ex-Chefredakteur des „Kurier", Dichand, suchte Geldgeber für seine Idee, die alte „Kronenzeitung" wieder zum Leben zu erwecken. Olah witterte seine Chance, besicherte den ersten Kredit für Dichand mit einem Gewerkschafts-Sparbuch. Der Kredit war bald zurückgezahlt, die „Krone" wurde ein durchschlagender Erfolg. Und Dichand blieb seinem Mentor dankbar.

Der Katholik Olah hatte tragfähige Brücken zur katholischen Amtskirche gebaut - argwöhnisch, mißtrauisch von der SPÖ-Führungsriege beäugt, die sich - wenn schon nicht durch die Bank atheistisch - mit dem Kirchgang doch recht schwer tat. Aus dem Apparat der Staats- und Kriminalpolizei hatte er brutal jene letzten „Brückköpfe" der KPÖ ausgebrannt, die sich dort seit 1945 eingenistet hatten.

Und er sorgte mit seinem Aktionismus für Aufsehen: Der Innenminister schwenkte in einem berühmt gewordenen TV-Interview Geheimdossiers über Führungspersonal der Republik, die seit Jahr und Tag in einem Keller des Ministeriums gelagert waren. Olah hatte die ca. 43.000 Faszikel durch Zufall entdeckt. Schließlich ließ er 39.000 Akten vernichten - der Rest wurde als „staatspolizeilich anzuerkennendes Material" aufbewahrt.

Kann sein, daß sich seit der Affäre um die Spitzelakten so mancher Genosse unbehaglich gefühlt haben mag, immerhin saß Olah ja noch immer auf Tausenden brisanten Lebensläufen. Olah war ein gefürchteter Mitspieler im Machtpoker geworden. „Schatten über Österreich" nannte ihn die „Wochenpresse" auf einer berühmt gewordenen Titelseite.

Der Auslöser für seinen Sturz plus anschließendem Parteiausschluß nach einem nächtlichen Femegericht war lächerlich banal. Weil Olah der „Presse" ein Interview gab (in dem er über seine innerparteilichen Todfeinde, namentlich Christian Broda, herzog), mußte er als Innenminister zurücktreten. Denn das war ein „gegnerisches" Blatt, so streng waren damals die Sitten. Olah, der Grenzgänger, hatte die Grenzen überschritten.
Wegen des Sparbuchs für den „Kronen"-Kredit machte man ihm später einen Sensationsprozess. Da ging er frei. Wegen einer Million, die er den Freiheitlichen unter der Hand hatte zukommen lassen, wurde er verurteilt.

Doch zuvor rächte er sich bitter: Aus der SPÖ ausgeschlossen, gründete er die rechts-sozial-populistische „Demokratische Fortschrittliche Partei" DFP, was die SPÖ 1966 erhebliche Stimmen kostete. Die Diktion könnte später Jörg Haider bei ihm gelernt haben - nicht zufällig unterstützten ihn damals prominente FP-ler. Und 1969 ließ er sich als DFP-Listenführer in den Wiener Gemeinderat wählen, aus dem ihn die Rathauswache mit Brachialgewalt herauszerrte.

Dann war sein Urteil rechtsgültig und Olah trat die Haft an. Auch das war eine Sensation, ein Spektakel, für die Photoreporter ein gefundenes Fressen. Nach vier Monaten sah er wieder die Freiheit - auf Bewährung - danach galt er den Genossen als absolut Verfemter, erst Bruno Kreisky setzte die Ministerpension für ihn durch. Zunächst verkroch er sich vor der Welt in seinem Haus in Baden bei Wien, später traf man den alten Mann mit dem schlohweißen Haarschopf wieder öfter bei offiziellen Auftritten in Wien, bei Jubiläen, bei Ehrungen.

Ein Patriot, dem die Rathaussozialisten bis zuletzt die Ehrenbürgerschaft verweigerten. Olah hat auch das mit jener Gelassenheit getragen, die erst im hohen Alter über ihn gekommen war. Die Freidenkerbewegung seiner Partei in der Zwischenkriegszeit lehnte der überzeugte Katholik vehement ab. „Nach dem Krieg", erzählte er kürzlich der „Presse", „habe ich einen Genossen getroffen, der war vorher ein lauter Hetzer gegen die Kirche. Jetzt war er schon sehr alt. Du Franz, fragt er mich, glaubst du, dass es nach dem Tod noch was gibt? - „Ich weiß es so wenig wie du. Der Gläubige kann hoffen, der Ungläubige hat keine Hoffnung. Wir werden's rechtzeitig erfahren . . ."

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