Die Finanzprokuratur prüft die finanziellen Schäden, die durch die defekten Briefwahlkarten und die Verschiebung der Stichwahl entstehen. Eine generelle Wahlrechtsreform wird überlegt.
Die Finanzprokuratur wird als Anwalt des Bundes die finanziellen Schäden prüfen, die durch die defekten Briefwahlkarten und die Verschiebung der Bundespräsidentenwahl von 2. Oktober auf 4. Dezember entstehen. Dies kündigte Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Dienstag vor dem Ministerrat an. "Der Schaden, den die Steuerzahler haben, wird als Regress zu fordern sein", sagte Sobotka.
Zu diesem Zweck soll die Finanzprokuratur in den nächsten Wochen prüfen, wie hoch die finanziellen Auswirkungen und zusätzlichen Kosten für die Wahlbehörden und die Gemeinden sind. Adressat der Regressforderungen ist die für den Druck der schadhaften Wahlkarten verantwortliche kbprintcom.at. Für personelle Konsequenzen im Innenministerium sah Sobotka keine Veranlassung. "Für ein technisches Versagen kann nicht die Politik verantwortlich gemacht werden. Die Konsequenzen liegen bei der Firma."
SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder und ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka präsentierten unterdessen am Rande des Ministerrats Überlegungen für eine generelle Wahlrechtsreform, die unabhängig von den sondergesetzlichen Bestimmungen für die Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember kommen soll. Laut Schieder sollen dabei Themen wie eine zentrale Wählerevidenz, das Beisitzersystem, die Auszählungsmodalitäten und -zeiten oder auch ein zweiter Wahltag thematisiert werden. Man werde dies in der Reformgruppe zum Wahlrecht im Jänner, Februar, März diskutieren und dann im Parlament beschließen, so Schieder.
ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka plädierte dafür, die Frage des zentralen Wählerregisters vorzuziehen und diesen Punkt noch heuer im Parlament zu beschließen. Hintergrund: Die Einrichtung eines zentralen Wählerregisters benötige lange Vorlaufzeiten. Wenn man davon ausgehe, dass die nächste Nationalratswahl 2018 stattfindet, brauche es deshalb bald einen Beschluss dazu. An der Briefwahl will Lopatka festhalten. Auch der ÖVP-Klubchef führte die Möglichkeit zusätzlicher vorgezogener Wahltage ins Treffen. Und Lopatka will auch das Thema E-Voting mitdiskutieren. In Estland habe man damit bereits sehr gute Erfahrungen gemacht.
"Österreich ist keine Bananenrepublik"
Für das Sondergesetz zur Verschiebung der Bundespräsidentenwahl erwarten sowohl Schieder als auch Lopatka breite Zustimmung. "Österreich ist keine Bananenrepublik", meinte Schieder. Hauptziel sei es nun, das Vertrauen in Demokratie und Wahlrecht wieder herzustellen. In Richtung FPÖ werde es keine falschen Zugeständnisse geben, erklärte Lopatka. "Ein klares Ja zu jeder Verbesserung der Briefwahl. Ein klares Nein zur Abschaffung der Briefwahl", so der ÖVP-Klubobmann.
Genau 40 Tage lang stand der Grüne Alexander Van der Bellen als zukünftiger Bundespräsident fest. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Stichwahl am 22. Mai scheuten die Freiheitlichen mit ihrem Kandidaten Norbert Hofer keine Mühen, einen Verhandlungsmarathon vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Gang zu setzen, an dessen Ende die Aufhebung der Stichwahl stand. Hinzu kamen "Klebeprobleme" und damit eine Verschiebung der Wiederholung. Eine Chronologie. Bloomberg
Denkbar knapp lautete das vorläufige Ergebnis der Bundespräsidenten-Stichwahl. Mit 51,9 Prozent lag Hofer vor Van der Bellen mit 48,1 Prozent. Erst am Montag nach der Auszählung der Briefwahlstimmen sollte Klarheit über den Wahlsieger herrschen. APA/GEORG HOCHMUTH
Gegen 17 Uhr verkündet Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) das Endergebnis inklusive Briefwahlstimmen. Van der Bellen gewinnt hauchdünn mit 50,35 Prozent. Bereits zuvor gesteht Hofer seine Niederlage ein. Eine "Wahlanfechtung um der Wahlanfechtung willen" werde es nicht geben, betonen die Freiheitlichen. APA/GEORG HOCHMUTH
Das Innenministerium selbst zeigt bei der Staatsanwaltschaft erste "Unregelmäßigkeiten" in vier Kärntner Bezirken bei der Auszählung der Briefwahlstimmen an. Weitere sollen folgen.
Das amtliche Endergebnis der Bundespräsidenten-Stichwahl wird vom Innenministerium verlautbart. Van der Bellens Vorsprung auf Hofer ist leicht geschrumpft - aber sein Anteil von 50,35 Prozent bleibt gleich. Die drei FPÖ-Vertreter haben dem Endergebnis nicht zugestimmt, eine Anfechtung steht bereits im Raum. 8. Juni Die Anfechtung vor dem VfGH durch die Freiheitlichen ist fix. Parteichef Heinz-Christian Strache bringt als Zustellungsbevollmächtigter eine 150 Seiten umfassende Klage ein. REUTERS
Der VfGH räumt seinen Terminkalender leer und kündigt die öffentliche Verhandlung zur Anfechtung an - zuerst nur für drei Tage. Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer wird die FPÖ vertreten. Mehr als 90 Zeugen sollen zu Wort kommen. APA/HELMUT FOHRINGER
Bereits der erste Verhandlungstag fördert zahlreiche Formalfehler bei der Auszählung der Briefwahlstimmen zutage. Teils wurden Kuverts zu früh geöffnet, manche Auszählungen fanden ohne Beisitzer statt. Hinweise für konkrete Manipulationen gibt es aber nicht. Ein weiterer vierter Tag wird zur Zeugeneinvernahme anberaumt. Die Presse
Noch einmal kommen vor dem VfGH die Parteienvertreter zu Wort. 30. Juni Der VfGH kündigt die Bekanntgabe der Entscheidung sieben Tage und rechtzeitig vor dem möglichen Angelobungstermin am 8. Juli an Die Presse
Die Verfassungsrichter geben zu Mittag die Aufhebung der Stichwahl bekannt. Am Bild: Gerhart Holzinger (M), Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), Vizepräsidentin Brigitte Bierlein (L) und Verfassungsrichter Helmut Hörtenhuber APA/HERBERT NEUBAUER
Der Hauptausschuss des Nationalrats fixiert den 2. Oktober als Wahltermin. APA/HERBERT PFARRHOFER
Die ersten fehlerhaften Wahlkarten tauchen auf - erst für die Bezirksvertretungswahl in der Leopoldstadt, dann auch für die Bundespräsidenten-Stichwahl. Das Ministerium weist alle Gemeinden an, die Wahlkarten zu überprüfen. Am Bild: Stimmzettel für die Bezirksvertretungswahlen in Wien-Leopoldstadt APA/HERBERT NEUBAUER
Das Innenministerium gibt Entwarnung - man geht davon aus, dass weniger als 1000 Wahlkarten einen schadhaften Klebestreifen haben. APA/GEORG HOCHMUTH
Ein "neues Phänomen" (BMI) tritt auf: Wahlkarten scheinen auf den ersten Blick in Ordnung, doch der Kleber geht zu einem späteren Zeitpunkt auf. Auch, wenn die Stimme bereits abgegeben wurde. APA/BMI/ROBERT STEIN
Die Stimmen für eine Verschiebung des zweiten Stichwahltermins mehren sich - und sie wird immer wahrscheinlicher. 12. September Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) gibt bekannt, dass die Stichwahl auf den 4. Dezember verschoben wird. Auch werden neue Jungwähler in das Wählerregister aufgenommen. APA/HERBERT PFARRHOFER
Was tun mit der Wahlkarte, wenn man sie schon erhalten hat? Wer darf aller am 4. Dezember votieren? Und ist der neue Präsident wegen der Verschiebung dann kürzer im Amt? Zehn Fragen und Antworten zur Wahl.